piwik no script img

Klassische Karrierefrauen

■ Immer noch geht die Legende, Frauen müßten mehr Weiblichkeit in die Zentrale der Macht bringen. Aber die kritische Dekonstruktion beweist: An Weiblichkeit besteht in Bonn kein Mangel. Die taz präsentiert Ihnen: fünf Hoffnungsträger, Anwärterinnen auf den Titel: Frau des Jahres '99

Man lasse sich durch die fleischigen Gesichtszüge nicht täuschen. Auch wäre es falsch, Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke für einen Einzelfall zu halten – es könnte in ihm das Gefühl aufkommen lassen, er sei anders als andere junge Frauen. Wie bei Kugelstoßerin Kumbernuss und Herta Däubler- Gmelin verbirgt sich hinter seinem bisweilen forschen Auftreten ein labiles Gemüt, das der besonderen Ansprache bedarf.

Funkes weibliche Züge äußern sich auch in einem ausgeprägten Hang zur Fürsorglichkeit (im Unterschied zu Däubler-Gmelin, der aber viele andere gute Eigenschaften nachgesagt werden). „Für seine Bauern tut er alles“, sagt Funkes Mutter. Doch der schöne Zug hat auch eine Kehrseite: Wie vielen modernen, äußerlich selbstbewußten Frauen fällt es auch Karl-Heinz Funke schwer, sich gegen die Bedürfnisse anderer abzugrenzen. Deshalb fühlt er sich im Umgang mit anderen oft unsicher.

Seine Neigung, es allen recht zu machen, hat ihn bei den Verhandlungen über die Reformen im europäischen Agrarsektor (“Agenda 2000“) schon mehrmals in Schwierigkeiten gebracht. „Ich weiß auch nicht, wie es kommt“, klagte er einem Freund nach einer harten Brüsseler Milchquotenrunde. Der Freund ist besorgt: „Durch seine Unschlüssigkeit zieht Karl-Heinz mich manchmal in seine Ambivalenz hinein. Ich möchte ihm da gerne raushelfen. Aber wie?“

„Frauen stecken sich manchmal selber zu hohe Ziele“, sagt Dorothee Kuhne vom Frauenselbsthilfezentrum „Lila Lutscha“, „hinterher sind sie dann enttäuscht, weil sie ihren eigenen Erwartungen nicht gerecht werden.“ Ihr Tip: vorher überlegen, was man wirklich erreichen kann, und dann mit einer guten Freundin durchsprechen. Den Zettel mit den Zielen kann man sich an den Kühlschrank oder den Badezimmerspiegel hängen. Patrik Schwarz

Für die Atomwerker ist er „Totengräber unserer Arbeitsplätze“, für die Medien „grüner Khmer“ und „Störfall“ der Koalition. Der Kanzler kann ihn nicht leiden. Ein harter Junge also, ein Vielfrontenkrieger, der Umweltminister Jürgen Trittin? Der Schein trügt. Schon die Stimme ist verräterisch: eher hell timbriert, nicht baßgewaltig und urmännlich. Auch figürlich verweigert er, fernab von Genscherschen Hängebacken und Kohlscher Wampe, die Grundausstattung des Bonner Politikers. Provozierend schlank schreitet er daher, mit Mona-Lisa-Lächeln und figurbewußt wie ein Model, das sich von Mineralwasser nährt.

Seine Verwurzelung im Weiblichen findet auch in der Politik ihren unmittelbaren Ausdruck. Worauf hat er sich als erstes gestürzt? Auf die Atomkraftwerke, gewiß. Aber hier vor allem auf die Entsorgung. Vergraben der Atomabfälle – das ist sein Thema: Mutter Erde! Sie, die große Nährerin, die uns an ihrem Busen säugt, liegt ihm am Herzen. Trittin will sie retten. Er kämpft wider die Plutoniumvergiftung der Mutter, der Fruchtbarkeit, des Weibes.

