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Deutsche Versicherungen am Rande des Abgrunds?

■ Die Branche klagt über die Belastungen durch die Steuerreform. Der weltweite Branchenführer Allianz droht mit der Verlagerung von Unternehmensbereichen ins Ausland

Hilfe sollte von der Gewerkschaft kommen. Die HBV sammelte vergangene Woche vor der Betriebsversammlung der Allianz- Versicherung für das „notleidende Unternehmen“ Geld. Vorausgegangen waren lautstarke Klagen der Versicherungsbranche, daß die Steuerpläne der Bundesregierung ihre Existenz gefährden würden. Die Allianz drohte gar mit Flucht ins Ausland, zeigt sich jedoch tapfer bereit, „Mehrbelastungen zu akzeptieren“, so ein Sprecher gegenüber der taz.

Bloß nicht zuviel. In den Vorverhandlungen mit Finanzminister Lafontaine soll der Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft 6 bis 7 Milliarden Mark als „gerade noch verkraftbar“ bezeichnet haben. Eine zusätzliche Steuerbelastung von insgesamt rund 20 Milliarden Mark sei dagegen unzumutbar. Das gelte selbst dann, wenn diese Summe – wie geplant – über drei oder vier Jahre gestreckt werde.

Die von Bonn erhofften Mehreinnahmen basieren vorrangig auf einer Neubewertung der sogenannten Schadenrückstellungen. Beispielsweise bilden Kfz-Versicherer „stille Reserven“ für spätere Verkehrsunfälle und geklaute Autos. Da auch die Assekuranz nicht in die Zukunft schauen kann, existiert dabei ein weitläufiger Gestaltungsspielraum! Jede Mark, die als Schadenrückstellung in der Bilanz verschwindet, erspart dem Konzern etwa 50 Pfennig an Steuern. Es gilt längst als liebgewordenes Ritual der Manager, mit ihrem Findungsreichtum für neue Rückstellungen zu kokettieren. „Versicherer schummeln regelmäßig bei der Risikohöhe und Risikohäufigkeit“, erzählt ein Hamburger Aufsichtsrat.

Die möglichen Auswirkungen der Steuerreform werden durchaus unterschiedlich bewertet: Das Finanzministerium errechnete für 1999 eine gänzlich andere Mehrbelastung als beispielsweise die Forscher vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. Der Versicherungsverband kalkuliert mit 20 Milliarden Mark, während Bonn insgesamt nur etwa 10 Milliarden bis zum Jahr 2002 veranschlagt. Zudem scheint Lafontaine jetzt bereit zu sein, auf 4 Milliarden davon ab dem Jahr 2001 zu verzichten. Angesichts eines verwalteten Vermögens von 1.400 Milliarden Mark steht die deutsche Assekuranz nicht gerade vor der Pleite.

Traditionell war der deutsche Markt abgeschottet. Und auch nach der Öffnung durch den Europäischen Binnenmarkt im Sommer 1994 konnten nur wenige Ausländer hierzulande Fuß fassen. Die Assekuranz hatte – wie die Banken – einen Ausnahmestatus, der es ihr erlaubte, die Produkte bundesweit und konzernübergreifend zu standardisieren. Der Fiskus ließ gleichzeitig fast beliebig Rückstellungen und stille Reserven zu. Dadurch wollte die Politik ursprünglich den Aufbau einer leistungsfähigen und sicheren Versicherungsbranche beflügeln. Heute sind allerdings Konzerne wie Allianz, Gerling oder Münchner Rück längst aus ihren Nachkriegs-Kinderschuhen herausgewachsen.

Die Steuerpläne betreffen maximal einen kleinen Teil der seit Jahrzehnten verheimlichten Gewinne: So sanken die direkten Steuerzahlungen von westdeutschen Kapitalgesellschaften seit den achtziger Jahren von fast 34 Prozent auf rund 18 Prozent. Als die Allianz im vergangenen Sommer ihre Bewertungsreserven teilweise veröffentlichte, um so den internationalen IAS-Bilanznormen zu entsprechen, staunte die Nation über stille Reserven von 87,7 Milliarden Mark.

Insbesondere Weltmarktführer Allianz reagierte auf die Steuerpläne heftig: Vergangene Woche drohte er mit Flucht ins Ausland. Vorstand Perlet nannte Rückversicherungen, Industriegeschäft und Vermögensmanagement als Fluchtmöglichkeiten. Alles Bereiche, die entweder mit Defizit arbeiten oder ohnehin international ausgerichtet sind. Ein Sprecher gab dann auch gegenüber dieser Zeitung zu, daß die Allianz sich „nicht im Detail“ mit einen Gang ins Ausland beschäftigt habe. Ohnehin kassiert der weltweite Branchenprimus die Hälfte seiner Beiträge im Ausland. Eine Aussiedlung der Deutschland-Allianz ist theoretisch zwar möglich, aber in der Praxis unsinnig, da Vertriebsnetze und Verwaltung am Finanzplatz Deutschland festhängen.

Obendrein stoppten die Arbeitgeber die laufende Tarifrunde. Sie wollen mit den Gewerkschaften nicht weiter verhandeln, solange die Bundesregierung mit ihrer geplanten Steuerreform die Versicherer stark belaste. Ein solches Junktim ist bislang einmalig. Die Assekuranz scheint wieder Gefallen am Klassenkampf zu finden. Jetzt kann nur noch Kanzler Schröder helfen. Aber läßt er sich vor Donnerstag noch sprechen? Hermannus Pfeiffer

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