HYMNE AUF EINE JUNGE FRAU: Schlimmer als die klassenlose Gesellschaft
Die Kluft zwischen den alten und den jungen Frauen ist nicht unüberbrückbar, findet Bremens erste Landesfrauenbeauftragte i.R., ■ Ursel Kerstein
Immer noch wird Frauen verweigert, was Ihnen seit langem – durch zahlreiche Gesetze manifestiert – zusteht: die Hälfte der Macht. Immer noch scheint die Aufhebung der festen Geschlechtsrollenidentifikation eine stärkere Bedrohung auszulösen als die Vorstellung einer klassenlosen Gesellschaft. Dabei müssen alle Anstrengungen und Maßnahmen auf dem steinigen Weg zur Gleichberechtigung Stückwerk bleiben, wenn sie nicht ernsthaft betrieben werden.
Und das kann nur von den Frauen selbst organisiert werden. Allen Unkenrufen zum Trotz: Es gibt sie doch, die neue Frauenbewegung! In meinem Umkreis gibt es viele junge Frauen, die erfolgreich daran arbeiten, Gleichstellungspolitik aus dem Ghetto der Frauenpolitik zu befreien und zu einem Anliegen von Frauen und Männern zu machen.
Eine Frau finde ich beispielhaft: Ulrike Hiller.
An ihrer Biographie ist abzulesen, wie sie durch die Ausbildung in einem sozialen Beruf schon sehr früh begriffen hat, wo Benachteiligungen erkennbar sind. Neben Studium und Beruf hat sie sich mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit immer dort engagiert, wo sie notwendig war. Zupacken, das ist ihre Devise, und es bedarf bei ihr nicht des wundertätigen Eingriffs eines Heiligen, um aktiv zu sein. Sie hat sich um die Probleme ausländischer Frauen gekümmert, war freie Mitarbeiterin für eine Flüchtlingsfrauengruppe und hat in den unterschiedlichsten Frauengruppen, Arbeitskreisen und Vereinen mitgearbeitet. Darüber hinaus ist sie Schöffin beim Jugendgericht.
Seit 1995 ist sie tätig als kommunale Frauenbeauftragte in Ottersberg und hat dort eine Reihe von Initiativen auf den Weg gebracht. Mir scheint, der Werdegang von Ulrike Hiller mündet ganz folgerichtig in ihrer jetzigen Station als Frauenbeauftragte. In diesem Job hat sie täglich mit dem Ausmaß zu tun, in dem traditionelle gesellschaftliche Geschlechtsrollenzuweisungen nach wie vor die Einstellungen und Verhaltensweisen von Frauen und Männern bestimmen. Daß sie die bestehenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen sowie die unterschiedlichen Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche, die damit verbundenen Hierarchien und schließlich die vielschichtigen Benachteiligungen und Diskriminierungen von Frauen fortsetzen. Es ist wie das Bohren von dicken Brettern, und das hat Ulrike bewiesen: Sie kann das!
Damit kann ihr Leben Ermutigung und Beispiel für hoffentlich ganz viele junge Frauen sein. Und meine Hoffnung auf die Weiterentwicklung der Frauenbewegung ist nicht unbegründet.
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