Den Entsorgungsweg über „Väterchen“ (!) Rußland lehnt er natürlich ab. Auch hier offenbart sich sein kritisches Verhältnis zum Maskulinen, das ja auch im Streit mit den Atomstromern – einer zu 100 Prozent männlichen Zunft – zum Ausdruck kommt. Ist nicht der Atommeiler, der Entsorgungspark, der Super-GAU sein großer Feind, die Sonne seine Freundin? Trittin scheint sensibel genug, um den weiblichen Anker in sich zu kennen, zumindest zu ahnen. Noch versucht er ihn abzuwehren. Wie sonst hätte er sich diesen patzigen Schnauzer stehen lassen, der nur noch bei Polizistenanwärtern im ersten Lehrjahr vorkommt? Hier will einer krampfhaft seine Männlichkeit unterstreichen, alle femininen Züge verdecken. Warum? Steh zu dir, Trittine, du Femme fatale! Manfred Kriener

Heut ist wieder der Tag, an dem die alten Geschichten erzählt werden: von der Hälfte des Himmels, den Frauennetzwerken, der Schwesterlichkeit und Frauenpower. Eine Geschichte ist neu: Der Kanzler war früher eine Frau. Ja, Gerhard Schröder, Obermacker, war einmal weiblich, weich und Feministin. „Gerda“ wurde er, äh, sie damals genannt.

„GERDA!“ rief damals die hohe Stimme einer gewissen Hillu so laut, daß es sogar im Focus zu lesen war. Das Polit-Ehepaar Hillu und Gerda Schröder gab sich so feministisch wie die Grünen in ihren besten Tagen: frauendominiert und strömungsquotiert. Gemeinsam mit Töchtern, Pferden und Hunden im Landhaus in Immensen übernahm Hillu das „Ressort Zärtlichkeit“. Zuständig für die drei „K“: Krötenwanderung, Krebskinder und Krachschlagen, wenn Gerda wieder Currywurst gegessen hatte. Mit fünf Ministerinnen im Schattenkabinett und „Hillu-Faktor“ wurde Gerda Ministerpräsidentin. So viel Frau war nie in Hannover. Wenn Landesmutter Gerda reizbar war, witzelten die Staatssekretäre: „Schröder hat wieder seine Tage.“ Rekord- Frauen-Faktor: 100 Prozent!

Leider wollte Ministerpräsidentin Gerda auch noch Kanzler werden. In Zeiten von Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise und Reformstau glauben Politiker gemeinhin, der Wähler verlange nach einem starken Mann. Plötzlich war selbst bei Sozens mit Kaschmir-Feminismus kein Blumentopf zu gewinnen. Ganz schnell mußte ganz viel Weiblichkeit raus: Hillu raus, Frauenressort raus, Weichheit raus. Zigarren und Wirtschaftskompetenz mußten her und eine kleine Blonde, die nicht aufmuckt. Gerda war wieder Gerd, der allen zeigt, wo der Hammer hängt. Nicht nur Mann, sogar Automann!

Und weil Automänner in Deutschland Wahlen gewinnen, gibt Gerd jetzt den Stenz im Bundeskanzleramt. Dort macht er mit Skat- und Kleeblattbrüdern Politik, wie sie Kerle machen: laut und luftig. Aktueller Weiblichkeitsfaktor: Null komma nix. Kleiner Trost: Bei Schröder kann morgen alles schon ganz anders aussehen. Spätestens wenn die Frauennetzwerke den halben Himmel erobert haben, wird Schröder wieder Frau sein wollen. Potentieller Weiblichkeitsfaktor deshalb: steigend. Robin Alexander

