Mit den Motti-Partys auf du und du: If you believe in love tonight
■ Die taz-Kultur stürzt sich ins Getümmel und wird darüber lyrisch. 1. Folge: die Single-Party „Heartbreaker's Ball“ im Modernes
Ich stolpere durch den Gang, rotes Licht, knutschende Pärchen, eine grinsende, blondgefärbte Schönheit pappt mir zärtlich einen STICKER auf die Brust, Nummer 3123, meine Identität für diesen Abend, in meinem Kopf brüllt Iron-Maiden-Shouter Bruce Dickinson: „I'm not a number, I am a free man!“, egal, rein ins übervolle Frotteeisten-Paradies.
Knappe Ausschnitte, fleischfarbene Strumpfhosen, TATTOOS, bodygebuildete, rechtschreibreformierte Barettträger, auf der Bühne reiben BOY und GIRL ihre fitneßstudiogestählten Körper zwecks TANZPERFORMANCE aneinander, I noticed you around, Nummer 885 (w) sagt zu mir: „Ich find's langweilig hier, ich dachte, man könnte mal ganz nett und ungezwungen plauschen“, das tut sie ja nun gerade, auf ihrer Brust ein roter BUTTON („mag es DIREKT“), sie sei mit zwölf Kollegen vom Möbelhaus Meyerhoff hier, vier davon schwul, I find you very attractive, rote Federboas hängen phallusgleich von der Decke über der Bar, auf der Videowand werden analog zum Fußball die neuesten Ergebnisse des DATING-BY-NUMBER bekanntgegeben, alles ein Wettkampf hier, abchecken, Fleischbeschau, would you go to bed with me?, fast alle mögen es DIREKT, ganz wenige mögen es grün und mit FANTASIE (aber bitte mit F), Udo Jürgens grölt ein Medley, gelb mag es AUF DISTANZ – nur zum gucken da!, haben Sie jemanden „ins Auge gefaßt“ und trauen sich nicht, ihn/sie/es direkt anzusprechen?
Kein Problem, DATING-BY-NUMBER hilft sofort! NON-STOP-KISSING-CONTEST auf der Bühne, isch bin blau, isch magsch COOL, hicksch, alscho: erschma n' Drink auschgebm, wa? – Liebe, Liebe, Liebelei, morgen ist sie vielleicht vorbei, ein Flaschenschlepper rammt mir 'nen Bierkasten gegen den Schädel, brünftige BOYS versuchen sich als Hirschimitatoren, „Ich schweb' durch Raum und Zeit, ich bin unendlich breit“, singt Nena, „die Zeit ist reif für ein bißchen Zärtlichkeit, irgendwie, irgendwo, irgendwann“, vielleicht im Stehen auf dem Klo und sofort, RB-4-Gefühlsecht-Moderator J.-U. Krause kalauert ins Mikro, AUSZIEHEN, AUSZIEHEN, Wettbewerb: PAAR DES ABENDS, erstes Spiel: „Wenn einem langweilig ist, fängt man an, aus Buchstaben lustige Sätze zu machen“, du sagst es, Jens-Uwe, Beispiel: HBBH, Herbert bumst Berta heftig, oder: PMRSW, peinliche Moderationsazubis reißen schlüpfrige Witzchen, zweites Spiel: irgendwas mit Präsern, drittes Spiel: Orgasmus vortäuschen, klingt eher nach Blinddarm-OP ohne Narkose, wenig charmant, das Ganze, „dabei hatten wir heute schon einen Heiratsantrag auf der Bühne“, sagt ein Mann vom BREMER-Counter, und: „Das DATING-BY-NUMBER hat eine unglaublich hohe Erfolgsquote, ich kann's gar nicht glauben!“
Ich auch nicht, also sauber recherchiert: die kleine, blonde Kathrin, sorry, Nummer 3030, kriegt Nachricht von BOY, Treffpunkt: „bei Dir“. „Den kenne ich, der will mich nur verarschen.“ – Also nix, weiter: 962 (w) kriegt Nachricht von 621 (m): „Du hast einen tollen Körper, besonders der Po.“ – 962: „Ich treff mich mal mit ihm, ich bestehe zwar aus mehr als nur aus Hintern, aber ich kann ihm ja mal 'ne Chance geben.“ – Also flugs neue Nachricht an 621 geschrieben, Viertelstunde gewartet, 621 ist aber zu feige: wieder nix. Derweil schleicht sich 1355 (m) an, „ich hab's schon zwanzigmal wahllos probiert, ist nix bei rausgekommen, siehst du ja“, sagt er mit abschätzigem Blick auf 962, ganz schön gemein, dabei ist 962 sehr nett, wenn auch etwas besoffen.
Tatsächlich, drei Minuten später kriegt 962 Nachricht von 1355, aber da ist der schon über alle Berge, füllt vermutlich gerade einen Stapel neue Zettel aus, „so ein Depp“, sagt 962, und: „Das ist ganz schön anstrengend hier, schreib das mal auf!“ – Anstrengend in der Tat, neuer Versuch: 1233 (w) kriegt Post von 3019 (m), Treffpunkt; „SOFORT an der großen Bar“, also hingestiefelt, 3019 ist tatsächlich da, eröffnet das Gespräch originell mit: „Wie heißt du denn?“, zwei haben sich gefunden, klappt also doch – mittlerweile ist es 3:00 Uhr, jetzt will ich es auch mal probieren, ich fülle einen Zettel aus, will mich mit 885 zwecks Resümierung des Abends treffen, „taz-Typ sucht Meyerhoff-Mädel“, halbe Stunde gewartet, 885 ist offenbar schon back in OHZ, schade.
Sag mir quando, sag mir wann / Sag mir quando, quando, quando / Ich dich wiedersehen kann / Ich hab' immer für dich Zeit ... Tim Ingold
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