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Bilder legen auf dem Eis

■ Bei der Deutschen Meisterschaft im Curling in Hamburg darf niemand „Eisstockschießen“ sagen

Was bringt einen Menschen dazu, einen Stein über eine Eisfläche schliddern zu lassen? Spiel-trieb, Vergnügen, der sportliche Gedanke? Durchaus. Und eines läßt Lenard Schulze ärgerlich werden. „Curling wird häufig falsch verstanden und mit Eisstockschießen verwechselt“, erklärt der Präsident des Curling Clubs Hamburg (CCH), dem ersten und bislang einzigen Verein der Hansestadt.

Dabei ist Curling bestechend einfach: Man legt mit den Spielsteinen – 19 Kilogramm schwere, mit einem Griff besetzte Granit-Brocken – Bilder auf das Eis. Allerdings nicht beliebig. Möglichst viele der polierten Spielgeräte müssen an den Mittelpunkt, dem sogenannten „Tee“, dreier auf dem Eis markierten Kreise gespielt werden. Zwei Teams mit jeweils vier Spielern treten mit zwei Steinen pro Teilnehmer gegeneinander an. Das Ziel ist es, mit den Steinen das eigene Bild auf dem Eis durchzusetzen und das der gegenerischen Mannschaft zu zerstören.

„Curling ist ein strategisches Spiel“, beschreibt Schulze. Steine würden gedeckt, freigespielt, fremde Steine blockiert und geschlagen, Züge vorausberechnet, Qualitäten und Schwächen der Gegen- und Mitspieler berücksichtigt. Daher bezeichnen die Athleten ihren Sport, seit den Winterspielen 1998 in Nagano sogar olympisch, auch gerne als „Schach auf dem Eis“.

Das ist allerdings schwieriger, als es aussieht. Mit aufgesetzter Slidesohle, dem achtlos nachschleifenden zweiten Bein knapp über dem Eis liegend bringen Curler den Fels ins Gleiten. Lange blicken sie ihm nach und geben den Wischern – ausgerüstet mit einem Besen und rutschfesten Standsohlen – Instruktionen, wie intensiv der glatte Untergrund zu bearbeiten ist. „Das Wischen erzeugt Reibungswärme“, verdeutlicht Lenard Schulze den Sinn und Zweck, „diese läßt die Oberfläche des 15 Millimeter dünnen Eises abschmilzen und einen Wasserfilm entstehen“. Der Widerstand wird herabgesetzt, und das dumpfe Stück Stein kreiselt leise schleifend dem Wasserfilm nach. Je druckvoller und geschwinder das Wischen, um so größer die erzeugte Wärme, damit um so stärker der Wasserfilm und letztlich um so größer die Veränderbarkeit von Richtung und Geschwindigkeit des Steins.

Bereits im 16. Jahrhundert wurde der Wisch- und Schiebsport erstmals in Schottland auf dem Eis der Lochs gespielt. Vor 30 Jahren kam Curling nach Hamburg. Der heute etwa 160 Mitglieder zählende CCH wurde gegründet und ist damit der größte deutsche Verein. Die Zahl der Aktiven stagniert allerdings. Kaum Sponsoren, keine Lobby und als Rentnersport verschrien, fristen die Eissportler bundesweit ein Schattendasein.

So werden zur Finalrunde der Deutschen Meisterschaft, die gleichzeitig die Qualifikation zur Weltmeisterschaft (April/Kanada) ist, auch nicht mehr als 100 Interessierte erwartet. Das Hamburger Team Johnny Jahr wird sich mit fünf Mannschaften aus den süddeutschen Raum auseinandersetzen müssen. Die Sieger, so schreibt es ein ungeschriebenes Curling-Gesetz vor, haben den Unterlegenen ein erwärmendes Getränk zu spendieren. Ein Brauch, der unter dem Hallendach nicht immer eingehalten wird. Oliver Lück

Finalrunde DM Männer: Fr. ab 19 Uhr, Sa. ab 8 Uhr, So. ab 9 Uhr, Hagenbeckstraße

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