Rot-Grün sei Dank – der Verteidigungsminister ist eine gelernte Hausfrau! Schon als Knabe hat Rudolf Albert Scharping keine Chance beim Ämtergeschacher: Als Erstgeborener muß er sechs Geschwister hüten und die Einkäufe erledigen. Das Geld ist knapp, Mutter Hilde berufstätig. Doppelrolle für Rudi: gleichzeitig Oberbefehlshaber und die gute Seele des Hauses. Die Weichen sind gestellt. Auch wenn Rudi sich schon in der Schule hinter einem Bart versteckt – die früh erworbene Androgynität zwingt ihn in die weibliche Opferrolle. Zwar bringt er es dank mädchenhaften Fleißes zum Ministerpräsidenten und zum Parteivorsitzenden, doch im Triumvirat mit Schröder und Lafontaine vor der Wahl 1994 bekommt er keine Hosenrolle – obwohl doch eigentlich er der Kanzler werden wollte! Hm. Das Ende: Die Satirezeitschrift Titanic setzt ihm Hörner auf und zeigt den Kandidaten als Ziege – also weiblich – mit Bart. Die SPD verliert die Wahl. Beim nächsten Versuch machen Oskar und Gerhard die Sache unter sich aus.

Die Lösung der Probleme des soften Sozis ist die Bundeswehr. Ein später Erfolg: Zwei lange Jahre wollte einst der Juso Rudi dem Vaterland dienen, wurde aber nach einem halben Jahr wegen seiner Sehschwäche vorzeitig entlassen. Nun hockt er in der ranghöchsten Schreibstube und gilt als beliebt. Das Geheimrezept: die alte androgyne Doppelrolle. Er ist der Herr der Hardthöhe und die Mutter der Kompanie. Holger Wicht

Mehr als genug wissen wir über Fisherman's Friends und dem Fischer sin jeweilige Fru. Aber die Frau in Joschka Fischer? Das ins Unbewußte verdrängte Weibliche in jenem Ausbund des schlitzohrigen Machismo, den nichts mehr schüttelt, als für einen Softie – Weichei, Schlappschwanz – gehalten zu werden? Eher friert die Hölle ein! Doch gemach, durch Suchen läßt sich finden. Zum Beispiel:

1) Eitelkeit, auf das eigene Ich gerichtetes Selbstgefühl (Narzißmus), das aus dem ständigen Verlangen nach Bestätigung wirklicher oder vermeintlich eigener Vorzüge lebt. So hat der Mann schließlich mit Methode Mode gemacht – noch dazu sparsam wie die Trümmerfrau, die aus einem Nichts von Küchenhandtuch aufsehenerregende Fummel zaubern konnte. Fischers schlichte Zutaten: mit Turnschuhen und Lederjacke ins Kabinett der Krawattenträger. Da wird der Wechsel zum Dreiteiler schon zur Nachricht.

2) Koketterie, gefallsüchtiges Betragen, Liebäugeln. Diese aufgerissenen Kulleraugen, dieser Wimpernaufschlag, diese Mischung aus staatstragendem Tremolo, Provokation und jungenhaftem Lächeln, niedlich, Kindchenschema pur: Bitte, bitte, habt mich lieb! Madonna, Guildo, Joseph on stage! Öffentlich durchlittene Beziehungskrise, Selbstkasteiung Gramm um Gramm, Salat, Mineralwasser, kein Rotwein, Jogging mit Journalisten. So quält sich sonst bloß Durchschnittsfrau Dickmadam. Das führt unweigerlich zu

3) Zickigkeit. Zum Beispiel zu jener Geste – abwehrende Hand, heruntergezogene Mundwinkel, der Blick leidvoll Widerwillen und Entsagung signalisierend –, mit der in Moskau der Minister die Häppchen zurückwies. Unübertrefflich zickige Körpersprache.

Zuletzt: Alte Freunde versichern glaubhaft, daß Fischer schon in seiner Wohngemeinschaft in Frankfurt-Sachsenhausen stundenlang vor dem Nachwuchs seiner Hündin Mine gehockt habe, so gerührt und mutterstolz, als habe er die süßen Welpen selbst geboren. Das ist 4) Rührseligkeit. Die Basis hat es geahnt. Der grüne Kreisverband Werra-Meißner klagte nach der Wahlniederlage Fischers „tröstende Hand“ ein. Kann ja noch werden? Eher friert die Hölle ein! Heide Platen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen