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Medikamente, die unter die Haut gehen

Mit High-Tech-Pillen wollen Pharmaforscher die Patienten gezielter mit Medikamenten beliefern. Die mit Biosensoren und Computerchips ausgerüsteten Wirkstoffbehälter können von außen ferngesteuert werden  ■ Von Wiebke Rögener

Milliardensummen investiert die pharmazeutische Industrie in die Neuentwicklung von Arzneiwirkstoffen. Der Kranke bezahlt's und schluckt brav Pillen und Pülverchen. Doch längst nicht alles davon hat Gelegenheit, im Körper seine heilende Wirkung zu entfalten. So mancher Stoff wird größtenteils von Enzymen zersetzt, bevor der Rest seinen Zielort erreicht. Eine erhebliche Menge wird auch unverrichteter Dinge wieder ausgeschieden und landet in der Kanalisation. Die Pharma- Tüftler in Unis, Forschungsinstituten und Industrie suchen daher nach Wegen, den Körper gezielter und kontrollierbarer mit Medikamenten zu beliefern.

Ob Nasenspray oder Zäpfchen – einmal verabreicht, verteilen sich herkömmliche Medikamente passiv im Körper und gelangen mehr oder weniger schnell dorthin, wo sie gebraucht werden. Ob sie zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Menge eintreffen, läßt sich schwer abschätzen, denn es gibt große individuelle Schwankungen bei Transport und Abbau von Arzneimitteln. In jedem Fall ist nach einiger Zeit die Ration verbraucht und die nächste Dosis fällig. Für den Patienten bedeutet das nicht nur Unannehmlichkeiten, sondern auch ein ständiges Auf und Ab des Wirkstoffpegels, das oft nicht dem wirklichen Bedarf entspricht.

Tropfen und Tabletten haben zwar noch lange nicht ausgedient. Doch zunehmend macht die Konkurrenz von der High-Tech-Front von sich reden. „Neue Applikationsformen“ heißt das Schlagwort. Dahinter verbergen sich ganz unterschiedliche Konzepte.

Um die verlustreiche Passage durch den Darm zu vermeiden, arbeiten verschiedene Forschergruppen daran, „die Hautbarriere zu besiegen“, wie die daran beteiligte Firma IDEA in München formuliert. Vor allem bei den neuen Errungenschaften der Pharmaforschung handelt sich oft um große Moleküle (Peptide, Eiweiße, Oligonukleotide), die durch Verdauungsenzyme leicht angreifbar sind. Wissenschaftler vermuten zukünftig verstärkten Bedarf an Transportsystemen, die solche Arzneistoffe in den Körper schleusen.

Für das medizinische Sperrgut werden daher flexible Hüllen aus fettähnlichen Molekülen und oberflächenaktiven Substanzen konstruiert – sogenannte Transfersomen. Anders als die altbekannten, von der Kosmetikindustrie gepriesenen Liposomen, so versichert IDEA-Gründer Gregor Cevc, können diese stark verformbaren Partikel mit ihrer Medikamenten-Fracht tatsächlich die Haut durchdringen. Ob die Pharmaindustrie diese Schleuser aber tatsächlich schon engagiert hat, möchte die Firma auf Nachfrage nicht verraten.

Auch die Forscher um Claus- Michael Lehr an der Universität Saarbrücken samt Spin-off-Firma („Across Barriers“) suchen nach Verpackungen für sperrige Arzneimoleküle. Da herkömmliche Liposomen nicht in nennenswerter Zahl unter die Haut gehen, möchte man dem Körper die Fettkügelchen durch allerlei Zusätze schmackhaft machen. So experimentiert Lehr mit sogenannten Virulenzfaktoren, Molekülen also, die Krankheitserregern ermöglichen, sich an Zellen anzuheften. Sie können dann die Zellmembran durchdringen und sich so im Körper einnisten. In Liposomen eingebaut sollen diese Faktoren künftig Medikamenten Zutritt zum Körper verschaffen.

Ähnliche Wirkung erhoffen die Forscher sich von Molekülen, die an Zucker auf der Zelloberfläche binden, sogenannten Lektinen. Diese könnten die Aufnahme von Liposomen in die Lungenzellen erleichtern, wie erste Experimente an Zellkulturen zeigen. Ein Gerät, das solche „klebrigen“ Liposomen mit einer Art Inhalator versprüht und damit direkt der Lunge zugänglich macht, empfiehlt Lehr besonders zum Transport von Reparatur-Genen, mit denen man künftig die Cystische Fibrose, eine Lungenerkrankung, zu behandeln hofft.

