: Zahnweh auf dem Weg durch die Wüste
■ Nicht viel Gutes beim Wettbewerb um den Qualitätsfernseh-Oscar
Zwischen dem Friedhof und den Betonskeletten der Sozialdemokratie in der NRW-Kleinstadt Marl treffen sich alljährlich die Geschmacksrichter des Qualitäts-TV. Die Jury soll für den Volkshochschulverband die Adolf-Grimme- Preise vergeben, die einzig herausragenden deutschen TV-Preise, bevor im Herbst der neue „Deutsche Fernsehpreis“ kommt. Die von einer Kommission vorab gesiebten 22 Beiträge in der Sektion „Information & Kultur“ fügten sich zu einer Salzwüste mit wenigen Oasen. Hier war ein kulturbeflissener Essay über Uhren und Eimer („Wirbelwind – Tourbillion“, WDR/Arte), dort eine Doku mit schlampig aufgenommenen Wackelbildern ohne Informationswert („Schmerz ist...“, ZDF/Arte).
Erstmals in der 35jährigen Geschichte brach die Jury eine Sichtung ab: In „Gefährliche Träume“ (ZDF) von L. Bianconi sprechen 116 Minuten lang Frauen auf italienisch in monoton soziologischen Jargon über die Roten Brigaden. Das war nur schlecht, eine Frechheit war „Jeckes – Die entfernten Verwandten“ (BR/Arte). Zwei Grünschnäbel, Jens Meurer und Carsten Hueck, reisten nach Israel, um alte Menschen mit doofen Fragen zu belästigen und dabei noch eitel im Bild herumzustehen.
Positiv in Erinnerung blieben die „Eingebrannten Bilder“ (SWF) von Birgit Kienzle, ein formal überzeugender, spannender Dokumentarfilm über Rammstein, der leider leer ausging. Ausgezeichnet wurden die „Ratten“ (WDR/Arte) von Volker Anding/ Enno Hungerland, eine Kulturgeschichte des Nagers, humorvoll, aber mit Kompositionsmängeln.
Kein Ohr hatte der Konsensapparat der Jury für „Die letzten Schlachtengesänge“ von Harold Woetzl (SWF), der die Lieder der grölenden Fußballmasse zu einer kleinen TV-Nachtmusik arrangierte. Vertretbar ist der Preis für W. Huismann und K. Schloesser, die in „Machtspieler“ (WDR/RB) den Niedergang der Bremer Vulkan-Werft präzise und spannend aufrollen als wär's ein Agatha-Christie-Krimi. In Ordnung geht auch der Goldpreis für Dominik Grafs Reminiszenz an seinen Schauspieler-Vater („Das Wispern im Berg der Dinge“ (BR/WDR). Bei den Serien und Mehrteilern boten einheimische Autoren in „Das andere Algerien“ (WDR/Arte) interessante Einblicke. Die Auszeichnung aber ist politisch motiviert.
Der bedenklichste Preis geht an Uta König, deren spekulative Doku „Eine Frau im Männerknast“ (NDR) sich zum Sprachrohr einer Gefängnischefin macht, die berechnend von ihrer Vergewaltigung erzählt. Am Ende: ästhetisches Zahnweh. Manfred Riepe
Weitere Preise: „Fiktion & Unterhaltung“: „Der Laden“, Jo Baier u.a. (ORB/WDR/Arte u.a. – Gold-Preis); „Krambambuli“, Xaver Schwarzenberger u.a. (BR/ORF/SWR); „Gegen Ende der Nacht“, Oliver Storz u.a. (SWR); „Abgehauen“, Frank Beyer (WDR/NDR); „Hauptsache Leben“, C. Walther u.a. (ZDF); „Der Peitschenmeister“, Daniele Nocke (ZDF); Sonderpreis NRW-Kulturminister:„Das ABC der Werbung“, Hermann Vaske (ZDF/Arte); Publikumspreis: „Der Kandidat“, Thomas Schadt; Besondere Ehrung: Produzentin Regina Ziegler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen