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Die Mode sitzt am Mittagstisch

Wo Mode herrscht, kann keine mehr gemacht werden. Damit hat die Mode gesiegt, denn von Anfang an hat sie vor allem einen Traum geträumt: den von der Abschaffung der Frau. Und damit den von ihrem eigenen Verschwinden. Jetzt tritt auf: die Marke  ■ Von Brigitte Werneburg

Jedes Jahr sehen wir mindestens zweimal die Mode der nächsten Zukunft – und jedes Mal tragen wir sie nicht. Niemand tut das. Im Februarheft der amerikanischen Harpers Bazaar schreibt die Chefredakteurin Liz Tilberis: „Mode ist nur Gegenstand der Fernsehberichterstattung – keiner von denen, die die Bildschirme bevölkern, trägt sie.“ Doch was soll man von ihrem Drang zur Mode halten, wenn man liest, was sie von einem Geschäftsessen berichtet? „Beim Mittagessen mit Calvin Klein trug ich einen blaßgrünen Rollkragenpullover und einen geraden Rock; er erschien im schwarzen Anzug mit einem schwarzen Rollkragenpullover. So kleidet man sich heute – kein Jackett für mich und keine Krawatte für ihn. Wir leben in einer Zeit, in der es häufiger ein Problem ist, overdressed zu erscheinen als underdressed.“

Dieses Problem droht inzwischen die Mode zu ruinieren, zumindest das Geschäft mit ihr. Da helfen auch vorgezogene Schauen nicht, wie sie jetzt gerade Helmut Lang in New York anregte. Und es hilft nicht, die Männer mit den Frauen laufen zu lassen, weil man so hofft, die Frauen zu mehr Extravaganz zu ermuntern. Die Männermode ist nämlich inzwischen die viel risikofreudigere. Der Mangel an Innovation wurde im Februar 1999 genauso beklagt wie im April 1998.

Bei Barthes ist Mode ein Nationalpark

Die Mode, so meinte noch Roland Barthes, sei jener Ort, an dem sich der Geist der Moderne, ihr Umgang mit dem Plastischen, dem Erotischen und dem Traumhaften am ehesten entziffern ließ. Und weiter sei sie „rechtmäßig, institutionell (das heißt mit dem Segen und der Anerkennung der ganzen Gesellschaft) eine Art Nationalpark, ein zoologisches Reservat, in dem durch überwachte Experimente die Spezies Frau erhalten, verwandelt und verfeinert wird.“

Roland Barthes muß an jene Mode gedacht haben, die Saison hat, die autoritär ist und Schnitte, Stoffe und Farben vorgibt. Jene Mode mochte noch die Spezies Frau verhandeln. Doch anders als dies Roland Barthes wahrnahm, hat die Mode vor allem diesen Traum von Anfang an geträumt: Den Traum von der Abschaffung der Spezies Frau. Und damit auch den Traum von ihrem eigenen Verschwinden.

Tatsächlich sitzt am erwähnten Mittagstisch am Ende des 20. Jahrhunderts die Mode selbst. Nicht, weil der Mann ein berühmter Modedesigner ist und auch nicht, weil die Frau eine Modezeitschrift dirigiert. Säßen hier ein Boxpromotor und seine Braut, so fände sich hier noch immer die Essenz dessen, was Mode ist: Säkulare Kleider. Kleider, die keinen religiösen Geboten mehr folgen. Der Anzug für den Mann, der gerade und kurze Rock für die Frau. Das sind die Kleider, die mit Tracht und Tradition brachen (mit dem Jodeln in Pluderhosen, wie Wiglaf Droste erst kürzlich das Kurdentum schmähte), mit Stand und Rang, mit christlichem, jüdischem oder islamischem Gebot, daß die Frau ihre Beine nicht zeigen darf. Daß die Mode avantgardistisch sein muß, daß sie den Stachel des Unvertrauten besitzen, daß sie gegen Konventionen verstoßen und die Welt neu erfinden muß, hängt ihr aus dieser Geschichte ihrer Geburt her an.

Niemals wird in Pluderhosen gejodelt

Natürlich sind es der Kapitalismus, die Industrialisierung, die moderne Arbeitsgesellschaft, die diese Säkularisation bewirkten. Jodeln in Pluderhosen und Kurdenstaat, das wird nie etwas werden, da hat Droste einfach recht. Doch wie kann man eine Welt noch revolutionieren, in der die religiöse Kleiderordnung genauso abgeschafft ist wie der repräsentative Prunk und der demonstrative Konsum, bei dem der Mann seinen Reichtum an seiner Frau, deren Kleider und Schmuck ausstellte?

Liz Tilberis hat auch Cherie Blair getroffen, wie sie im Februarheft von Harpers Bazaar erzählt. Die hat einen Ganztagsjob als Rechtsanwältin, drei Kinder und einen Premierminister am Hals, und dazu auch noch eine Perücke auf dem Kopf, wenn sie vor Gericht auftritt. Das heißt, sie verdient mehr als ihr Gatte und könnte demnach ihr Geld an ihm ausstellen. Vor allem aber heißt es, daß sie von ihren Haaren spricht, die in fünf Minuten hergerichtet sein müssen. Wohltätigkeit und Big Hair – das war Hannelore Kohl. Und das ist vorbei mit der neuen Regierung und einer Kanzlergattin Doris Köpf, die wenigstens bei ihren Haaren so tut, als sei auch sie in ständigem Streß.

Zeitnot wäre nach Roland Barthes die „Plastik“ und der Traum der Moderne. So soll zwar die Spezies Frau, die im Modeteil der Modezeitschriften virtuell noch lebt, langes oder längeres Haar tragen. Doch es muß dünn, glatt und wenig sein. So lautet die Übersetzung des Gesprächs von Tilberis und Blair in die fotogene Welt dessen, was Trend ist. Wir benutzten schon Ersatzhaare, sagt Eugene Souleiman, Stylist bei Louis Vuitton, aber nur um die Haare zu verlängern, in keinem Fall, um mehr Volumen zu haben. Bloß keine Mähne. Wer hat schon Zeit dafür? „Real-life“ heißt das Lob, wenn die Mode aus der Not eine Tugend macht.

In jener Welt, in der, wie man so schön sagt, die Mode herrscht, kann keine Mode mehr gemacht werden. Okay, es gab die Jugendrevolten, Mini, Hippie, Punk, Grunge. Und trotzdem: Nachdem Coco Chanel zu Beginn dieses Jahrhunderts den Frauen kurze, glatte Haare verpaßte, ein baumwollenes T-Shirt anzog und eine Gabardinehose, war eben alles gesagt. Als „American Classic“ verkauft die amerikanische Vogue in ihrem Februarheft diesen Stil als modische Option der Saison. Ja, statt Mode gibt es jetzt eben „Optionen“. Eine andere heißt Sportswear und wird jetzt „Athletic Look“ genannt, damit die Sache nicht gleich nach „seit hundert Jahren nichts Neues“ klingt. Die dritte ist „Weiß im Ashram Look“ und die vierte „die Rückkehr der Hippie-Braut“. Gucci bestickt dafür zerrissene Jeans im Muster jener indianischen Perlenketten, die um 1966 am Hals jedes Singer/Songwriters hingen. An die Beine sind Fasanenfedern genäht, „about $ 3.575“, vermerkt Harpers Bazaar.

Liz Tilberis wird niemals in diesen Jeans zu einem Mittagessen erscheinen. Auch sie berichtet nur über die Mode, die sie nicht trägt. Bestimmt wird sie aber ein Label tragen. Es gibt sicher ein hellgrünes Rollkragenpullöverchen, das 4.000 Dollar kostet und Gucci heißt. Doch jenseits des Spotts, wahr ist: man trägt heute nicht mehr Mode. Man trägt Marken. Remix und Labels heißt das Konzept, das die Popkultur liefert. Man pickt sich von gestern, heute und morgen heraus, was kombinierbar, vor allem aber unkompliziert tragbar ist.

Dünn soll das Haar sein, aber sauber

Denn tatsächlich geht es um die fünf Minuten. Dünn sollen, aber frisch gewaschen müssen die Haare sein. Sauber, das große Credo Andy Warhols zu Mode und Schönheit, gilt. Glaubensbekenntnisse werden noch abgegeben. Aber nicht mehr im großen Gottesdienst der Mode. Die Stoßzeufzer gelten einzelnen Schutzheiligen zu. Lieber, heiliger Helmut Lang, mach, daß ich mir den Ulf Poschardt fang. Oh, GAP! Doch so unrecht hat der Autor des viel kritisierten Buches „Anpassen“ nicht, wenn er glaubt, im Stil eines einzelnen Designers durchaus die Poesie, das Handwerk, das Raffinement und die Verwandlung des Alltäglichen zu finden, das unserer Vorstellung von Erotik, Form und Auftritt Ausdruck verleiht. Die Ästhetisierung der Lebenswelt, die mit der klassischen Moderne und ihrer Avantgarde in die Welt kam, kann vor der Person und dem Körper nicht haltmachen. Für diese Ästhetisierung kann nicht Mode stehen, dafür muß Sinn stehen, Haltung. Warum soll man diese Haltung nicht in einem Label repräsentiert wähnen? Kulturkritiker mögen hier nur höhere Warenkunde erkennen. Aber wer heute kein Avantgardist mehr ist, das heißt auch kein verkappter Darwinist (wie es die modernen Klassiker sämtlich waren), den berührt die Frage der Dekadenz nicht.

Wenn es die Mode nicht mehr gibt, die starke, dichte Ikonografie, dessen, was saisonal der Fall ist, dann mag es richtig sein, das, was die immer gleichen Kleider immer anders macht, im Label zu finden. Da kann dann der letzte Modeknüller die – man bedenke – graue Strickjacke sein („kein Hollywoodstar ohne graue Strickjacke“, Liz Tilberis). Da kann der vormalige Höhepunkt textiler Langeweile unschlagbar cool sein, weil unschlagbar praktisch, universell einsetzbar und doch subtil verfeinert, da in das Stück ein Mythos eingenäht ist, der eben Comme des Garçons heißt.

Der nächste Schritt ist sowieso, die Zeichen dort zu lesen, wo sie noch niemand liest. Das kann ganz preiswert sein. Und abenteuerlich. Und manchmal hilft es den jungen ModemacherInnen, deren Job in Zeiten der Labels, vor allem aber der wenigen sie vertreibenden Handelskonzerne, ja auch nicht einfacher geworden ist.

Bedeutet es für die Frauen nicht Freiheit, daß es nicht mehr ihre herangezüchtete Spezies ist, die den Ort der Moderne verkörpert? Die Mühen der Mode, die das Neue, das Unvertraute, den Stil, die Exzentrik liebt und das Risiko, die trägt nun der Modemacher allein. Man denke nur an Vivienne Westwood. Ihrer Kundinnen kann sie sich nicht sicher sein. Der Gottesdienst ist abgesagt, die Kirche leer. Die Mode mußte wie die Kunst ihre Auftraggeber verlieren. Jetzt bewegen sich ihre Hersteller auf einem freien Markt. Deshalb wird ihnen der Rang des Künstlers zugesprochen.

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