: Rundes Blaubär
Bürgermeister hält eine Laudatio auf Käpt'n Blaubär und verwechselt Fiktion und Wahrheit ■ Von Eberhard Spohd
Am Anfang war er noch eine Figur, die für Kinder entwickelt wurde. Heute ist er ein Megastar für die ganze Familie und der allwöchentliche Höhepunkt der „Sendung mit der Maus“. Grund genug also, daß sich auch die Politik – dank Gerhard Schröder ohnehin angeblich so populistisch wie lange nicht mehr – mit Käpt'n Blaubär auseinandersetzt. Und bei einem so wichtigen Thema darf sich nicht nur irgendein Parlamentarier mit dem Lügenbold beschäftigen. Nein, der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt, Ortwin Runde (SPD), kümmerte sich gestern persönlich um den Seefahrer.
Anläßlich der Präsentation des neuen Buches Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär – insgesamt hat er 27 davon – hielt das Stadtoberhaupt auf der Rickmer Rickmers eine Laudatio auf den windigen Seebären, dessen Hauptaufgabe darin besteht, seinen drei Enkeln die Welt, wie er sie auf seinen Fahrten kennengelernt hat, zu erklären. Runde zog gleich die entsprechenden Parallelen zwischen Fiktion und Wahrheit.
Daß alldienstäglich die blauen Blitze in den Senat einschlügen, dort aber keineswegs die Blau-bär'schen Stollentrolle, Eisenmaden oder Gletschermumen säßen: „Vielmehr sind, wie ich unbescheiden postulieren darf, dort schon vagabundierende Rettungssaurier aufgetreten.“ Das sind nämlich Lebewesen, die sich auf Rettungen in allerletzter Sekunde spezialisiert haben. Darüber hinaus erinnerte er an die revolutionäre Vergangenheit. Allerdings wollte er sich dann doch nicht den Fragen widmen, „ob denn Zamonien überall ist oder ob man besser zwei, drei oder viele Zamoniens schaffen solle“. So heißt der phantastische Kontinent, auf dem die Halbbiographie des Käpt'n Blaubär spielt.
Ob sich der Schöpfer der maritimen Figur, Walter Moers, über solche Mißdeutungen seines Werkes geärgert hat, mag man nicht so genau beurteilen. Daß der animierte Meister Petz aber gleich als Hansestädter inventarisiert wird – „Käpt'n Blaubär gehört nach Hamburg, und wir nehmen ihn hiermit einfach mal in Besitz“ – dürfte dem gebürtigen Mönchengladbacher schon ein wenig aufgestoßen sein, auch wenn er inzwischen in Altona lebt. Schließlich liest der Käpt'n in seinem Biedermeier-Sessel stets die „Bärliner Zeitung“ und schaut vor seiner Kate auf das Ostfriesische Meer und nicht auf den Hamburger Hafen.
Aber für solche Fälle von Insubordination unter das künstlerische Schaffen hat Moers auch noch eine weitere, bei weitem weniger kinderkompatible Figur in seinem Zeichenrepertoire: das kleine Arschloch. Und der knollennäsige Unsympath weiß bestimmt mit unbotmäßigen Regierungschefs unzugehen.
Walter Moers: Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär, Frankfurt, Eichborn; 704 Seiten; 49,80 Mark
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