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Zahlungsverzug  ■ Von Martin Nusch

10 Uhr durch. Es klingelt an der Haustür, unser Frühstücksgast ist allerdings bereits da. Wer kann das noch sein? Genau! Ich gehe zur Sprechanlage und trompete vergnügt hinein: „Tach, Post!“ Von unten kommt irgend etwas Unverständliches, das mit „Martin Nusch“ endet.

Sprechanlagen sind nicht gemacht, um da durchzusprechen. Jeder weiß das, der schon einmal an einer vielbefahrenen Straße stand und irgendwo geklingelt hatte, wo er wahrscheinlich hinmußte, aber den Nachnamen nicht genau im Kopf hatte. Deshalb könnte es auch sein, daß man sich verklingelt hätte, und ... Die Sprechanlage sagt dann „Hallo?“, und man versucht zu sagen, wer man ist und was man will. Währenddessen geht 20 Meter weiter der Preßlufthammer los oder der Zementmischer kommt. Oder zwei Busse der Linie 43 direkt hintereinander.

Der Erfinder der Sprechanlage war kein Menschenfreund. Ich hoffe, er hat seine Strafe erhalten. Da ich niemanden so leiden lassen möchte, drücke ich einfach auf und frage mich sehr, wer da jetzt auf dem Hochweg sein könnte. Eine Weile vergeht. Der Aufzug setzt sich in Bewegung. Er hält wieder an. Er fährt weiter. Er kommt im vierten Stock an. Da wohnen wir. Eine Frau steigt aus. Ich kenne sie nicht. Sie sieht nicht aus, als hätte sie ein Paket dabei für mich. Vielleicht liegt das daran, daß sie überhaupt kein Paket dabeihat. Auch ein Reversschildchen von der Lottozentrale ist nicht auszumachen. Allerdings würde es mich auch wundern, daß die jemanden schicken, um mir meinen Gewinn für den Lotto-Einser vom Samstag auszuzahlen. Obwohl – es war immerhin Jackpot!

„Guten Tag, ich komme vom Landgericht Köln. Ich bin Gerichtsvollzieherin!“ sagt die Dame, und mir fällt spontan allerhand ein, unter anderem, daß ich die allerletzte Mahnung meiner Hausratversicherung seit einigen Wochen souverän ignoriert habe. Warum, weiß ich auch nicht, es muß an meiner schwäbischen Ahnentafel liegen. Ungern trenne ich mich von Geld. Nun möchte die Dame namens meiner Hausratversicherung erstens 240 Mark und zweitens gern hereinkommen, vielleicht gar sich gern setzen, um etwas aufschreiben zu können.

Höflich dirigiere ich sie zum Küchentisch und schaffe einen DIN-A4-großen Freiraum zwischen Tellern und Aschenbechern. Der Rest der vierköpfigen Frühstücksgemeinschaft beobachtet die Dame mit einer Mischung aus Horror und Faszination. Wir alle haben noch nie eine Gerichtsvollzieherin in Aktion gesehen. „Gott sei Dank haben Sie einen Aufzug!“' stöhnt sie dankbar, während ich einen Scheck ausfülle. Ja! Gerichtsvollzieherinnen nehmen Schecks! Ich schätze, falls die nicht gedeckt sind, bringen sie halt beim zweiten Mal Franco, den Fingerbrecher, mit. Leider sind wir alle nicht vertraut mit den einschlägigen Benimmregeln: Bietet man einer Gerichtsvollzieherin etwas zu trinken an? Oder ist das Bestechung? Wenn anbieten: Kaffee oder kalt? Es ist zwar nach 10, aber wir frühstücken erst. Sie dagegen ist wahrscheinlich schon Stunden im Dienst und leicht verschwitzt.

Als die Überlegungen beginnen verzwickt zu werden, verabschiedet sie sich schon wieder. Noch mal davongekommen! Gut, mein Geld bin ich los, aber wenigstens nicht blamiert!

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