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"Nackt fühl' ich mich unwohl"

■ Von ländlichem Gesindel, Volksmusik, Sex und anderen Emanzipationen: Ein Gespräch mit Sophie Rois über ihre Rolle als Magd in Stefan Ruzowitzkys "Die Siebtelbauern", der bereits als Überraschungsfilm des Jahr

Stefan Ruzowitzkys ursprünglich für das österreichische Fernsehen gedrehte Bauerndrama „Die Siebtelbauern“ mit der Castorf-Schauspielerin Sophie Rois in der Hauptrolle, ist die Geschichte von sieben Mägden und Knechten, die durch einen Todesfall unverhofft selbst jeweils zu einem Siebentel Bauern werden. Der Film des Max-Ophüls-Preisträgers Ruzowitzky schildert am Beispiel der selbstbewußten Magd Emmy den im Oberösterreich der zwanziger Jahre zum Scheitern verurteilten Versuch der Bauern, eine gerechte soziale Utopie zu erschaffen. Gespielt von einer herausragenden Sophie Rois, ist sie eine Metapher für den Aufbruch des entrechteten Gesindels in eine vermeintlich bessere Welt, Amerika immer als Lichtstreif der Hoffnung am Horizont – ein naiver Aufbruch, aber auch ein unschuldiger. Auf dem New-York-Filmfestival gehörte „Die Siebtelbauern“ zu den meistgelobten Filmen: Die Jury bezeichnete ihn als „besten deutschsprachigen Film seit Ende der 70er Jahre“.

taz: Frau Rois, mit „Die Siebtelbauern“ haben Sie in einer deutschsprachigen Produktion mitgewirkt, die aus dem Komödieneinerlei radikal herausragt. Was gibt Ihnen diese Sicherheit, das eine zuzusagen und eine andere Produktion abzulehnen?

Sophie Rois: Es ist schon ein Instinkt, aber manchmal eben ein Instinkt, auf den ich nicht höre. Und dann bezahle ich bitter. Ich sage: bitter! Mit Scham und Schande.

Ist das der Grund, weswegen Sie nur so selten auf der Leinwand zu sehen sind?

Ich sage nur: Der arme Schauspieler, der sich in einem schlechten Film wiederfindet! Auf der anderen Seite gilt aber auch: Wer sich nicht aus dem Fenster hängt, der kriegt auch keine Ohrfeigen. Meine Agentin meinte einmal zu mir: Sophie, dein Problem ist, daß man dich nicht als „normale“ Frau besetzen kann.

Weil Sie als starke Frau gelten?

Starke Frau? Das ist ein Begriff, mit dem ich nichts anfangen kann. Das klingt für mich so, als ob Frauen erst 1992 damit angefangen hätten zu beweisen, daß sie stark sind. Das waren sie schon vorher. Im übrigen gibt sich heute jede Schauspielerin als starke Frau aus.

In „Die Siebtelbauern“ spielen Sie tatsächlich eine.

Ja, Emmy weiß immer alles besser. Sie ist die Aufrechte im Gegensatz zu den Jungs, die Fehler machen dürfen in ihrer Geschichte, weil sie Jungs sind. Ich spiele jedoch nicht den Part der moralisch Integren, die per se recht hat. Was mich an dem Drehbuch fasziniert hatte, war, daß der Stoff den Filmen von Sam Peckinpah ähnelt – in seiner expliziten Gewalttätigkeit wie auch in seinem Schwelgen in Hippie-Identitäten. Nimm „Pat Garret & Billy The Kid“, wo man teilweise fast von einer Hippiekommune reden kann, wo eine soziale Klasse ins Spiel kommt, nämlich das Gesindel, das massenweise von Europa ausgewandert war und in Amerika die Erfüllung seines Glücks suchte. Das Scheitern der eigenen sozialen Utopie wird sozusagen auf einen anderen Kontinent vertagt. Die Protagonisten in „Die Siebtelbauern“ haben genau diese diffuse Utopie Amerika als Notanker. Weil sie nichts mehr zu verlieren haben, weil Blut und Boden weg sind.