Am Institut für Pharmazeutische Technologie der Universität Münster geht man andere Wege. So wurde hier ein magnetisches Vorratslager für Medikamente erfunden. Viele Arzneistoffe werden nur im oberen Teil des Dünndarms vom Körper aufgenommen. Die Forscher um den Institutsdirektor Rüdiger Gröning versahen daher eine Medikamentenkapsel mit einem magnetische Material und befestigten einen weiteren Magneten auf dem Bauch der Versuchspersonen. Auf ihrer Reise durch den Verdauungstrakt wird die Kapsel nun durch die Anziehungskraft zu einem längerem Aufenthalt im Magen gezwungen und entläßt dort das Medikament allmählich in den nachfolgenden Dünndarmabschnitt. Klinische Versuche mit dem antiviralen Mittel Aciclovir – wirksam zum Beispiel gegen Herpesviren – zeigten Vorteile gegenüber herkömmlichen Kapseln.

Schon seit Jahrzehnten gibt es sogenannte Depotformen, die Arzneimittel über einen längeren Zeitraum kontinuierlich abgeben. Doch handelt es sich stets um passive Systeme, die etwa durch die Löslichkeit des Mittels bestimmt sind. Zukünftig, so stellen die Forscher sich vor, könnten Vorratslager im Körper des Patienten angelegt werden, die von außen aktiv steuerbar sind und gezielt veränderliche Mengen von Wirkstoffen abgeben. So wurden, ebenfalls in Münster, Wirkstoffbehälter entwickelt, die auf unterschiedliche Weise zu beeinflussen sind. In der Form ähneln sie gewöhnlichen Arzneikapseln. Doch in ihrem Inneren verbirgt sich neben einem Vorrat des Arzneimittels eine winzige Pumpe nebst Batterie. Sie läßt sich von außen über einen Elektromagneten anschalten. Zumindest im Modell ist es so möglich, stündlich eine genau dosierte Menge aus der Kapsel herauszupumpen.

Auch die Bedienung über eine Art Radioempfänger wurde bereits erprobt. Die Fernsteuerung könnte ein Computer übernehmen, der gleichzeitig bestimmte Meßwerte des Patienten erfaßt, die für die Dosierung des Medikaments ausschlaggebend sind, etwa den Blutdruck oder die Konzentration eines Stoffwechselprodukts im Plasma.

Auch wird an Geräten gearbeitet, die selbst „merken“, wieviel von einem Arzneimittel der Körper braucht – Sensoren sollen den Bedarf melden und für die angemessene Liefermenge aus dem Depot sorgen. Für einen solchen „Just in time“-Service wird die Freisetzung des Wirkstoffs über einen elektronisch-biologischen Regelkreis bestimmt: Ein winziger Sensor im Körper könnte beispielsweise die Blutzuckerkonzentration eines Diabetikers messen und bei Bedarf eine Insulinpumpe ansteuern. Das Team um Gröning hält es für möglich, Sensor und Pumpe zu vereinigen – Mikroorganismen könnten beide Aufgaben zugleich übernehmen: Eine experimentelle Pumpe wurde entwickelt, die in einer Kammer neben dem Hormonvorrat getrocknete Hefezellen enthält. Diese werden durch zuckerhaltige Lösungen aktiviert und produzieren dann Kohlendioxid. Dieses Gas treibt schließlich den Kolben an, der Insulin in den Kreislauf befördert – je mehr Zucker, desto mehr Gasproduktion und desto mehr Insulinabgabe. Mittels Gentechnik ließen sich allerlei Mikroorganismen konstruieren, so die Forscher, die spezifisch auf unterschiedliche Stoffe mit Gasproduktion reagieren. Damit ließe sich dann wohl ein ganzer Maschinenpark im Körper betreiben.

Doch bis dahin wird es noch eine Weile dauern. Rüdiger Gröning warnt nachdrücklich vor überzogenen Erwartungen: Die sensorgesteuerte, vollautomatische, implantierbare Insulinpumpe sei zwar schon oft versprochen worden, aber vorläufig nicht in Sicht. Erste klinische Tests der biologisch gesteuerten Pumpe aus Münster sollen zwar schon in diesem Sommer in einer griechischen Klinik anlaufen – doch geht es dabei um den kurzfristigen Einsatz, damit Diabetiker beispielsweise bei Operationen optimal versorgt werden. Regelmäßige Implantationen bei Millionen von Diabetikern hält Gröning dagegen nicht für ein realistisches Ziel.

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