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Bei Otto bleibt die Hölle kalt

Der demütigende Champions-League-Rauswurf durch die Bayern zwingt Kaiserslautern, also Rehhagel, über personalpolitische Versäumnisse nachzudenken  ■ Von Günter Rohrbacher-List

Kaiserslautern (taz) – Die Fahrt über den Rhein hin zum Betzenberg hatten sich die Bayern dieses Mal erspart. Sie waren drüber geflogen. Zu oft in der Vergangenheit war es gestandenen Weltmeistern wie Breitner, Hoeneß und Beckenbauer mulmig geworden bei ihrer Annäherung an den angeblich höchsten Berg der Pfalz. Das war freilich gestern. Heute kann man sagen: Die Bayern stehen nach dem 4:0 vom Mittwoch nicht nur im Halbfinale der Champions League, der Berg hat für sie auch seinen Schrecken verloren. Zumindest vorläufig.

Warum der Betzenberg als Hölle nicht stattfand? Schon nach acht Minuten war es ganz still auf den Tribünen geworden. Da hatte der ungestüme und unerfahrene Lauterer Abwehrspieler Janos Hrutka die Rote Karte gesehen, nachdem er Carsten Jancker im Strafraum gehalten hatte. Den Elfmeter verwandelte Stefan Effenberg zum 0:1. Aus war es! Makulatur waren all die Beschwörungen vergangener Fußballwunder auf dem Betzenberg, die einem in den Tagen vor dem Spiel schon zu den Ohren rausgekommen waren. Überholt alle Spekulationen über den Spielausgang und gewagten Prognosen („Morgen gibt es unseren Nachbericht vom 4:1-Sieg des 1. FCK gegen die Bayern“) pfälzischer Wahrsager.

Ob nun Jancker „eine Schwalbe fabriziert hat“, wie Lauterns Trainer Otto Rehhagel fand oder der gegebene Elfmeter berechtigt war, wie Bayern-Coach Ottmar Hitzfeld glaubte – Tatsache war, daß das Spiel nach dem 0:1 entschieden war. Dabei wären normalerweise auf dem Betzenberg vier Tore in 80 Minuten durchaus aufzuholen. Doch an diesem Tag zeigte sich deutlich das Manko der Pfälzer, die selbstgefällig und vielleicht ein wenig blauäugig und zu sehr dem Glück vertrauend, darauf verzichtet hatten, die bekannten Schwachstellen in ihrem Team zu markieren und Abhilfe zu schaffen.

Die Katastrophen-Abwehr Hrutka/Koch, etwa, war schon zuletzt gegen den 1. FC Nürnberg überfordert gewesen und konnte von Glück sagen, daß Pavel Kuka ein schlechter Vollstrecker ist. Aber gegen Bayerns Jancker und Lizarazu ist eben kein Kraut gewachsen, das den beiden die Freude am Spielen nehmen würde.

Im Bestreben, den Ausgleich zu schaffen, hätte der 1. FCK sogar in ein Debakel rennen können, hätte sich der FC Bayern in der zweiten Halbzeit nicht darauf beschränkt, sich selbst zu feiern und Fußball zu zelebrieren. Wie beim Trainingsspielchen ließen sie den Ball oft über unzählige Stationen laufen, führten ihre Gegner vor, was diesen sichtlich weh tat. Da war von hochgelobten Jung-Nationalspielern bzw. Aspiranten wie Marco Reich und Michael Ballack so gut wie nichts zu sehen. Impulse konnten sie an diesem Tag keine geben. Im Gegenteil: Sie haben sowohl ihrem Trainer als auch dem anwesenden Erich Ribbeck die Grenzen ihres offenbar überbewerteten Könnens aufgezeigt.

Otto Rehhagel war hinterher ganz kleinlaut, sprach von „Schadensbegrenzung, damit wir nicht den Laden voll kriegen und die Moral darunter leidet, schließlich müssen wir noch die Bundesliga spielen“. Doch war es nicht seine alleinige Verantwortung, auf Verstärkung für die Mannschaft zu verzichten? Eine Kombination aus Selbstgefälligkeit, Selbstzufriedenheit und Geiz verhinderte letztlich Ende letzten Jahres die Blutauffrischung für das Team.

Damals hat man sich durch den 3. Tabellenplatz in der Bundesliga blenden lassen, im Moment passiert dasselbe, da man sogar auf Platz 2 liegt. Daß hinter den klar führenden Bayern nicht nur eine große Punktlücke, sondern auch eine ganze Niveauklasse klafft, ist seit dem 0:4 vom Mittwoch aber nicht mehr zu leugnen.

Dem spielerischen Vermögen dieser Bayern ist kein anderer Bundesligist gewachsen. Die Bayern können sich – zumindest national – nur selbst schlagen. Was beweist, daß die Bundesliga auf einem gefährlichen Weg ist hin zur Hollandisierung mit einem auf Jahre dominanten Meisterabonnenten, einigen Europa-Kandidaten dahinter sowie dem großen Rest, der gegen den Abstieg kämpft.

Was den 1. FCK betrifft, so hat er trotz der abschließenden Lehrstunde gute Chancen, den Elite- Wettbewerb erneut zu erreichen. Aber nur mit einer rund erneuerten Mannschaft, mit der man wieder „etwas gewinnen kann“ (Ciriaco Sforza) wird man so weit kommen, daß selbst die Bayern wieder richtig Angst kriegen vor der Fahrt oder dem Flug über den Rhein.

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