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Und stetig wächst der Bettenberg

Reichtum zu verteilen ist nicht leicht, wenn viele etwas geben, aber nur wenige etwas nehmen wollen. Die Möbelhilfe Süderelbe sucht deshalb nach neuen Abnehmern für gebrauchte Schränke und Tische  ■ Von Judith Weber und Henning Scholz (Fotos)

Die Reichen stehen Schlange, um ihre Habe loszuwerden. Spiegel, Schränkchen oder Sessel, poliert, gepolstert und gepflegt – „können Sie alles mitnehmen“, sagt die Hausbesitzerin am Telefon. „Wann können Sie kommen? Gleich morgen vielleicht?“ Nein, antwortet Horst Junge zum dritten Mal an diesem Tag. Morgen klappt nicht und übermorgen auch nicht. Seine Leute sind auf vier Wochen ausgebucht. Jeden Tag fährt der Lastwagen der „Möbelhilfe Süderelbe“ zu mehreren Hamburger Wohnungen, klappert Häuser ab und sammelt Möbel ein, die nicht mehr gebraucht werden, aber zu schade sind zum Wegwerfen. Für wenig Geld verkauft der Verein die Sachen an Menschen, die wenig verdienen – an SozialhilfeempfängerInnen oder RentnerInnen, an SchülerInnen und Studierende.

In Harburg enden die Touren. Der vollgepackte Laster biegt in den Hinterhof des Amtsgerichts ein. Dort, vor dem ehemaligen Untersuchungsgefängnis, wird ausgeladen: die verspiegelte Schrankwand und die Kommode ins Erdgeschoß, Sofas und Ohrensessel in den ersten Stock. Im zweiten stehen Tische und Stühle. Etwas Ordnung muß sein, erklärt „Möbelhilfe“-Geschäftsführer Junge – sind doch die einzelnen Abteilungen verwirrend genug. Die Architektur des Knast-Gebäudes läßt nur eine Art der Raumaufteilung zu: Große Möbel in die Mitte, in den breiten Gang, auf dem vor 20 Jahren Wärter patrouillierten. Betten liegen hier übereinander, ein Sofa ruht die Füße auf einem anderen aus. Kleine Gegenstände kommen in die Zellen, in denen sich Regale oder verfilzte Stofftiere stapeln. Eine sieht aus wie ein Spiegelkabinett, die nächste wirkt mit ihren penibel aufgestellten Stühlen wie das Wartezimmer eines verschmähten Arztes. Wie viele Möbel hier aufeinanderhocken, weiß Junge längst nicht mehr. Voll jedenfalls sind alle Räume.

Denn die Armen, für die die Möbel gedacht sind, drängen sich nicht danach. An der Zelle, in der Horst Junge sein Büro hat, müssen alle KundInnen vorbei – manchmal sieht er eine Stunde lang niemanden. „Der Markt bricht uns weg“, fürchtet der gelernte Kaufmann. Erstens sei „die Kaufkraft gesunken“. Zweitens hat sich einiges getan in der Branche. 1987, als die Möbelhilfe gegründet wurde, bot sonst nur Ikea günstige Einrichtungen an. Das war keine ernsthafte Konkurrenz. Wer außer ein paar jungen Eltern und stillosen Studierenden wollte die Regalsysteme zum Zusammenstecken schon haben? Aber seit einigen Jahren verkaufen viele Möbelketten auch Billigware. Je stärker sie werden, desto weniger KundInnen kommen zur „Möbelhilfe“ nach Harburg.

Unbeabsichtigt fördert auch die Hamburger Sozialbehörde den KäuferInnenmangel. Bis 1996 verteilte sie hauptsächlich Einrichtungs-Gutscheine an die HilfeempfängerInnen. Die Schecks galten nur in einem der vier Gebrauchtmöbeldepots der Hansestadt. Die Lager verließen sich ihrerseits auf diese KundInnen; andere GeringverdienerInnen wie Studierende oder SchülerInnen wurden kaum umworben. Nun bekommen die SozialhilfeempfängerInnen Geld statt Gutscheinen; „wo sie einkaufen, ist ihre Sache“, so Behördensprecher Stefan Marks. Viele bevorzugen da billige Ware aus erster Hand, mag Horst Junge die Qualität seiner Gebrauchtmöbel noch so anpreisen.

Also müssen neue Kunden her. Werbezettel sollen Schüler und StudentInnen anlocken. Gegen ein bißchen Geld helfen die MöbelpackerInnen anderen öffentlichen Einrichtungen bei Umzügen, und die Hamburger Filmwerkstatt leiht sich seit einiger Zeit gern mal ausgefallene, bizarre oder besonders alte Stücke als Kulisse.

