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Prinz Eisenherz im Cyberspace

■ Beim renommierten Marler Video-Kunst-Preis siegt jetzt die Spaßkunst / Doppelausstellung in Weserburg und Kunsthalle

Kunsthallenchef Wulf Herzogenrath hat eine Bitte. „Können Sie nicht so'n kleines Kästchen machen“, fragt er. Genau genommen müßten es zwei Kästchen werden. Ein Jubelkästchen und ein Jammerkästchen. Im Jubelkästchen müßte stehen, daß über 63.000 Menschen die Fritz-von-Uhde-Ausstellung in der Kunsthalle gesehen haben und daß die in Bremen (!) zusammengestellte Werkschau des Münchener Malers jetzt ganz spontan auch von der Neuen Pinakothek in München (!) übernommen wird. Und ins Jammerkästchen gehörte ein Hinweis, daß die Kultur es immer schwerer hat – bei Sponsoren, bei Politikern und vor allem auch im Fernsehen. In ein drittes Kästchen käme die Meldung, daß der Anchorman der ZDF-Kultursendung „aspekte“, Manfred Eichel (somit einer der letzten TV-Kultur-Mohikaner), in der Kunsthalle und in der Weserburg gestern abend eine Doppelausstellung mit den PreisträgerInnen des Marler Video-Kunst-Preises eröffnet hat. Im nächsten Kästchen wäre der geeignete Platz für die Feststellung, daß VideokünstlerInnen heutzutage zunehmend das Kästchen Fernseher verlassen und große Installationen schaffen. Im wiederum nächsten Kästchen dieser mit Kästchen übersäten Seite würden wir ganz vorsichtig darauf hinweisen, daß es gute und schlechte Kultursendungen im Fernsehen gibt – genauso wie gute und schlechte Videokunst. Und daß die guten VideokünstlerInnen die befristete Regentschaft über die Kultursendungen im Fernsehen übernehmen sollten. Björn Melhus wäre dann Chefredakteur einer spaßigen, gut gemachten, hintersinnigen Kultursendung.

An die alle zwei Jahre tagende Jury der „Grimme-Instituts“-Stadt Marl hat Melhus ein Spaßband namens „No Sunshine“ geschickt. Wie in Schwerelosigkeit schwebt der auch schon in Bremen mit dem Videokunst-Förderpreis ausgezeichnete Melhus durch einen roten Cyberspace. Zum doppelten Zwillingspaar von zwei Prinz-Eisenherz-Figuren und zwei Glatzköpfen geklont, fiepst er im Playback Kindersongs von Stevie Wonder und Michael Jackson. „No Sunshine“ ist ein zutiefst musikalischer und parodistischer Musikclip und hebt sich durch seinen spielerisch-selbstverständlichen Umgang mit dem Medium von vielen anderen, ästhetisch noch immer aussageschweren Videokunst-Filmen ab. Neben Melhus' „No Sunshine“ und Aurelia Mihais kürzlich in der Bremer Kunsthalle gezeigter Treppenkomposition „Endlose Bewegung“ sind 16 weitere Bänder auf drei Fernseh-Kästchen in der Weserburg zu sehen – darunter auch ein Beitrag des Universalisten Timm Ulrichs.

Auch im Bereich Videoinstallation, für den beim letzten Marler Wettbewerb im Sommer 1998 erstmals nach Bremer Vorbild drei Projekt-Förderpreise vergeben wurden, hat der Jury offenbar die Spaßkunst besonders gefallen. Jury-Mitglied Wulf Herzogenrath schwört geradezu auf die ironisch-unkomplizierte Nutzung der neuen Medien durch die jüngeren KünstlerInnen. Die immerhin schon 1959 geborene Anna Anders spielt in ihrer Installation „Touchscreen“ auf so raffinierte wie ausgeklügelte Weise mit der schönen neuen Interaktivität. Wenn der Besucher den in der Medienkunstetage der Kunsthalle aufgestellten Bildschirm berührt, kann er sich auf etwas gefaßt machen – nach Zufallsprinzip entweder auf Ärger oder auf Anerkennung. Die Kunsthalle zeigt mit Walter Grammings Pop-Art-Videokunststück aus einem knallroten Knutschmund und einer als Projektionsfläche dienenden Kaugummiblase sowie mit Herbert Wentschers Videobilder-Triptychon zwei weitere inzwischen realisierte Arbeiten. ck

bis 9. Mai in der Kunsthalle und in der Weserburg

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