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Melancholie, passend zur Couch

■ Die Städtische Galerie im Buntentor zeigt viel erhabene Leere von Susanne Schossig und Christina Kubisch

Meister Eckart durfte das, konnte das: In himmlischer Weise über die große, erhabene Leere philosophieren. Aber was soll geschwätziger Kulturjounalismus anstellen, angesichts Susanne Schossigs Nirwanen auf Butterbrotpapier, jenen feinmaschigen Netzen aus winzigen Strichen und Punkten, die dem Blick nirgends Halt bieten? Schweigen, würde Wittgenstein sagen. Aber der Mann hat ja keinerlei Ahnung von den ekelhaften Zwängen des Tagesjournalismus. Also versuchen wir ganz traditionell mit Einordnungen und verweisen auf den zenbuddhistisch inspirierten John Cage-Freund Mark Tobey, der Strukturen so verdichtete, daß sie sich wieder monochromer Malerei rücknäherten. Auch Schossigs kleinfusselige Beinahe-All-Overs aus (teils brüchigem) Tuschstrich oder Sandkörnern wirken aus der Ferne plan: Mal ist es ein dünnes Geriesel wie im Hals einer Sanduhr, mal ein fibrierendes Anthrazit, unterbrochen durch Wolken und Sterne. Ist es Innenwelt, ist es Außenwelt? Egal, schließlich mochte schon Kant manchmal zwischen beidem nicht unterscheiden, „dem bestirnte Himmel über uns und dem moralische Gesetz in uns“.

Derzeit erinnert die Städtische Galerie im Buntentor an jenes vielzitierte Schnösel-Wohnzimmer, in dem die Kunst mit Designerperfektion auf die Couchfarbe abgestimmt ist. Nur gut, daß die Galerie nicht von lila Couchen geprägt ist, sondern von schrundigen Wänden und Stahlträgern. Darauf scheint hier alles abgeschmeckt. Passend zum weißen Hauptraum mit den silbrigen Säulen, hat Schossig für diese Ausstellung alle ihre Farbbilder verbannt. Noch krasser mischen sich Kunst und Ausstellungsort bei Fotos und Klanginstallation von Christina Kubisch. Auf dem fleckigen Verputz der unteren Etage hängen Bilder von dem verrotteten Zellengemäuer aufgelöster amerikanischer Zuchthäuser. Verwesung trifft auf Verwesung. Ein Stockwerk darüber klingeln dem Besucher die Glockensignale eines aufgelassenen Bergwerks entgegen. Einst zeigten sie dem Bergmann Eintreffen und Abfahrt der Schachtaufzüge an. Und prompt gibt eine Raumseite den Blick in backsteinerne Tiefe frei. Acht alte Glocken sind leibhaftig in all ihrer verrosteten Pracht anwesend. Einsatzbereit sind sie nicht mehr. Der Klang kommt zeitgemäß aus Lautsprechern. Das einstige Bergwerk, in das Kubisch zu Aufnahmezwecken abtauchte, ist übrigens im Saarland. Jenes Land erinnert nicht nur an darniederliegende Industrie, sondern seit letztem Donnerstag, 18 Uhr, auch an die verpaßte Chance einer vernünftigen Finanzpolitik. Über Lafontaine und und sein Konzept des Beinahe-gleichmäßigen-all-overs von Reichtum müßte man keineswegs schweigen, im Gegenteil, man müßte davon schwärmen, es verteidigen. Aber dazu ist im verkommenen heutigen Journalismus kein Platz. Verkehrte Welt. Bleibt nur Abtauchen in Schossigs weltalliges Leere. bk

bis 4. April

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