Nato-Friedensmission per Computerspiel

■ In Polen werden Offiziere in speziellen Crash-Kursen für den Beitritt ihres Landes zur Nato fit gemacht. Dabei sind fehlende Englischkenntnisse nur ein Problem von vielen

Warschau (taz) – „Good morning, gentlemen“, begrüßt Oberstleutnant Roland Göbel die 15 polnischen Offiziere. Der Raum in der Akademie für Nationale Verteidiung in Warschau ist leicht abgedunkelt. Die Offiziere haben ein „briefing“ vorbereitet und wollen die neueste Technik einsetzen. Ein „beamer“ wartet auf seinen Einsatz. „Können wir starten?“ fragt ein Major. Göbel nickt. Die Show beginnt: eine Friedensmission der Nato in „Gardena“, einem Krisengebiet.

Renald Serczesko, Logistiker bei den Landstreitkräften, tritt an das Pult, und schon beginnt die Computeranimation. Der „beamer“ wirft Bilder an die Wand, die einen Militäreinsatz in einem Spannungsgebiet simulieren. Die polnischen Offiziere haben drei Varianten der Friedensmission vorbereitet. In den Ländern Altona, Sedona und Akron ist es zu einer balkan-ähnlichen Situation gekommen. Die Offiziere müssen nicht nur dem Aggressor Einhalt gebieten, sondern auch die Zivilbevölkerung schützen. Ethnische und religiöse Konflikte sind ebenso zu beachten wie ein großes Ölfeld, durch das die Grenze zwischen Altona und Sedona verläuft.

Auch die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Staaten ist wichtig. Eine militärische Lösung, die von der Bevölkerung auf keinen Fall akzeptiert werden könnte, macht keinen Sinn. Der Konflikt würde, kaum daß die Soldaten abgezogen wären, sofort wieder aufflammen. An der Tafel im Hintergrund wechselt ein Unteroffizier die Folien mit den veränderten Lageskizzen. Serczesko erläutert jeweils die Vor- und Nachteile der „schnellen“ und der „langsamen“ Trennung der verfeindeten Gruppen. Nach 30 Minuten sagt er „Thank you for your attention.“

Zehn Wochen lang haben 30 Offiziere der polnischen Armee die Schulbank gedrückt. „Nato“ stand auf dem Stundenplan. Mit der gestrigen Aufnahme Polens in das Bündnis müssen die ersten Offiziere fit sein. In speziellen Kursen werden sie auf Führungsaufgaben vorbereitet. Oberstleutnant Göbel ist zufrieden: „In Hamburg würde der Kurs ganz genauso aussehen. Was den Jungs hier noch fehlt, ist Erfahrung im westlichen Ausland.“ Auch die englische Sprache macht den polnischen Offizieren noch Mühe. Sie büffeln Nato-Englisch, bis es ihnen zu den Ohren herauskommt, denn sie wissen: Wer nicht gut genug ist, fliegt.

Über dreiviertel aller Offiziere werden nach dem Beitritt Polens zur Nato ins Zivilleben wechseln müssen. Auch auf die meisten Generäle wartet der Ruhestand. Die 30 Offiziere, für die der Nato-Kurs heute endet, werden es wohl alle schaffen. In kleiner Runde lassen sie den Kurs Revue passieren. Andrzej Dracz, Major und Stabschef eines Regiments in Zielona Góra, hofft, bei der Armee bleiben zu können. „Das mit dem Englischen schaffen wir. Viel schwerer ist der Mentalitätswechsel. Wir haben das alte System in den Knochen: Befehl, Gehorsam und basta. Jetzt muß jedem Befehl ein „decision making process“ vorangehen. Einsame Entscheidungen gibt es nicht mehr. Auch der Untergebene darf etwas sagen.“

Wojciech Netkowski fällt ihm ins Wort. Dem Major und Lehrer an der Pilotenschule in Deblin scheint diese Frage besonders amHerzen zu liegen. „Endlich müssen die Generäle für ihre Befehle Verantwortung tragen. Es darf nicht sein, daß ein General alle Warnungen über schlechtes Wetter mißachtet und Flugbefehl gibt, nur weil das womöglich sein Ansehen in der Bevölkerung heben würde.“ Netkowki bricht abrupt ab. Alle wissen, worauf er anspielt. Im letzten November hatten zur Feier des Unabhängigkeitstages drei Flugzeuge über den Pilsudski-Platz in Warschau fliegen sollen. Zwei Piloten starben. Zum ersten Mal in der Geschichte Polens trauten sich Soldaten, im Fernsehen ihre Vorgesetzten zu kritisieren. „Das war Mord“, hatte einer gesagt.

„Der Einsatz war viel zu gefährlich. Nicht auszudenken, wenn die Flugzeuge über dem Festplatz abgestürzt wären.“ Oberstleutnant Wiatr räuspert sich, um auf diese Weise die lähmende Stille zu unterbrechen. Er wird in den nächsten Wochen als Verbindungsoffizier an die Führungsakademie nach Hamburg gehen. Wiatr deutet auf eine Umfrage in einer Tageszeitung: „Die Gesellschaft steht nicht mehr geschlossen hinter ihrer Armee. Das ist für uns etwas ganz Neues.“

Tatsächlich ist die Zustimmung der Bevölkerung zum Nato-Beitritt ihres Landes von über 80 Prozent Anfang der 90er Jahre auf heute 41 Prozent gesunken. Viele Polen fürchten, daß die wiedergewonnene Souveränität in wichtigen Bereichen nach Washington abgegeben werden muß. Daß die Nato nicht Sicherheit bringt, sondern Polen jetzt häufiger an Friedensmissionen teilnehmen wird.

Der Pilotenlehrer meint: „Wir müssen dahin gehen, wo geschossen wird. Wo vielleicht einige von uns sterben. Das war vielen vorher nicht so klar.“ Wieder Schweigen. Die Tür geht auf, Oberstleutnant Göbel schaut noch einmal herein und winkt: „You are great! Bye, bye – und bis bald in der Nato.“ Gabriele Lesser