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Charme-Offensive mit Bazookas

Eine afrikanische Friedenstruppe, die tatsächlich Frieden stiftet statt einfach weiter Krieg zu führen – dieses seltene Schauspiel bietet heute das von acht Monaten Bürgerkrieg zerstörte westafrikanische Guinea-Bissau  ■ Aus Bissau Thomas Baur

Sogar auf die Aktenordner hatten es die Plünderer abgesehen. Rechnungen und Belege wurden herausgerissen und achtlos auf dem Boden verstreut. Auch was Andreas Goll sonst noch alles hatte, schleppte der Mob weg – bis hin zu den Familienfotos.

Der deutsche ehemalige Biologielehrer, den es vor 17 Jahren vom Schwarzwald ins damals noch friedlich- verschlafene Guinea- Bissau verschlug, hatte es in dem kleinen Land mit Fleiß und Geschick zum erfolgreichen Unternehmer mit 150 Beschäftigten gebracht. Dann zerstörte am 7. Juni 1998 die Rebellion unzufriedener Militärs alle seine Pläne. Fassungslos steht er nun vor den Trümmern seiner Existenz. Gerade vier Monate konnte er und seine Familie sich über das neue Haus freuen. Und der 53jährige ist nur eines von vielen Opfern dieses selbst für afrikanische Verhältnisse bizarren Konflikts.

Die Hauptstadt Bissau ist heute so arm und heruntergekommen, daß sie sich nicht einmal mehr Bettler leisten kann. Die kommunale Verwaltung ist völlig zusammengebrochen, ganze Viertel sind seit Monaten ohne Strom und Wasser, meterhoch türmen sich Müllberge. In den Außenbezirken zeugen ausgebrannte Panzer von der Heftigkeit der insgesamt vier Kriegsrunden. Hier, wo neben Andreas Goll noch zahlreiche andere Europäer investiert hatten, überstand praktisch kein Gebäude den schweren Artilleriebeschuß unbeschadet. Den Rest besorgten Plünderer, viele davon in Uniform.

Nur ein paar Kilometer landeinwärts drängen sich Zehntausende Flüchtlinge, die sich vor den Kämpfen in der Hauptstadt retteten, immer noch in erbärmlichen Zeltlagern. Daß es hier nicht zur „Katastrophe“ gekommen ist, bezeichnete Emma Bonino, EU- Kommissarin für humanitäre Hilfe, bei ihrem Besuch hier vor einem Monat als „ein Wunder“. Es war vor allem die Infrastruktur katholischer Missionsstationen, die das Schlimmste verhinderte.

Die resolute Italienerin Bonino wurde bei ihrem Besuch in den Lagern mit frenetischen „Viva Junta“-Sprechchören empfangen. Mit der Forderung dieser „Junta“, wie sich die rebellierenden Militärs ab Juni nannten, nach dem Rücktritt von Präsident Nino Vieira identifiziert sich mittlerweile ein Großteil der gut eine Million Einwohner des Landes. Diesen Umstand scheint auch die Europäische Union jetzt nicht länger zu ignorieren. „Wir brauchen keine Hilfslieferungen“, erklärt einer der Geflüchteten, „wir brauchen Frieden.“ Viermal seien sie vor den Kämpfen in der Hauptstadt geflohen. Zurückkehren würden sie erst, wenn die letzten senegalesischen Interventionstruppen Guinea-Bissau verlassen hätten.

Rebellen und Eingreifer beim Bier vereint

Schon zurückgekehrt ist Quirino Spencer, pensionierter Exmajor und Mitglied im Oberkommando der „Junta“. Unbewaffnet und nur in Begleitung eines Offiziers der westafrikanischen Friedenstruppe Ecomog soll er Schiffscontainer für die Lagerung eingezogener Waffen beschaffen. In einer Hafenpinte feiern Spencer und sein Rebellenkommando den friedlichen Einzug in die Hauptstadt auf ihre Weise: Mit ebenso herzlichen wie demonstrativen Umarmungen von Ecomog-Offizieren und reichlich Freibier, das sinnigerweise seit den Zeiten des Kolonialkriegs gegen Portugal „Bazooka“ heißt – Panzerfaust.

Die Charme-Offensive der Rebellen kommt bei den Ecomog- Soldaten offensichtlich an. Die multinationale Friedenstruppe aus Togo, Niger, Gambia und Benin, die noch durch ein von Deutschland finanziertes Kontingent aus Mali verstärkt werden soll, hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, Voraussetzungen für friedliche Neuwahlen zu schaffen. Termin: möglicherweise noch im Herbst diesen Jahres. Sicher, es gebe noch etliche Probleme, räumt ein togoischer Leutnant ein. Beispielweise die vielen illegalen Straßensperren im Landesinneren. Anderseits laufe die so wichtige Demobilisierung der beiden verfeindeten Lager wider Erwarten reibungslos. Über ihren Sender „Radio Bombolo“ (Radio Trommel) verbreitet die „Junta“ lange Namenslisten derjenigen Kämpfer, die ihre Kalaschnikow noch nicht abgegeben haben.

Es scheint, als habe die Ecomog in Guinea- Bissau aus den Fehlern ihrer bisherigen Missionen gelernt. Anders als in Sierra Leone oder Liberia ist sie hier um strikte Neutralität bemüht. Dies zeigte sich beim jüngsten und gleichzeitig schwersten Waffengang Anfang Februar, der aller Wahrscheinlichkeit nach vom Präsidenten Nino Vieira angezettelt wurde, um die Ecomog auf seine Seite zu ziehen. Das Kalkül ging nicht auf.

Und bei der Bevölkerung sammeln die Ecomog-Soldaten Punkte, weil sie sich bemühen, in der Landessprache Kreol zu kommunizieren. Das ist ganz anders als das Verhalten der Eingreiftruppen aus Senegal und Guinea, die bei Ausbruch der Militärrebellion von Präsident Nino Vieira ins Land geholt wurden und die jetzt der Ecomog weichen. Deren Befehl „Retournez!“ kennt heute jedes Kind in Bissau. Dieses barsche französische „Umkehren!“ gilt als Synonym für die Arroganz der Senegalesen.

Der Premierminister amtiert im Sperrmüll

Ihre gefürchteten Straßensperren sind inzwischen weggeräumt oder werden von Ecomog-Truppen betont korrekt kontrolliert. Die Augen der senegalesischen Soldaten sind leer, ihre Mienen von der Enttäuschung gezeichnet, gegen die schlecht ausgerüsteten aber hochmotivierten Rebellen nicht gesiegt zu haben. Nach unbestätigten Berichten sollen sie annähernd 1.000 Mann verloren haben.

Francisco Fadul, der neue Premierminister der neuen Regierung der nationalen Einheit, macht bislang vor allem durch ungewöhnlichen Arbeitseifer und bescheidenes Auftreten von sich reden. Der von der „Junta“ nominierte parteilose Jurist, Sohn eines Libanesen und einer Einheimischen, logiert in einer frugalen Lagerhalle beim Flughafen; das Interieur hat bestenfalls Sperrmüllqualität. Einen Erfolg konnte die neue Regierung verbuchen: Die EU hat die gesperrten Gelder aus dem Fischereiabkommen mit Guinea-Bissau wieder freigegeben. Damit gibt es etwas finanziellen Spielraum.

Priorität hat für Fadul, der bereits als potentieller Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten gehandelt wird, die „Wiederherstellung der nationalen Souveränität“. Er spricht von der Gefahr, von „zwei frankophonen Ländern“ – gemeint sind Senegal und Guinea – „geschluckt“ zu werden. Dazu fordert Fadul die Ablösung des französischen Botschafters Chapelet. Der Diplomat hatte bei Ausbruch der Kämpfe in die Heimat gekabelt, in „spätestens 48 Stunden sei die Situation wieder unter Kontrolle“ – nur eine von zahlreichen krassen Fehleinschätzungen. Denn erst als die von Frankreich hochgerüsteten Truppen Senegals in Bissau einrückten, weitete sich der Putschversuch zur Volkserhebung gegen den Präsidenten aus.

Während Mané nun immer mehr zum gefeierten Nationalhelden aufrückt, sieht sich Präsident Nino Vieira zunehmend isoliert. Seine seltenen Ausflüge aus dem hermetisch abgeriegelten Präsidentenpalast geraten zum martialischen Spuk. Umringt von seiner Leibwache macht er sich dann zu Fuß ins nahe Zentrum auf, von der spärlich anwesenden Bevölkerung weitgehend ignoriert. Auf die Frage, wer das denn sei, kommt von Passanten die sarkastische Antwort: „Der Präsident unserer Republik.“ Schon strecken enge Vertraute innerhalb der ehemaligen Staatspartei PAIGC vorsichtig ihre Fühler Richtung „Junta“ aus.

Hoffnung schöpft jetzt auch Andreas Goll wieder, der in Guinea- Bissau ausharren will – „wo soll ich denn sonst hin?“ Bis sein zerstörtes Haus wieder halbwegs bewohnbar ist, hat ihm ein befreundeter Guineer eine kleine Wohnung zur Verfügung gestellt. Außerdem hat die von Goll betriebene Diskothek „Cabana“ den Granatenhagel vom Februar wundersamerweise fast unbeschädigt überstanden. Nachdem vor wenigen Tagen auch das nächtliche Ausgehverbot aufgehoben wurde, kommen erstmals seit acht Monaten wieder Besucher – und damit etwas Geld in die leere Kasse. Nur Golls Verhandlungen mit der „Junta“ über die Rückgabe requirierter Maschinen und Fahrzeuge blieben ohne Ergebnis.

Dafür zeigen sich die Aufständischen auf andere Art kulant. Sie räumen dem Deutschen kostenlose Sendezeit in ihrem Rundfunksender ein. Die Botschaft: „Vergeßt den Krieg. Kommt ins ,Cabana‘ tanzen!“

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