In der Tat beweisen einige Möbel im Harburger Lager beachtliches Durchhaltevermögen. In einem Gang steht ein Querschnitt durch nahezu alles, was die Tischbau-Industrie in den vergangenen 20 Jahren hervorgebracht hat – runde und eckige Modelle, neckisch gewellte, schlichte und lackierte, Holztische oder solche mit verschiedenfarbiger Marmorplatte auf braun-grünen Füßen. Die Palette der Kühlschränke im Keller reicht von der erweiterten Kühltasche bis hin zu Gefrier-Giganten, in denen sich leicht die kleineren Modelle verstauen ließen.

Ästhetik spielt keine Rolle. Die Geschmäcker der KäuferInnen sind schließlich unterschiedlich, argumentiert Junge. StudentInnen, das zeige die Erfahrung, bevorzugten alte Schränke und knarzende Betten; Familien nähmen lieber solche, die modern aussehen. Nur Kaputtes oder Zerschrammtes lehnt die Möbelhilfe ab. „Wir können zwar ein lockeres Stuhlbein festschrauben“, erklärt Junge. Größere Reparaturen seien aber zu teuer. Bei den SpenderInnen sorgt das oft für Ärger. „Manche sagen dann: Macht doch nichts, daß das Sofa einen Riß hat. Das ist doch für Arbeitslose“.

Alle 14 MitarbeiterInnen der Möbelhilfe waren lange erwerbslos. „Die meisten von uns hätten auf dem ersten Arbeitsmarkt sonst keinen Job bekommen“, sagt Junge. Sieben Männer und Frauen sind festangestellt, die anderen werden finanziert über das städtische Programm „Tariflohn statt Sozialhilfe“, ein Projekt für Menschen „mit besonderen sozialen Einstiegsschwierigkeiten“. Unproblematisch ist die Arbeit in so einem Team nicht. Aber die Probleme lassen sich lösen. Arbeit gibt es genug, und spätestens am Kicker-Tisch, der zwischen Schränken und Regalen im Erdgeschoß steht, wird aus Kollegen eine Mannschaft.

„Unverkäuflich“ verkündet das Schild an dem Tischfußball-Gerät; gleiches gilt für den Flipper. Beide gehören ohnehin nicht zu den stark nachgefragten Einrichtungsgegenständen. Oben auf der Hitliste stehen Betten und Kleiderschränke, gefolgt von allem, was ins Wohnzimmer gehört. Einem Kunden, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, fällt es denn auch schwer, sich für den Küchentisch plus Stühle zu entscheiden, den ihm das Sozialamt zugestanden hat. Zu verlockend ist die beige Ledercouch mit passenden Sesseln für 620 Mark, zu keck glitzert der passende Glastisch für 100 Mark. „Das ist wirklich schwer, die Auswahl ist so groß“, findet er. Den Zuschlag erhält schließlich doch die Kücheneinrichtung. Praktische Zwänge, „was soll man machen“.

Der Kauf ist schnell abgewickelt. Der Kunde zeigt eine Bescheinigung vom Sozialamt vor, bei StudentInnen oder RentnerInnen reicht ein entsprechender Ausweis. Einkaufen darf auch, wer einen schlecht bezahlten Job hat (bis zu 2000 Mark monatlich) und eine Lohnbescheinigung vorlegt. Zu den KundInnen zählen außerdem freie und öffentliche Träger wie Jugendhilfeeinrichtungen und Kirchen.

Für zehn Prozent des Kaufpreises liefert die Möbelhilfe nach Hause. Auf dieses Angebot wird ein Mann zurückgreifen, der ebenfalls sein Traumsofa gefunden hat. Beiger Stoff vereint sich mit braunem Garn zu einem abstrakten Blumenmuster, und die Stehlampe im Wohnzimmer würde genau daneben passen, gibt das Zentimetermaß Auskunft. Nur ein bißchen teuer ist das Ensemble: Gut 500 Mark müßte die Möbelhilfe dafür bekommen, das Sozialamt hat aber nur 470 bewilligt. Horst Junge macht's schließlich möglich. Er geht mit dem Preis runter, „damit es nicht an wenigen Mark scheitert“.

Bei anderen KundInnen läßt der Geschäftsführer nicht mit sich handeln. Das sind jene, die immer alles zu teuer finden und abwinken, sobald er einen Preis nennt. „Viele schätzen den Wert unserer Arbeit nicht“, zürnt Junge dann, überläßt die IgnorantInnen sich selbst und geht in sein Büro. Dort steht neben dem Computer die Blümchentasse mit der Aufschrift „Horst“, an den Wänden hängen Cartoons, Postkarten und Bilder. Neun Quadratmeter Wohnlichkeit neben den Zellen und Gängen, in denen man sich vor Möbeln nicht zu helfen weiß.

Möbelhilfe Süderelbe: montags bis donnerstags 9 bis 16 Uhr, freitags bis 20 Uhr. Adresse: Buxtehuder Straße 9a (S-Bahn bis Harburg Rathaus, Bus 141 oder 241 bis Seehafenbrücke)

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