: Ein letztes Mal die rote Fahne schwenken
■ Peymann sah schon mal zu: „Herakles“ war die letzte BE-Premiere vor Ankunft des Meisters
Berliner Ensemble am Samstag abend. Herakles, drei Textfragmente von Heiner Müller, die Klaus Emmerich inszenierte. Das Haus ist voll, die Stimmung heiter, weil jeder weiß: So schön wie jetzt wird es nie wieder. Im Mai fällt hier der letzte Vorhang. Drei Jahre lang hat man vor Trauer um den Meister das Theaterspielen in diesem Hause ganz vergessen, und die besten Inszenierungen wurden so die abgesagten. Nun, kurz vor Schluß, hat es noch mal geklappt. Der Vorhang ging wirklich auf: Noch einmal ein alter Held mit schweren dialektischen Thesen vom Ursprung der Arbeit auf die Bühne gehievt.
Im Zentrum steht ein Text, wo es um die Ausmistung des größten Scheißhaufens der Welt geht, und im Parkett sieht man plötzlich Claus Peymanns rosige Wangen glänzen. Ein Cello klingt finster, eine Kreatur stöhnt lang und herzzerreißend, und alle warten auf die Hydra, mit der unser Held ja kämpfen muß, bevor er sich mit dem Scheißhaufen befassen kann.
Aber dann tritt ein unscheinbarer Herr (Uwe Steinbruch) vors Publikum, der eine komplizierte Geschichte erzählt von einem Mann, der durch einen Wald geht, nach einem Kampf, und der Wald ist irgendwie gar kein Wald. Ach, denkt man noch, jetzt wird schon wieder Müller zitiert statt gespielt. Doch schon verheddert sich der Herr im schweren Wortgeschütz des Textes, kämpft mit den Worten wie einst Herakles mit dem siebenköpfigen Ungetüm und hat die Lacher auf seiner Seite. Schließlich kommt Herakles selbst, steigt aus der Löwengrube und neuen Heldentaten entgegen: in einem Pelz, den er höchstens einer Dame im Nahkampf, aber sicher keinem Löwen abgenommen hat. Vom Himmel hoch senkt sich der Misthaufen herab, auf den alle schon warten, und bald ist klar, daß Herakles lieber die Welt als ihren Kot bewegt. Denn Kot, der stinkt. Große Worte dagegen kosten wenig.
Daß die großen Worte in Heiner Müllers kurzen Texten oft schwer wiegen und sich schon mancher an ihnen verhob, davon konnte auch Regisseur Klaus Emmerich ein Lied singen. Die eigentlich geplante Inszenierung von Müllers „Anatomie Titus Fall of Rome“ im Februar war gescheitert. Nun tat Emmerich das einzig Richtige und nahm Müller auf die leichte Schulter und mit Humor. Der Rest des Abends gehörte dann Veit Schubert, der todesmutig den Herakles spielte, als selbstmitleidigen Versager, der gegen Götter, Menschen, Kühe, Stiere und deren Mist und schließlich seine eigene Dummheit kämpft. Lustlos, denn Arbeit ist ein Fluch. Er prügelt den Haufen, redet auf ihn ein. Und auf den bayrisch-bodenständigen Augias (Hans Fleischmann), dem deutlich anzumerken ist, daß er sich den Helden hier etwas anders vorgestellt hat.
Kotverschmiert steht Herakles am Ende hoch auf dem Misthaufen und schwingt ein letztes Mal die rote Fahne. Doch damit reizt er bloß noch einen Stier. Setzt keine Revolution mehr in Gang, bloß noch einen Theaterapparat. Vom Himmel herab senkt sich eine Wattewolke mit einem albernen Zeus, der vom Regieassistenten verkörpert wird. Götter und Heldengestalten sind heutzutage nicht mehr als dialektisches Anschauungsmaterial gefragt, sondern höchstens noch als Comichelden, und so sieht der Blondierte auch aus: „Tu deine Arbeit!“ näselt er, und erst die Aussicht auf ein halbnacktes Frauenzimmer bringt unseren Helden auf Trab, und das Theater zeigt noch einmal was es kann.
Eine gewaltige Stoffbahn schwingt sich als reißender Fluß empor und verhüllt die rostigen Riesenplatten, die den Misthaufen umranden. Am Ende ist der Stall entmistet, die Bühne klinisch tot. Noch einmal wirft sich der Schatten eines Riesen auf eine weiße Wand. Ein simples Bild: Der Held ist immer bloß so groß, wie man ihn projiziert. Dann schrumpft die Fläche und wird für den Körper darin zum Gefängnis. Ein einsamer Buher im Publikum buht, weil der offensichtlich keine geschrumpften Helden mag. „Ich weiß nicht, mir hat's gefallen“, sagt später ein Mann zu seiner Frau. „Du Exzentriker!“ schimpft sie ihn aus. Inzwischen versucht Claus Peymann einem Kamerateam zu entkommen. Esther Slevogt
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