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Philharmonie aus Waldtälern

Der sächsische Vogtlandkreis plant eine eigene Repräsentanz in Berlin. Durch „gewisse Lobbyarbeit“ wollen die Vogtländer bei „den Leuten da oben“ für ihren Landstrich werben  ■ Von Gunnar Leue

Die Sachsen haben es geschafft, sie sind – dialektbedingt – mittlerweile die Spottbrüder und -schwestern des vereinten Deutschlands. Andererseits gelten sie nicht zuletzt wegen ihres aufgeweichten Idioms als gemiedlische Leut', die sich überall anpassen, wenn man ihnen nicht zuviel Streß bereitet.

Doch in dem ostdeutschen Ländle lebt auch ein Völkchen, dem eine eher renitente Art bescheinigt wird. Es sind die Bewohner des Vogtlands, einer laut DDR-Lexikon „welligen, von tiefen Waldtälern gegliederten Hochfläche zwischen Frankenwald und Erzgebirge“. Die gern als Hinterwäldler verspotteten Vogtländer bewiesen ihre Eigensinnigkeit nicht nur 1920, als sie mit dem Anarchisten Max Hoelz eine Räterepublik ausriefen, sondern auch während der DDR-Wende. Damals übermalten sie das Ortsschild der Vogtland-Metropole Plauen mit dem Zusatz „Landkreis Hof/ Bayern“. Wenngleich dieser Traum platzte, zeigte das doch, wie weit weg man sich von der DDR- Regierung in Berlin wünschte.

Um so erstaunlicher ist, daß es die Vogtländer nun vehement wieder in die unmittelbare Nähe der Zentralmacht zieht. Der Vogtlandkreis, mit 207.000 Einwohnern immerhin der größte sächsische Landkreis, will in Berlin eine repräsentative Vertretung eröffnen. „Durch die Hauptstadtverlagerung bietet sich eine gewisse Lobbyarbeit im wirtschaftlichen und politischen Bereich an“, begründet die für das Projekt verantwortliche Leiterin des Amtes für Wirtschaftsförderung, Marion Päßler, die weitsichtige Plauener Standortpolitik. Daher soll die „Vogtländische Botschaft“ auch nicht irgendwo angesiedelt werden, sondern dort, wo auch Bundesregierung und Bundestagsabgeordnete ihr Domizil haben: in Mitte.

Derzeit wird eine Immobilie mit mindestens 200 Quadratmetern gesucht. Fast war man schon fündig geworden, doch der extrem hohe Mietpreis für das „lukrative Objekt in zentraler Lage“ ließ die Vogtländer vorerst passen. Schließlich könne der Landkreis dafür kein Geld berappen, sagt Marion Päßler, das Projekt müsse sich selber tragen. Dafür sollen heimische Unternehmen, die an einer Selbstdarstellung in Berlin interessiert sind, sorgen. Weit gediehen ist vor allem die Kooperation mit einer Plauener Brauerei. Die soll die vogtländische Repräsentanz zu einer Ständigen Vertretung auch im Sinne der gleichnamigen Restauration im Schiffbauer Damm machen. Doch während dort alle Freunde des Rheinlands lediglich einen festen Anlaufpunkt zum Feiern finden, möchten die Südostler eine umfassende Begegnungsstätte, um „den Leuten da oben unsere Region unter verschiedenen Aspekten näherzubringen“. Das Wort Botschaft verwendet Marion Päßler nicht so gern, das klinge zu sehr nach Größenwahn.

In der sächischen Landesvertretung würden nur gelegentlich Veranstaltungen stattfinden, weiß die Plauenerin. Aber in einer ständige vogtländischen Einrichtung, die schon durch die optische Gestaltung ganz anders auf die Region einstimmen könne, würden Besucher viel eher mal vorbeischauen. Um sich als kultureller und wirtschaftlicher Treffpunkt zu etablieren, sind neben Empfängen und Konferenzen auch Geschäftsverhandlungen regionaler Firmen sowie Vernissagen und Künstlerauftritte angedacht. „Wir haben ein großes kulturelles Reservoire im Vogtland“, erklärt Marion Päßler, „zum Beispiel zwei Philharmonische Orchester, aber auch interessante Kleinkunst.“ Wenn ein Akkordeon-Orchester aus dem weltberühmten Musikwinkel zwischen Markneukirchen und Klingenthal käme, wären schließlich auch Berliner zu erfreuen und die Instrumentenbauer „näher am Endverbraucher“. Auch am touristischen Landschafts-Endverbraucher wäre man näher dran. Das wäre historisch sinnvoll, weil es an die „schon immer engen Beziehungen zu Berlin“ anknüpfen würde, so Päßler. Die Kurorte Bad Elster und Bad Brambach seien schon vor der DDR beliebte Urlaubsorte der Berliner gewesen. Dennoch glaubt Päßler nicht, daß Landrat Tassilo Lenk (CDU), der die Idee zur der Ständigen Vertretung hatte, auch einen Botschafter ernennt. Dabei wäre es nicht mal der erste eines deutschen Landkreises.

Schon seit Juni 1997 leitet Anita Gödiker die „Botschaft des Emslandes“ am Checkpoint Charlie. Die seit zwölf Jahren in Berlin lebende Emsländerin ist Initiatorin und Chefin der „ersten Botschaft in freier Trägerschaft“, die als Busineß-Center vor allem der Wirtschaft ihrer Heimat eine Plattform bietet. Und wenn der Emsländer Landrat das nächste Mal kommt, kann er sogar auf heimische Küche hoffen. Im Erdgeschoß soll bald ein „Emsländer Lokal“ eröffnen.

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