Christoph Biermann: In Fußballand
■ Freie Bahn für einen reichlich homerischen Orkasmus in Lippstadt mit Ideen vom Klo
Dem neumodischen Kolumnenkapern im geharnischten Droste-Sinne (s. taz vom 9. März) sei hier ein altväterliches „Dem Nachwuchs eine Chance“ nachgeschoben. Oliver Sichau (29) ist Herausgeber, Chefredakteur und Allesvollschreiber von „Homer“, das von den Machern anderer Fußball-Fanzines als „Kultzine 1999“ prämiert wurde. „Homer“ widmet sich vor allem dem Oberligisten SV Lippstadt 08. Anhand einer Partie gegen Eintracht Rheine ist Sichau ein übers Westfälische hinausweisender Schlüsseltext für den Sportjournalismus gelungen, den wir in entscheidenden Ausschnitten dokumentieren:
Gut ist es, den Spielbericht mit einem amüsanten Bonmot zu starten, etwa: „Kaum sind die Roten an der Macht, schon holt der SV 08 einen Punkt gegen Rheine.“ Kann man schöner auf den politischen Machtwechsel und gleichzeitig die Tatsache hinweisen, daß eine Lippstädter Fußballmannschaft ungefähr seit Einführung des Frauenwahlrechts keinen Punkt mehr gegen die Holländer geholt hat? Man kann den Bericht aber auch mit maßlosen Übertreibungen einleiten, die zwar nicht zutreffen, den Leser aber dennoch fesseln.
Noch besser ist es allerdings, mit Wissen zu prahlen, über das man nicht verfügt. Persönlich rate ich zum Konsum von Sendungen der Kanäle Arte und 3Sat. Notieren Sie einen wichtigen Satz oder eine interessante Information und bringen Sie das beiläufig unter. Ein Beispiel: „Rossini hat seine Oper ,Der Babier von Sevilla‘ mit 21 Jahren geschrieben, und ich kenne Leute, die zehn Jahre älter sind und es während des Spiels gegen Rheine nicht mal schaffen, eine Bierflasche mit dem Feuerzeug zu öffnen.“ Oder die alte Martin-Heidegger-Leier: „Das ontologisch verstandene Bewerdenlassen ist vorgängige Freigabe des Seienden auf seine innerumweltliche Zuhandenheit (frische Mösen).“ Halbwegs intelligente Leser werden Sie ob Ihres feinsinnigen Humors feiern, weniger gebildete Gruppen zunächst verstört reagieren, aber dadurch versöhnt, indem man – etwa durch Erwähnung von Frivolitäten – auch sie an den Text fesselt. Wichtig: Zeigen Sie nicht, daß Sie für diesen Abschaum unserer Gesellschaft nur Verachtung übrig haben. Überhaupt: Nie die Leser beleidigen. Merk dir das, du Arsch!
Für den Anfänger ist es besser, zunächst in den Fußstapfen eines Sportredakteurs zu wandeln und auf Angaben zum Spielgeschehen nicht zu verzichten. Wichtig dabei ist, den Gegner nach allen Regeln der Fabulierlaune zu demütigen, selbst wenn er besser als das eigene Team gespielt haben sollte. Aber: Fasse dich kurz. Ein Beispiel: „Anstoß, nach zehn Minuten erzielte Markus Klingen das 1:0, dann wurde der SV immer deutlicher in der eigenen Hälfte eingeschnürt, den scheiß Rheinern gelang der Ausgleich, mit dem Pausenpfiff sogar die Führung. Mit Christos Orkas kam Schwung ins Angriffsspiel, Daniel Farke machte das 2:2, und Heiko Köpper ging nach einer roten Karte vom Platz, nachdem er in der 90. Minute einem frei aufs Tor zulaufenden Arsch aus Rheine von hinten volle Kanne die Beine weggesemmelt hatte. Vorher war Michael Schinke mit Gelb-Rot des Feldes verwiesen worden, zwei Boffos aus Rheine mußten ebenfalls vorzeitig zum Duschen.“ Fertig, die Bild macht es auch nicht anders.
Auf dem Klo hat man die besten Ideen! Legen Sie sich also unbedingt Papier und Bleistift zurecht und notieren Sie eventuell auftretende Geistesblitze prompt, auch wenn sie noch so blöde sind. „Daniel zeigte allen, was 'ne Farke ist“, hört sich schon besser an als „Daniel Farke machte das 2:2“. – „Unsere Spieler hatten früher ,Geha‘-Füller und ihre Mütter belegten Tortenböden aus Mürbeteig mit Früchten, deshalb sind wir das bessere Team und nicht zu vergleichen mit den Rheinern, die mit ,Pelikan‘ schreiben und Biskuit essen mußten“ ist vielleicht noch etwas unausgereift, während „Orkas, der Killerwal, wirbelte wie ein Orkan, verhalf Dorkas Kiefer zu einem Orkasmus und ordert Ware aus Katalogen nur gegen Vorkasse“ ebenso übertrieben wie falsch ist.
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