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Weg mit botanischem Garten

■ Gestern fielen in der Georg-Bitter-Straße die ersten Bäume den Motorsägen zu Opfer / Heftigen Ärger zwischen Polizei und Anwohnern gab es aber nicht

„Wehrt euch, leistet Widerstand“, zwitscherte es gestern aus Büschen und Bäumen an der künftigen Georg-Bitter-Trasse. Und auch Klaus Möhle guckte wieder so grimmig aus seinem Bart-Büschel wie anno dunnemals im Kampf um die Apfelbäume am Weidedamm. Doch weder die Rotkehlchen, noch das menschliche Zwitschern von 15 WiderstandskämpferInnen konnten gestern dem Chainsaw-Massacre an der verkehrsberuhigten Bitter-Straße Einhalt gebieten.

Ab sechs Uhr morgens sägten die Sägen in den Händen von vier stadtgrünen Subarbeitnehmern und lichteten stoisch Meter für Meter den verwunschenen Fußweg vis à vis der Erdbeerbrücke zur potentiellen Auto-Rennschneise. Die Rotkehlchen also müssen sich jetzt eine neue Bleibe suchen, aber „das ist nicht der Schuh, den wir uns jetzt hier anziehen müssen“, wies Rechtsanwalt Henning Schmidt den trauernden Rolf Bürgershausen zurecht: „Baumschutz tritt hinter Bauplanung ganzjährig zurück.“

Also weg auch mit dem knapp hundertjährigen Ginkgo am Georg-Bitter-Fahradweg kurz hinter dem Osterdeich, hieß es wenige Kettensäger-Stunden später. Mit der mythenumrankten Heilpflanze starb unter lautem Getöse ein letztes Überbleibsel jenes botanischen Gartens, der hier zwischen Kaiserzeit und zweitem Weltkrieg von Georg Bitter ins Leben gerufen worden war.

Und doch stellten sich gestern grad mal ein gutes Dutzend Aktive der ersten handfesten Maßnahme für einen künftigen Innenstadtring entgegen. Eine von 15 Widerständlern war Karin Steiger aus dem Viertel – die verstand die Welt nicht mehr: All die Leute aus den Eigenheimen an der Kirchbachstraße, fand sie, müßten doch samt und sonders hier stehen: „Der wunderschöne Grünstreifen, an dem die da in der Kirchbachstraße wohnen, ist doch das nächste, was für die Schneise von der Erdbeerbrücke bis nach Horn-Lehe verschwindet.“

Derweil setzen ein paar Meter weiter, im dichten Gebüsch, 14 Don QuichotInnen und ihre staatsbevollmächtigten Gegner im grünen Trikot ihr Bäumchen-Wechsel-Dich fort. Grausige Szenen spielen sich ab. Vier harte PolizistInnenfäuste ziehen und zerren an einem Bein, das eigentlich Mirja Halbfaß gehört und ständig ruft: „SPD und CDU (rhytmische Pause) zerstören Hastedt und umzu (rhythmische Pause).“ Drei Meter weiter schlingt sich ein Staatsmann ungeniert und mit eindeutig niederen Motiven um eine erwachsene Frau: „Na, wie lange ist es her, daß Sie so einen jungen Mann im Arm hatten?“ Und drüben bei „Löfflers Autoteilen“ sitzt still der nette Jan Saffe von der Hastedt-Ini auf einem Apfelbaum und keiner will ihm erzählen, daß sein Baum gar nicht abgesägt wird.

Auf dem Fahrradweg politisiert indessen die Politik. Karin Krusche von den Grünen steht neben dem lächelnden Gebüsch Klaus Möhle und findet „diese Symbolpolitik für die CDU“ ziemlich bescheuert. Ein Lehrstück in Sachen großer Koalition eben: Die funktioniert, nach der simplen Arithmetik von Geben und Nehmen: CDU-Schulte kriegt sein Prestigeobjekt Georg-Bitter-Trasse, dafür darf sich der kleine SPD-Weber mit seiner spießigen Linie 4 profilieren. Und der eine darf Bausenator bleiben und der andere Fraktionsobermufti.

Fern von Symbolik und dem Fahrradweg im naßkalten Märzwind aber verläuft die Frontlinie für die Ini „Hastedt und umzu“ derzeit eher vor den Gerichten. Kommende Woche wird das Verwaltungsgericht prüfen, ob sich die Baubehörde ihre Umwandlung des Hastedter Wohnwegs in eine Autoschneise nicht mit falschen Behauptungen erschleicht. Anwalt Schmidt ist ganz zuversichtlich, daß seine Normenkontrollklage Erfolg haben wird: Das Argument, durch die künftige Georg-Bitter-Straße werde die Stader Straße entlastet, hält er nämlich für einen Schmarrn. Mit dieser Begründung, glaubt Schmidt, haben sich die christdemokratischen Trassenbauer ins eigene Bein gesägt. Würden doch in der Georg-Bitter-Straße dreimal so viel Menschen leben und unter den künftigen Verkehrsströmen von der Erdbeerbrücke leiden wie in der Stader Straße. Gegen diese nachweislichen Realitäten, freut sich der Anwalt, könne man auch mit der heute geschlagen symbolischen Schneise nichts ausrichten. ritz

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