Weil die eigene Scholle mit einem Mal weniger wert ist als der eigene Wille?

Und in dem Moment, wo sie ihren eigenen Willen durchsetzen wollen oder vermeintlich müssen, ihrerseits an ihre Grenzen stoßen.

Wie die neue Bundesregierung.

Von mir aus. Nur daß die Musik in den Filmen Peckinpahs stimmig war...

...während in „Die Siebtelbauern“ unerklärlicherweise unaufhörlich Erik Satie zu hören ist...

Ich habe bis zuletzt auf den Regisseur eingeredet, daß in dem Film Volksmusik zu hören sein müßte, die Musik des Gesindels, und nicht die Musik einer aufgeklärten Klasse. Bei „Pat Garret“ hat Bob Dylan die Musik gemacht, und das Faszinierende an dem Film war unter anderem die Stimmigkeit von Bild und Musik.

Möglicherweise ist das in Amerika einfacher zu bewerkstelligen.

In Deutschland gehört die Volksmusik der CSU, den Nazis und den total Vertrottelten. Hier ist die Volksmusik heute Kitsch und hat sich nicht weiterentwickelt, während Country in Amerika auch eine Art Nachrichtendienst der Entrechteten war. Ich würde so weit gehen wollen, daß die deutsche Volksmusik deswegen einen so bitteren Tod sterben mußte, weil sich das Gesindel damals lieber einem Diktator angeschlossen hat als das Wagnis zu unternehmen, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen. Und das bezahlen wir unter anderem mit schlechter Volksmusik.

Was aber war der Impuls, den Film in den 20er Jahren spielen zu lassen, wo doch die Moral der Geschichte durchaus auch in der heutigen Zeit zu plazieren gewesen wäre?

Gut, andererseits haben wir keinen Historienfilm, der durch seine Ausstattung lebt, gedreht. Die Frage war eben nicht: Wie haben sich Bauern neunzehnhundertund... bewegt, um möglichst nahe an der „Herbstmilch“ dran zu sein, sondern wir sind ja fast so etwas wie eine Halbstarkengruppe. Also, wenn ich mir den Film angucke, dann denke ich manchmal: Wir hätten auch Sonnenbrillen tragen können. Oder Lederjacken.

Dann wären wir bei Botho Strauß gelandet!

Um Gottes willen!

Kleiner Scherz. Aber reden wir über Sex: Emmy, die Magd, durchläuft eine Art sexueller Emanzipation, als sie gewahr wird, daß sie als ganze – oder eben Siebtel- – Bäuerin selbst für sich verantwortlich ist.

Das stimmt. Während die Hasen zu Anfang immer ins Stroh hüpfen und unverantwortlich vor sich hinknallen, bedeutet das Gewahrwerden einer eigenen Verantwortung auch einen anderen Umgang mit der eigenen Sexualität. Der Film trifft da Zwischentöne und beobachtet sehr unreißerisch.

Wie wichtig ist Ihnen als Schauspielerin die Frage, wie in einem Film mit Sex umgegangen wird?

Bei „Die Siebtelbauern“ hat diese Frage keine Rolle gespielt.

Aber in Talkshows stellen Sie sich sehr wohl Themen wie „Sex als Rolle“. Ist das Ihr Metier?

Aber eigentlich bin ich doch eher verklemmt. Das Katholische ist mir doch näher als das Protestantische, wo man sich immer gleich auszieht. Sex gehört für mich in diesem Sinne in den Bereich des Verbotenen. Entscheidend ist für mich, ob ich einen Zugang zu dem Dargestellten finde. Wenn ich diesen Zugang, meinen Zugang finde und man mir mein Geheimnis beläßt, habe ich gar keine Probleme mit Sexszenen. Vermutlich geht es um das Gefühl von Nacktheit: Wenn ich mich nackt fühle, fühle ich mich unwohl. Beläßt man mir hingegen mein Geheimnis, fühle ich mich auch nicht nackt.

