: "Zwölf ist die heilige Zahl"
■ Das große Zocken der Wirtschaftsbranchen, der Shareholder value, und was es mit der Zahl zwölf auf sich hat. Ein Gespräch mit dem Soziologen Dirk Baecker über die neue wirtschaftliche Fusionswelle. Politik hei
taz: Herr Baecker, vorausgesetzt, Sie verdienten gut genug, daß Sie sich Gedanken über die Anlage Ihres Geldes machen müßten: Würden Sie Aktien kaufen?
Dirk Baecker: Ich halte mich an die Regel seriöser Wertpapierberater, daß man nur dasjenige Geld in Risikopapiere investieren sollte, auf das man notfalls auch verzichten kann, und daß es sich erst ab 200.000 Mark lohnt, die Mühe und vor allem die Unruhe einer Investition in schwankende Werte auf sich zu nehmen.
Anläßlich der großen Wirtschaftsfusionen wird immer wieder darauf verwiesen, daß es sich im Kern um eine Operation zur Pflege des Shareholder values handelt. Sehen Sie das auch so?
Das Shareholder-value-Modell legitimiert Maßnahmen zur Disziplinierung von Wirtschaftsorganisationen. Fast alle modernen Unternehmen sind in den letzten Jahrzehnten soweit dezentralisiert worden, daß es schwer geworden ist, Perspektiven oder „Strategien“ der Unternehmensspitze in den einzelnen Bereichen der Unternehmen durchzusetzen. Mit dem Shareholder-value-Modell kann die Unternehmensspitze darauf verweisen, daß auch sie sich an einem Markt orientiert und auf einem Markt auf dem Spiel steht, nämlich auf dem Markt der Bewertung nicht nur der Produkte des Unternehmens, sondern des Unternehmens insgesamt. Die Unternehmensspitze beobachtet die Einschätzung des Unternehmens durch den Markt, ablesbar zum Beispiel an Aktienpreisen, und verwendet die Argumente des Shareholder-value-Modells, um in ihren Augen notwendige Reaktionen auf diese Einschätzungen im eigenen Unternehmen durchzusetzen. Unternehmensfusionen können im Zusammenhang mit dieser Entwicklung gesehen werden. Erstens sichern auch sie, daß im Unternehmen auffällt, was die Spitze treibt. Und zweitens können sie Unternehmenswerte so präparieren, daß auf neugierige Analystenfragen erst einmal gute Antworten gegeben werden können.
Gibt es einen gesellschaftlichen, psychologischen Zusammenhang, daß derzeit eine Wirtschaftsfusion der anderen folgt? In der Ölbranche beispielsweise bleiben nach der bevorstehenden Mobil- Exxon-Fusion kaum noch Konzerne übrig.
Ich würde gesellschaftliche und psychologische Faktoren erst einmal voneinander trennen. Über die gesellschaftlichen weiß man bislang fast nichts. Man könnte über eine Restrukturierung der modernen Wirtschaft angesichts neuer Technologien und neuer Märkte spekulieren. In Beraterkreisen wird im Moment die Auffassung vertreten, alle großen Branchen würden auf eine Struktur mit zwölf Spielern zulaufen. Zwölf ist die heilige Zahl. Daran gemessen, scheinen einige Branchen bereits unterbesetzt zu sein. Die psychologischen Faktoren sind besser zu durchschauen. Es gibt in der Wirtschaft so etwas wie eine Konkurrenz der Topmanager um die beeindruckendsten Deals. Die Gruppe dieser Topmanager ist nicht sehr groß. Man spielt „schöpferische Zerstörung“ (Schumpeter) und zeigt sich gegenseitig, wie man es schafft, diese oder jene Struktur aufzubrechen und eine neue an ihre Stelle zu setzen. Die neue Struktur muß sich nicht wesentlich unterscheiden, aber sie muß die „Handschrift“ des jeweiligen „deal makers“ tragen. So versucht man, sich zu verewigen. Die Fusionen sind ein ideales Spielfeld für diese Konkurrenz, denn mehr als 60 Prozent scheitern an den sogenannten Post-merger-Integrationsproblemen, und das schafft hinreichende Unsicherheit, um die größten Spielertalente auf den Plan zu rufen.
Aber Spieler wissen, daß es nur Spaß macht, solange es auf das gewonnene oder verlorene Spiel noch ein nachfolgendes Spiel gibt. Deshalb verhandeln alle Gambling- Theorien ja die Frage des Nicht- Aufhören-Könnens. Der Big Deal der Topmanager hat etwas vom Charakter des letzten Spiels. Ein Spieler, behaupte ich, zieht jedoch nicht ins letzte Spiel.
Auch für die Fusion gilt die Regel: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Gegenwärtig ist man besonders interessiert daran, wie sich die Post-merger-Probleme, vor allem die Integrationsprobleme unterschiedlicher „Unternehmenskulturen“ lösen lassen. Auch hier gibt es Einsätze, die den Ehrgeiz der Topmanager auf den Plan rufen. Und die Leute bekommen glänzende Augen, weil man plötzlich sieht, wie sich die verschiedenen Welten finanzieller Spekulation, technologischer Spekulation und kultureller Spekulation aufeinander beziehen lassen. Hier sind außerordentlich „kreative“ Lösungen gefragt, zumal es gleichzeitig immer auch um die Aufrechterhaltung oder Neuschaffung von Marktzugängen geht.
Eine Fusion stellt ja große Herausforderungen an die Betriebsorganisation. Prallen bei Daimler und Chrysler nicht schwer kompatible Systeme aufeinander?
Nach allem, was man hört, unterscheiden sich die Auffassungen gegenüber dem Produkt, möglichen Führungsstilen und dem Sinn von Einkommensunterschieden weitreichend. Eine solche Fusion ist ein großes soziales Experiment. Grundsätzlich gibt es zwei Vorgehensweisen bei der Lösung der Integrationsprobleme. Die eine bringt die verschiedenen Kulturen miteinander ins Gespräch und weiß dann nicht, wie lange das dauert und was dabei herauskommt. Außerdem gibt es allen Kommunikationsideologien zum Trotz keine natürliche Tendenz des Gesprächs zum Konsens. Die andere Vorgehensweise schafft durch Managementvorgaben so schnell wie möglich neue Fakten und „organisiert“ die Anpassung an diese Fakten. Das läuft darauf hinaus, eine neue Kultur an die Stelle zweier alter treten zu lassen. An die alten erinnert man sich, die neue lebt man. Berater können hier eine sinnvolle Rolle dabei spielen, die beiden Vorgehensweisen miteinander zu kombinieren und Gespräche zu initiieren, die zugleich die Erinnerung einüben und die Wahrnehmung der neuen Wirklichkeit.
Was kann Gesellschaft eigentlich aus der Fusionswelle lernen? Kann man die Vereinigung großer ökonomischer Betriebe auf soziale Prozesse übertragen?
Zunächst einmal ist die Vereinigung großer ökonomischer Betriebe ein sozialer Prozeß. Von der Frage, auf welche Märkte man spekuliert (und wie man sie schafft), über die Fragen, mit welchen Kostenrechnungssystemen man arbeitet und wie hoch der Personalaufwand sein soll, bis zur Frage, wie man mit den Selbstverständlichkeiten unterschiedlicher Kooperationsstile („Kulturen“) umgeht, ist alles an diesen Vereinigungen sozial. Und das heißt: Wir haben es mit einem gesellschaftlichen Prozeß zu tun. Wirtschaftsorganisationen sind die Punkte, an denen die Kontingenz der modernen Gesellschaft offenkundig und schmerzhaft wird. Alles kann man anders machen, man kann andere Produkte produzieren, andere Leute einstellen, andere Kapitalgeber finden und nach neuen Kunden suchen – und nichts davon ist zum großen Kummer der Börse kurzfristig machbar. In Unternehmen zeigt sich, daß wirtschaftliche Kalküle sozial, technologisch und auch psychisch „eingebettet“ sind. Da wehrt sich etwas gegen die eigene Kontingentsetzung. Da bringt sich eine Gesellschaft zum Ausdruck, die Widerspruch dagegen einlegt, zum Dispositionsfaktor reduziert zu werden.
