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Zivilcourage mit Kündigung bestraft

■ Sozialarbeiterin in Guben verliert Job – weil sie am Trauermarsch für den zu Tode gehetzten Asylbewerber Omar Ben Noui teilgenommen hat

Berlin (taz) – Sie war empört über die furchtbare Hetzjagd, und deshalb war es für Michaela Höllein keine Frage, dem Aufruf des Bürgermeisters von Guben zu einem Gedenkmarsch zu folgen. Zwei Tage zuvor, Mitte Februar, war der algerische Asylbewerber Omar Ben Noui auf der Flucht vor Rechtsradikalen in einem Hausflur verblutet. Mehrere 100 Bürger der brandenburgischen Kleinstadt beteiligten sich an der Mahnwache vor dem Haus, auch Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und Gubens Bürgermeister Gottfried Hain nahmen teil.

Der Sozialarbeiterin Michaela Höllein wurde dieses öffentliche Bekenntnis gegen Rechtsextremismus jedoch zum Verhängnis. Der Trägerverein des Jugendclubs „No Budget“, in dem sie arbeitete, schickte ihr eine Woche später die fristlose Kündigung. Die Begründung: Mit ihrer Teilnahme an einer „offensichtlich durch politisch extreme Personen organisierten Demonstration“ habe Michaela Höllein gegen den „Grundsatz der Neutralität von Sozialarbeitern verstoßen“. Darüber hinaus habe sie Journalisten die Aufenthaltsorte von Rechtsextremen gezeigt und damit die Haus- und Betriebsordnung des Vereins verletzt.

Höllein bestreitet das. Sie habe vielmehr zwei ortsunkundigen Journalisten der Zeitung Die Welt bei der Suche nach Hakenkreuzschmiereien geholfen. Die Sozialarbeiterin fuhr mit ihnen durch die Stadt. Die beiden Journalisten bestätigten, daß weder über Wohn- noch über Aufenthaltsorte von Rechtsextremen gesprochen wurde.

„Ich war von der Kündigung vollkommen überrascht“, erzählte die 24jährige Sozialarbeiterin gestern. Sie habe mit ihren Kollegen offen über den Trauermarsch gesprochen und nie mit solchen Folgen gerechnet. Ähnlich erging es einer Kollegin, die wegen der Teilnahme eine Abmahnung erhielt.

Einem Vertrauensbruch, den der Förderverein für alternative Jugendarbeit seiner Mitarbeiterin vorwirft, sieht sich Michaela Höllein selbst ausgesetzt. Niemand habe mit ihr über die Vorwürfe gesprochen, ehe die Kündigung ausgesprochen wurde. Eine Chance, den Vorfall aufzuklären, bekam die Sozialarbeiterin nicht. Um sich zu wehren, wählte sie daher gleich den Rechtsweg. Höllein legte zunächst bei dem Verein und dem Arbeitsamt Widerspruch ein. Sie muß das tun, weil sie in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beschäftigt ist. Zudem reichte sie Anfang der Woche beim Arbeitsgericht Cottbus Klage ein.

Der Verein – ein freier Träger, der auch Landesmittel bekommt – wollte gestern zu der Kündigung keine Stellung nehmen. Die Vorsitzende Veronika Möbius hatte jedoch am Vortag in der Presse die Kündigung verteidigt. Die Vorwürfe seien nicht aus der Luft gegriffen.

Auch die Stadt hält sich mit Kommentaren zurück. Da der Verein die Personalhoheit habe, könnte sie sich zu der Kündigung nicht äußern, sagte die Sprecherin des Bürgermeisters, Susanne Schunack. Sie betonte allerdings, daß der Bürgermeister nur zur Mahnwache vor dem Haus aufgerufen hatte. Den Trauermarsch vom Bahnhof bis zu dem Unglückshaus, an dem Michaela Höllein teilnahm, hatte die Antifa organisiert. Allerdings habe Bürgermeister Hain die Teilnehmer am Bahnhof begrüßt. Michaela Höllein hatte aber nur den Aufruf des Bürgermeisters wahrgenommen.

Dem zuständigen Jugenddezernenten des Spree-Neiße-Landkreises, Hermann Kostrewa, ist der Vorfall unangenehm. Er regte gleich ein Gespräch mit dem Verein an, mit dem „wir bislang kooperativ zusammengearbeitet haben“, sagte er zur taz. Als freier Träger sei er eine wichtige Ergänzung in der Jugendarbeit gewesen. Jetzt drängt Kostrewa auf die genaue Aufklärung des Falls. Wenn jedoch der Eindruck bliebe, daß Michaela Höllein wegen der Teilnahme an der Demo gekündigt wurde – „dann können wir das nicht stehenlassen“. Jutta Wagemann

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