In New York wurde Ihre Rolle der starken Emmy als „Triumph des Willens“ bezeichnet. Wird da überinterpretiert?

Ist halt sehr amerikanisch, die Herangehensweise, aber 's paßt schon. Im Film bin ich zum Schluß geschändet, aber ich habe meinen Stolz nicht verloren. Der Wille triumphiert tatsächlich über das gemeine Leben.

Und das große Pathos siegt ebenfalls: „Die Tiere blieben ungefüttert“, heißt es da, weil die Geknechteten ihren Helden, die fast schon zu Märtyrern aufgestiegen sind, lieber Respekt zollen, als ihrer Arbeit nachzugehen.

Ein Film darf melodramatisch sein, finde ich, das wollen wir doch auch sehen. Denn weint der Zuschauer, freut sich die Sophie.

Die Saga von der Befreiung der Mägde und Knechte spielt auf dem oberösterreichischen Land – in der Nähe von Linz, wo Sie aufgewachsen sind. Beeinflußte dieser Umstand die Interpretation Ihrer Rolle?

Absolut! Ich kenne das Leben in der Provinz. Ich kenne den Horror der Provinz. Und ich kenne den Horror der sozialen Kontrolle. Und ich möchte nie wieder zurück aufs Land.

Das klingt ja danach, als ob die heutige Realität in Oberösterreich gar nicht so weit entfernt ist von der im Film dargestellten...

Von der sozialen Realität, die heute auf dem Land in Oberösterreich herrscht, ist der Film natürlich weit entfernt. Nur die Enge vielleicht, in der Dorfleben stattfindet, dort, aber auch anderswo, die gibt es auch heute noch. Daß jeder Bescheid weiß über den anderen. Die Leute in der Stadt sind natürlich auch nicht besser, aber die Anonymität der Großstadt zwingt die Menschen zur Toleranz, während auf dem Dorf die Meinung einer kleinen Mehrheit einen Menschen zerstören kann.

Ist der Film also entkernt ein Plädoyer für das Stadtleben?

Für die Protagonisten ist die Stadt, die in dem Film ja einen Namen trägt, nämlich New York, die ganz große, märchenhafte Utopie von einer besseren Welt. Insofern spielt der Gegensatz Stadt zu Land eine gewisse Rolle. Aber das war's dann auch schon.

Weshalb haben Sie eigentlich keinerlei Ambitionen, in Amerika zu drehen? Immerhin bringen Sie sich so um die Möglichkeit in großen, lustigen Filmen wie etwa Paul Verhoevens „Starship Troopers“ mitzuwirken.

Mein absoluter Lieblingsfilm. Trotzdem habe ich keine Ambitionen und vor allem habe ich keine Sehnsucht nach Hollywood.

Kein Wunsch ganz nach oben zu kommen?

Welche annehmbaren Vorstellungen von Erfolg und Belohnung gibt es denn in dieser Welt? Mich auf der Bild-Zeitung, Seite eins, oberes Drittel zu sehen, wenn ich meinen Freund ohrfeige? Der Umstand, daß Ben Becker von seiner Freundin verlassen worden ist, wurde genau dort verhandelt. Das ist dann also die Qualität von Erfolg? Nein! Ich freue mich, wenn eine Arbeit, die ich gut gemacht habe, auch gut ankommt. Aber um jeden Preis durchzumarschieren, in einer Zeit, in der jeder Trottel in einer Talkshow erzählen darf, wann er sich mit wem irgendwelche Gurken in den Hintern schiebt – nein, das muß ich nicht. Ist nicht mein Ehrgeiz. Interview: Max Dax

„Die Siebtelbauern“. Regie: Stefan Ruzowitzky. Mit Sophie Rois, Ulrich Wildgruber, Lars Rudolph und anderen. Österreich 1998, 90 Minuten

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