Im linksalternativen Milieu der 80er Jahre gab es die Fusion von idealistischen Vorstellungen von Gesellschaft mit Arbeitskraft und Kapital. Daraus erwuchsen, vielleicht beschränkte, aber doch beachtliche und beachtete neue Märkte. Ich meine die Blüte der Alternativbetriebe und die Durchsetzung sozialer Netzwerke. Wo sie dem Anpassungsdruck an die Marktprozesse nicht nachgegeben haben, sind sie weitgehend gescheitert. Ist diese Art der Fusion mit der Fusionsbildung auf Konzernebene vergleichbar?
Wenn man sich Fusionsprozesse in Konzernen anschaut, stößt man zuweilen auf ein Beratermilieu, das mit den Linksalternativen der 70er und 80er Jahre vieles gemeinsam hat. In den Konzernen wird denselben Ideen von „Kommunikation“, „Dialog“ und „Prozeß“, von „kreativer, selbstbestimmter Arbeit“ und „Autonomiespielräumen“ gehuldigt wie in den Alternativbetrieben. Nur die Wirklichkeit, die sich dann durchsetzt, ist jeweils eine andere, im einen Fall die Wirklichkeit der Subsistenzwirtschaft und im anderen Fall die Wirklichkeit der Hierarchie (mit ihren Einschränkungen von unten und oben). Das linksalternative Milieu hat eine Pionierrolle beim Versuch, immer wieder neue Antworten auf die alte Frage von Adam Smith zu geben, wie man bei der Arbeit für andere selbstbestimmte Arbeit behaupten kann. Und auch die Netzwerktypik alternativer Betriebe hat eine Vorreiterrolle, wenn man sich anschaut, unter welchen Randbedingungen und mit welchen Störungen Vertrauensbildung bei Selbstausbeutung möglich ist. Große Unternehmen sind längst auf Netzwerkarbeit angewiesen und lernen gegenwärtig, was es heißt, wenn jeder Mitarbeiter in ungewisse Beziehungen zu Mitarbeitern anderer Unternehmer investieren muß.
Hat Politik die Möglichkeit, auf die großen Wirtschaftsfusionen zu reagieren?
Politik ist Lokalpolitik, und als solche spielt sie nach wie vor eine große Rolle. Sie präpariert Standorte, sichert den sozialen Frieden und lockt mit steuerlichen Konditionen. Und sie kann versuchen, ihr eigenes Verständnis politischer Prozesse in die Fusionsprozesse miteinzubringen, das heißt, sie kann an den Deals mitstricken. Darüber hinaus jedoch gilt auch mit Bezug auf die Unternehmensfusionen, daß Politik zu treiben in der modernen Gesellschaft vor allem heißt, für die Gesellschaft lebenswichtige Verzögerungen zur Geltung zu bringen. Diese Verzögerungen erlauben sowohl auf semantischer als auch auf struktureller Ebene die Anpassung der neuen Verhätnisse.
Wir gehen ja auf den zehnten Jahrestag einer für uns wichtigen Staatsfusion zu. Ist die Wiedervereinigung ein Spiel, das nach solchen Regeln gespielt wird?
Wenn die Hauptregel lautet, daß eine Fusion nur gelingt, wenn sie die Zeit nicht erhält, die sie braucht: dann ja. Wir haben es mit einem übereilten Schaffen neuer Fakten zu tun, das jenen Widerstand und jenes Unverständnis auf den Plan ruft, dessen Abarbeitung dann im nachhinein die Voraussetzungen schafft, auf die die Vereinigung im vorhinein gesetzt hat. Der Prozeß gelingt, wenn immer wieder Akteure auftreten, die Druck machen, weil sie sich von anderen unter Druck gesetzt sehen. Der Fall der deutschen Wiedervereinigung zeigt, daß wir unsere politischen Modelle vom Planungsmodell auf das Evolutionsmodell umstellen müssen. Wer gleichzeitig zeigen kann, worin die Herausforderung besteht und wie man auf sie reagieren kann, hat die besten Karten. Und das gilt genauso für Konzerne. Auch besteht die erfolgreichste Politik darin, sich jene Probleme auszusuchen, auf die die eigenen Lösungen bereits passen, und gleichzeitig allen anderen vorzuführen, daß sie mit leeren Händen dastehen. Interview: Harry Nutt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen