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„Der Sepp, der Franz, der Gerd & ich“

Ein erledigter Fall: Der Europapokal der Pokalsieger hat noch 13 Spiele zu leben. Schade – oder gut? Die Cupsieger Franz Roth, Dr. Peter Krohn und Jürgen Sparwasser wägen ab  ■ Von Markus Geling

Die Augen brennen, die Stimme ist belegt. Geht Großes zu Ende, stellt sich Trennungsschmerz ein: Wenn der Lieblingsitaliener schließt, der letzte Tag des Englandurlaubs anbricht oder die Freundin Schluß macht. Manchmal wird ein Ende aber auch herbeigesehnt: Ausgelassen freut man sich auf das Vorübergehen des Winters, das der fiebrigen Grippe oder das des unerträglichen Films „Rendezvous mit Joe Black“.

Nun stehen die letzten 13 Spiele des Europapokals der Pokalsieger an. Heute die allerletzten Viertelfinal-Hinspiele. Der 1960/61 erstmals ausgespielte Wettbewerb wird eingestellt, weil er nicht genug Geld bringt. In Zukunft spielen die Pokalsieger im Uefa-Cup mit. Anlaß zur Trauer oder Erleichterung?

Einerseits muß ein Wettbewerb, der es selbst dem MSV Duisburg gestattet, auf europäischer Ebene herumzudilettieren, in der Tat schleunigst eingestellt werden. Andererseits: Sorgte nicht gerade auch der Cupsieger- Cup für magische Fußballmomente?

Wäre diese Frage 1966 einem Dortmunder gestellt worden – die Antwort wäre klar gewesen: Jau! Denn damals gewannen die Borussen durch ein 2:1 über den FC Liverpool als erstes deutsches Team den Pokalsieger-Wettbewerb. Das Siegtor erzielte in der Verlängerung „an Gott kommt keiner vorbei außer“ Libuda. 100.000 kollektiv freudentaumelnde Dortmunder empfingen daraufhin Aki Schmidt, Lothar Emmerich und Konsorten auf dem Borsigplatz.

Nicht nur das Arschleder, auch die Lederhose wurde durch den Pokalsieger-Cup international salonfähig – der FC Bayern München holte den Pott 1967. Eine entscheidende Rolle spielte dabei ein kräftiger Mann aus Memmingen: Franz Roth, unsäglicherweise „Bulle“ genannt. Der erzielte im Finale gegen Glasgow Rangers das einzige Tor. Roth (52), der heute zwei Sportgeschäfte betreibt, erinnert sich en détail: „Es kam eine weite Vorlage von Ohlhauser, ein 40-Meter-Paß in den Strafraum. Ich konnte meinem Gegenspieler weglaufen, ich kam ja mehr von der Kraft, das hat mir in der Verlängerung geholfen. Dann habe ich den Torwart rauskommen sehen und einen Heber gemacht.“ Den Sinn, diesen Treffer noch einmal in schillernden Farben zu schildern, sieht Roth dann aber doch nicht. „Sie haben das Tor doch bestimmt schon mal im Fernsehen gesehen. Das liegt ja in allen Archiven.“ Stimmt auch wieder.

Dies war der erste internationale Titel der Bayern und – keine Floskel! – die Geburt einer großen Mannschaft. Denn „der Sepp, der Franz, der Gerd und ich, wir waren damals ja alle erst um die 20“, sagt Roth.

Würde sich ein Sportstudent mit der Geschichte des Pokalsieger- Cups beschäftigen – er müßte an dieser Stelle „Korrelation!“ brüllen und auf den Hamburger SV verweisen. Denn auch der holte überraschend den Titel (1977) und kündigte damit die wirklich große HSV-Ära an. Entscheidende Motivation sollen Felix Magath, Manfred Kaltz, Georg Volkert und Kollegen damals aus dem Dauerstreit zwischen Trainer Kuno Klötzer und Manager Dr. rer. pol. Peter Krohn gezogen haben.

Krohn (67), Mitglied des HSV- Aufsichtsrates, interpretiert die Fehde heute anders: „Wir haben unsere unterschiedlichen Meinungen oft bewußt durchsickern lassen. Tags darauf haben wir dann beim Bier zusammengesessen und darüber geschmunzelt, wenn in der Zeitung stand: ,K und K trommeln wieder‘.“ Nicht umsonst wird Krohn nachgesagt, er habe als einer der ersten erkannt, daß der Fußball auch eine bedeutende wirtschaftliche Komponente hat. Offensichtlich war er auch einer der ersten PR-Experten. Trotzdem steht selbst ihm „der Kommerz heute zu sehr im Vordergrund“. Fußball sei mehr als nur Geschäft. „Gerade in den Industriestädten hat der Verein den Leuten Erfolgserlebnisse vermittelt, die sie in ihrem mechanisierten Berufsalltag so nicht mehr erleben konnten.“

Hups, jetzt wird's ernst, wir erreichen eine höhere Abstraktionsebene. Zeit also, Jürgen Sparwasser zu Wort kommen zu lassen. Der holte 1974 mit dem 1. FC Magdeburg den Cup – durch ein die Fachwelt verblüffendes 2:0 über den AC Mailand. Heute ist er Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballer (vdv). „Ich halte die Entwicklung für bedenklich“, sagt er. Durch die Einstellung des Europapokals der Pokalsieger verlöre auch der DFB-Pokal an Bedeutung. „Ich bin gespannt, wie der Fan das aufnimmt. Da bricht eine sportliche Tradition weg, die davon gelebt hat, daß der Kleine dem Großen ein Bein stellen kann. Das hatte Esprit.“

Hier mag der frankophone Mensch einwerfen, daß Esprit, also Geist und Witz, im Pokalsieger- Cup zuletzt eine eher untergeordnete Rolle spielten. Zumal modusbedingt bisweilen eh nur der Vize- Pokalsieger an den Start ging. Vor allem ist Krohn und Sparwasser zu erwidern, daß sämtliche „Huch, wie schade, auf einmal regiert das banale Geld den Sport“-Argumente von unangemessener Romantik zeugen. Denn als Väter der Europapokalidee gelten der französische Sportredakteur Gabriel Hanot und der polnische Spielevermittler Julius Ukrainczyk. Sie riefen den Europapokal auch deshalb ins Leben, um aus dem Fußball ein gewinnträchtiges Geschäft zu machen. Nun wird der Europapokal aufgrund finanzieller Erwägungen reformiert. Das ist logisch, das ist Fußball. Wer das beklagt, kann sich gleich darüber echauffieren, daß spanisches Essen ölig und Fernsehen oberflächlich ist.

Aber jetzt mal ehrlich, meine Herren: Fühlen Sie sich durch das Ende des Pokalsieger-Wettbewerbes um ihren Erfolg betrogen? „Ein bißchen traurig bin ich schon. Schließlich hatten wir uns damals einen Traum erfüllt“, sagt Dr. Krohn. Sparwasser betrachtet es nüchtern: „Für die Bewertung unseres Erfolges ist das egal.“ Entscheidend sei, daß „der Wettbewerb einen großen Stellenwert hatte, als wir ihn gewonnen haben“. Und Roth sieht das Ganze eher entspannt: „Ich hatte ja das Glück, in vielen Endspielen wichtige Tore zu schießen.“

Eben. Was soll's also? Zumal Ludger Schulze im Buch „Die Geschichte des Europapokals“ schon 1990 resümierte: „Glanzvolle Perioden brillanter Teams mit großen Stars hat der Cup der Pokalsieger nicht vorzuweisen.“ Dabei blieb's. Auch wenn Werder Bremen 1992 mit einem 2:0 gegen den AS Monaco den Titel holte – vor gerade einmal 15.000 Zuschauern.

Allen Unkenrufen zum Trotz wird das Magdeburger Sieger- Team von 1974 am 8. Mai zusammenkommen: Bei Faßbier soll noch einmal der Treffer von Lanzi (Eigentor) und Seguin gedacht werden. Romantisch, kein Zweifel. Aber kein Grund, am Wettbewerb festzuhalten. Oder würde es jemanden rühren, wenn sich Töfting, Neun und Emmerling in 25 Jahren träfen, um der ach so glamourösen Europapokalteilnahme des MSV Duisburg zu gedenken? Eben.

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