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Der Maschinenvater

Kommunizierendes Blech: die technischen Kreaturen des Nicolas Anatol Baginsky  ■  Von Britta Peters

Betritt man die Galerie Schlüter am frühen Morgen, passiert gar nichts. Vier Maschinen thronen auf ihren Transportkisten, ordentlich zum Quadrat arrangiert. Plötzlich stampft die kleine Dicke vorne mit den Füßen auf. Sie schüttelt sich und trommelt gegen ihren hölzernen Klangkörper. Auch die anderen „Flamencomaschinen“ spüren allmählich Bewegung und menschliche Wärme im Raum: Kastagnetten klappern, und ein Gitarrenhals erklingt. Nach einer Viertelstunde steppen und musizieren alle, was das Zeug hält.

Nicolas Anatol Baginsky ist Maschinenerfinder. Maschinenvater möchte man fast sagen. Nicht nur daß der Künstler selbst zärtlich von seinen Geschöpfen spricht, sie besitzen menschliche Züge, Fähigkeiten – und Bedürfnisse. Die 1993 von der Hamburger Kunsthalle angekaufte, audio-visuelle Skulptur „Elisabeth Gardner“ zum Beispiel ist, trotz ihrer beträchtlichen Höhe von drei Metern, ein regelrechtes Baby. Um die in ihr schlummernden, kommunikativen Fähigkeiten entwickeln zu können, ist sie auf neugierige Betrachter angewiesen: „Am Rande des Kinderwagens erscheint ein Gesicht, und aus dem Wagen erschallt eine kulturelle Antwort. Das ist das, was ,Elisabeth' macht“, veranschaulicht der Tüftler die frühkindliche Mensch-Maschine-Interaktion. „Sie lernt sehr langsam verschiedene Gesichter kennen und klassifizieren, und ihre sprachliche Entwicklung geht auch sehr langsam voran. Aber es kommt so eine Art emotionale Äußerung als Reaktion auf ein Gesicht, was sie eben freundlich angrinst oder grimmig schaut.“

Manchmal will Baginsky aber auch anders. Anläßlich der „Kunststreifzüge“ 1994/95 präsentierte er einen Marmortorso namens „Arnold“ – eine kalte Schulter, auch als Ausdruck seiner Abneigung gegen voreilige Kategorisierungen. „Immer wenn ich irgendwo dabei bin, denken die Leute, jetzt kommt der Maschinist, jetzt knallt's und blitzt's gleich fürchterlich“, beschreibt der 38jährige Autodidakt einer Erwartungshaltung, die er nicht bedienen möchte. Im Zusammenhang mit seinem neuesten Projekt „Narcissism Enterprise“ habe er sogar begonnen, sich für Porträtmalerei zu interessieren. Im gleichen Atemzug versichert er aber auch, daß er einen Pinsel nach wie vor nicht in die Hand nehmen würde. Vielmehr ist es die Übertragung, die ihn reizt: Die Tatsache, daß aus einem wahrgenommenen Gesicht ein Bild wird.

Technisch gesehen ist die Installation „Narcissism Enterprise“ eine Weiterentwicklung der mit „Elisabeth Gardner“ begonnenen Arbeit mit einem Gesichtserkennungssystem. Durch einen abgedunkelten Gang betritt der Besucher eine erhöhte Plattform. Statt von dort jedoch einen Panorama-Ausblick zu erhalten, steht er plötzlich sich selbst gegenüber, projiziert auf eine etwa vier Meter hohe Leinwand. Im intimen Raum der Kanzel kann er ungestört mit seinem Abbild spielen und es untersuchen, er frönt seinem Narzißmus in einer künstlerisch legitimierten Ich-Peep-Show. Das Computerprogramm generiert währenddessen ein idealisiertes Porträt des Anwesenden, das als Datenprojektion auf die Fläche daneben geworfen wird. Die andere Seite ist dem Langzeitgedächtnis der Installation vorbehalten. Dafür sammelt ein Kameraroboter die aus den Proträts entstehenden Daten und entwickelt daraus eigene Klassifierungskategorien. Alle „Ausstellungsbesucher mit Glatze“ werden zu einem Tableau zusammengefaßt, in dem sämtliche Einzelbilder dieser Gattung enthalten sind. Die menschliche Fähigkeit, Gesichter zu erkennen und wiederzuerkennen, ist eine der wichtigsten Grundlagen sozialer Strukturen – und eben diese Fähigkeit ist es auch, die den Küstler an dem auf weltweite Fortsetzung angelegten Projekt interessiert. Einige breits entstandene Sammelporträts aus Rotterdam, Budapest und Chicago sind als Computerprints auf Leinwand im vorderen Ausstellungsraum zu sehen.

„Flamencomaschinen“, bis 13. März, Galerie Andreas Schlüter, Admiralitätstraße; „Narcissism Enterprise“, Eröffnung: heute, 19 Uhr, Kampnagel Äk3Ü

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