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Vernichtet und nie wieder aufgebaut

■ „Mordfelder“, eine Fotoausstellung von Henning Langenheim über den nationalsozialistischen Terror in der ehemaligen Sowjetunion

Während Auschwitz und Majdanek zu Chiffren für die Verbrechen der Deutschen während der Nazizeit geworden sind, erzeugen Namen wie Riga, Trostenez, Odessa oder Babi Jar in der Regel wenig Resonanz. Diese auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion liegenden Stätten des Naziterrors sind seltsam entrückt, als wäre noch immer ein eiserner Vorhang dazwischen.

Der in Berlin lebende Fotograf Henning Langenheim hat für sein Projekt „Memorials III“ zwischen 1993 und 1997 diese Plätze im heutigen Weißrußland, der Ukraine, Lettland und Litauen aufgesucht und auf Schwarzweißfotos festgehalten, was heute an den einstigen Schreckensorten zu sehen ist.

„Wie kann an die großen Verbrechen des nationalsozialistischen Völkermords erinnert werden?“ fragt Langenheim am Eingang seiner Foto-Ausstellung „Mordfelder“. Zu sehen sind Schwarzweißfotos mit Untertiteln und einigen kurzen Zitaten von Überlebenden. „Wo man sie erschoß, hat es angefangen zu regnen und nachher, wo es zu Ende war, hat es nicht mehr geregnet.“ Weitere Erklärungen finden sich in den ausliegenden Textmappen.

Die Motive könnten unterschiedlicher nicht sein. Da ist das Foto eines abgeernteten Feldes mit dem Satz untertitelt „Berditschew 1997, zwei Massengräber bei Mirny“. Dort wurden während der deutschen Besatzung fast dreißigtausend jüdische Menschen ermordet. Ein anderes Foto, es heißt „Friedhof der Dörfer“, zeigt Grabsteine mit verschiedenen Namen in kyrillischer Schrift. Wie man erfährt, sind dort die Namen von 186 Dörfern und Kleinstädten aufgeführt, die von den Deutschen vollständig vernichtet und nie wieder aufgebaut wurden. Orte, wie das 60 km von Minsk entfernte Chatyn, wo im Rahmen der Partisanenbekämpfung am 22. 3. 1943 alle Einwohner in eine Scheune getrieben und bei lebendigen Leibe verbrannt wurden. Nur drei Kinder und ein alter Mann überlebten das Massaker.

Das Foto einer Düne mit spärlichen Gräsern ist untertitelt mit „Liepaja 1994, vermuteter Exekutionsort.“ An diesem litauischen Ostseestrand wurden 2.700 Menschen ermordet. „Die Exekutionsstelle war von zahlreichen deutschen Zuschauern von der Reichsbahn und der Marine besucht“, heißt es in den beiliegenden Informationen. In der Ukraine und in Weißrußland zeigen die Bilder häufig die monumentale Erinnerungskultur aus Sowjetzeiten. Die Vernichtung der jüdischen Menschen wurde dabei in der Regel ausgeblendet. 33.000 Kiewer Juden wurden in den Schluchten von Babi Jar in der Nähe von Kiew unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch ermordet.

Anfang der 50er Jahre durfte ein Denkmal nicht aufgestellt werden, weil es nicht in die in der Spätphase der Stalinära entfachte antisemitische Kampagne paßte. Erst 1976 wurde auf internationalen Druck die Gedenkstätte von Babi Jar errichtet. In den baltischen Staaten wurden in den vergangenen Jahren viele Gedenkstätten aus sowjetischer Zeit zerstört.

Eine „Deponie sowjetischer Denkmäler“ hat Langenheim ebenso fotografiert wie den sich in einem erbarmungslosen Zustand befindenden jüdischen Friedhof im litauischen Kaunas. Die meisten Grabsteine wurden umgestürzt und beschmiert. Auch Naziparolen hat der Fotograf in unmittelbarer Nähe einer Exekutionsstätte entdeckt.

Nicht zuletzt haben sich im Gästebuch der Ausstellung einige Besucher mit nationalistischen Parolen verewigt. Was zeigt, wie wichtig eine solche Ausstellung ist in einer Zeit, in der so viel vom Schlußstrich geredet wird. Peter Nowak

Die Ausstellung „Mordfelder“ ist bis zum 28. 3. 99 im Museum Berlin-Karlshorst, Zwieseler Straße 4/ Ecke Rheinsteinstraße zu sehen. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr. Der Katalog kostet im Museum 20 DM oder als Buch, im Elefanten-Press-Verlag erschienen, 38 DM.

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