: SPD-Linke wollen den Kanzler blockieren
Die Juso-Chefin Andrea Nahles will ein Sammlungsbecken für linke Parteimitglieder schaffen und dazu einen eigenen Verein gründen. Ihr Ziel: „Wir brauchen eine Sperrminorität gegen Schröder“ ■ Aus Bonn Markus Franz
Während die SPD-Parteispitze nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine versucht, zu businessasusual zurückzukehren, will die Parteilinke ihre Kräfte mobilisieren. Einerseits befürchtet sie, an Einfluß zu verlieren. Andererseits hat sie Hoffnung, weil ihr auf einmal ein Interesse entgegenschlägt wie lange nicht.
Die Sitzung der parlamentarischen Linken, zu denen etwa 130 bis 160 der insgesamt 298 SPD-Abgeordneten zählen, fand am Dienstag Zulauf wie selten zuvor. Abgeordnete, die bisher nicht als Parteilinke öffentlich aufgefallen sind, wollen künftig stärker am linken Profil der SPD mitwirken. Offenbar gibt es in der Fraktion die Tendenz, die Lücke, die Lafontaine als Galionsfigur der Parteilinken hinterlassen hat, auszufüllen. Der Abgeordnete Wolfgang Wodarg steht für viele, wenn er sagt: „Die Linke ist jetzt gefordert. Es ist kein Brecher mehr da. Da müssen wir eine Reihe weiter nach vorne rücken.“
Selbst Abgeordnete, die sich nicht zu den ausgesprochenen Linken zählen, wollen sich mehr für linke Politik engagieren. Der Innenpolitiker Michael Bürsch sieht durch den Rücktritt Lafontaines eine „Marktlücke“. Die Fraktion könne jetzt gar nicht anders, als sich nach links zu orientieren. Er selber fühle sich bestärkt, „auf diesem Sektor jetzt mehr zu tun“ .
Hoffnung macht den Linken der Ausspruch von Fraktionschef Peter Struck, die Fraktion werde von nun an eine stärkere Rolle übernehmen müssen. Struck, heißt es, habe sich dabei zwar nicht auf eine explizit linke Politik bezogen, aber was solle er sonst gemeint haben? Stärkere Rolle könne nur bedeuten: größeres Gegengewicht zu Schröder.
Die im „Frankfurter Kreis“ zusammengeschlossenen Parteilinken wollen jedenfalls nicht länger ihre Wunden lecken, sondern in die Offensive gehen. Bereits seit Wochen wird über eine bessere Strukturierung diskutiert, die seit dem Rücktritt Lafontaines noch intensiviert wird. Die Juso-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Andrea Nahles denkt darüber nach, einen Verein für die Linken zu gründen. Durch Mitgliederbeiträge und die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden könnte die finanzielle Basis für eine größere Schlagkraft geschaffen werden. Von den Einnahmen könnten Veranstaltungen organisiert und Informationsblätter erstellt werden. Die Linke, so Nahles, müsse ihr Profil stärken. Das Ziel: „Wir brauchen eine Sperrminorität gegen Schröder.“
Der Vorschlag, einen Verein zu gründen, stößt nicht auf ungeteilte Zustimmung. Dem Umweltexperten Michael Müller ist das zuviel organisatorischer Aufwand: „Was wir jetzt brauchen, ist Handlungsfähigkeit.“ Die Weichen für die Ausrichtung der SPD würden schon in den nächsten Tagen gestellt. Die Politik müsse der Entwicklung entgegentreten, daß der „Sozialstaat zur Restgröße der Ökonomie verkommt“. Die SPD müsse deutlicher als bisher ihre Normen und Werte vermitteln.
Dem Sprecher des „Frankfurter Kreises“, Detlev von Larcher, kommt die Diskussion über einen Verein zu früh, er hält es aber für nötig, „Finanzen zu akquirieren, die Organisation zu straffen und die Komunikation zu verbessern“. An sich, sagt Larcher, habe sich durch den Rücktritt Lafontaines an der Situation der Fraktion nichts geändert. „Die Linke ist nach wie vor die Linke.“
Gerade was die Wirtschaftspolitik angeht, sind viele Genossen gegenüber Schröder mißtrauisch. Viele werfen ihm einen Schmusekurs mit der Wirtschaft vor. Wolfgang Wodarg sagt, die Abgeordneten seien jetzt gefordert zu bekennen, auf welcher Seite sie stehen: zu denen, die eher für soziale Gerechtigkeit eintreten, oder zu denjenigen, die sich für mehr Förderung der Wirtschaft einsetzen. Der Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz, der keinem Flügel der Fraktion zuzuordnen ist, meint: Wenn Schröder sage, man könne keine Politik gegen die Wirtschaft machen, erreiche das bestenfalls den Kopf der SPD, „aber nicht das Herz“. Aber schlägt das Herz der SPD wirklich noch links, wie Lafontaine seiner Partei sagte?
Reinhold Robbe, der Sprecher des rechten „Seeheimer Kreises“, ist der Ansicht, daß die SPD neue Wählerschichten erschlossen habe, die nun nicht verprellt werden dürften. Der Mittelstand habe die SPD auch deshalb gewählt, weil Schröder für eine wirtschaftsfreundliche Politik stehe. Dieter Wiefelspütz meint, daß die SPD in der Regierungsverantwortung immer pragmatischer werde und dadurch auf Dauer weniger sozialdemokratisch erscheine. Pragmatismus – vielleicht ist das der große Unterschied zwischen Parteilinken und Parteirechten. Wie beim Thema Staatsangehörigkeitsrecht. Statt „kleinmütigem Pragmatismus“, sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gernot Erler, hätte man versuchen müssen, die Leute für das Konzept zu begeistern. „Begeisterungsfähigkeit“, so Erler, „das ist das Kennzeichen der Linken.“
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