: Die Doppelrolle der Armee hat weiterhin Bestand
■ Auch nach dem Rücktritt Suhartos sitzen in Indonesien die Militärs an den Schaltstellen der Macht. Von Vorwürfen, die Armee schüre ethnische Konflikte, will ihr Chef Wiranto nichts hören
Indonesiens Armeechef Wiranto ist die bösen Vorwürfe der Opposition leid, das Militär schüre die schweren Unruhen in Indonesien, um einen Vorwand zum Eingreifen zu finden und demokratische Reformen zu verhindern. „Dieser Verdacht ist nicht realistisch“, wetterte der General kürzlich. „Wir hätten schon längst die Macht ergreifen können. Ich selbst hätte es tun können.“ Schließlich habe ihm der frühere Präsident Suharto vor seinem Rücktritt im Mai 1998 noch das Mandat zur Ausrufung des Kriegsrechts übertragen. Doch er habe sich dagegen entschieden: „Ich erkannte, das hätte ein Blutbad gegeben.“
Wiranto, der knapp 500.000 Soldaten und Polizisten befehligt, steht unter starkem Druck. In der indonesischen Öffentlichkeit ist das Mißtrauen groß gegenüber der Armee, die Suharto loyal diente – und seine Kritiker scharf verfolgte. Präsidentenberaterin Dewi Anwar Fortuna will nicht an die Verschwörungstheorien glauben. Sie glaubt, die Armeeführung habe „einfach die unteren Ränge nicht mehr im Griff“. Die Soldaten seien frustiert, erklärt sie. „Die Armee ist unterbezahlt und unterdiszipliniert. In der Öffentlichkeit gibt es keine Sympathien. Wenn Soldaten bei Demonstrationen umkommen, interessiert das niemanden. Aber wenn Studenten sterben, steht es prompt in allen Zeitungen.“
Doch vielen Indonesiern reicht diese Erklärung nicht. Denn bislang hat die Regierung wenig Bereitschaft gezeigt, den Anschuldigungen gegen die Armee auf den Grund zu gehen. Wer waren die Täter, die – offenbar in Polizeiuniform – im Mai 1998 auf friedlich demonstrierende Studenten der Trisakti-Universität von Jakarta schossen und damit die Krawalle auslösten, die letztlich zum Rücktritt Suhartos führten? Die Untersuchungen wurden inzwischen stillschweigend auf Eis gelegt.
Wer stachelte die Bevölkerung von Jakarta und anderswo im Land an, Geschäfte zu plündern und Banken oder Kirchen anzuzünden? Wer steckte hinter systematischen Vergewaltigungen chinesisch-stämmiger Frauen im letzten Jahr? Obwohl eine unabhängige Kommission von Menschenrechtlern, Politikern und Militärs der Regierung bereits im Herbst '98 einen Bericht vorlegte, der schwere Vorwürfe gegen die Armee erhebt, ist niemand zur Verantwortung gezogen worden. Ein in den 32 Jahren Suharto-Herrschaft entstandenes „Untergrundnetz von Gangstern und radikalen Kräften, die für politische Terroraktionen eingesetzt wurden“, schrieb die Zeitschrift Asiaweek kürzlich, „ist immer noch gefährlich“.
Obwohl der alte Mann nicht mehr im Präsidentenpalast sitzt, funktioniert der von ihm geschaffene Apparat fast unverändert weiter. Aktive und pensionierte Offiziere sitzen an allen entscheidenden Stellen der zivilen Gesellschaft: Sie sind Minister, Provinzgouverneure, Bürgermeister und Lehrer. Sie leiten große Wirtschaftskonzerne und Banken, besitzen Ländereien und verfügen über riesige Einkommen.
Präsident Habibie, Nachfolger und langjähriger Vertrauter Suhartos, verteidigt die militärische und zivile Doppelrolle der Armee bis heute. In einer Rede vor Journalisten begründete er dies jüngst in seiner typisch blumigen Art: „Die indonesischen Streitkräfte sind aus der Revolution geboren. Ihre Mutter war das unschuldige Volk. Deshalb muß die Armee die unschuldige Mutter verteidigen und beschützen. Das ist ihre militärische Aufgabe. Und sie muß ihr helfen. Das ist ihre zivile Rolle.“
Auch Armeechef Wiranto, der verspricht, die unter Habibie begonnenen Reformen zu unterstützen, ist ein Teil des alten Systems. Er war nicht nur in der Vergangenheit persönlicher Adjutant Suhartos, sondern ist bis heute ein loyaler Anhänger. Nach dem Rücktritt seines alten Chefs versprach er, Suharto und seinen Clan auch künftig zu schützen. Er begleitete seinen früheren Chef weiterhin zum Gebet in die Moschee und besuchte ihn bei Familienfeiern. Gleichzeitig versucht er sich gegenüber den rivalisierenden Fraktionen in der Armee durchzusetzen und den Einfluß islamistischer Gruppen zurückzudrängen. Und er verkündet, die Armee werde sich „ganz allmählich“ aus der Politik zurückziehen. Als ersten Schritt soll die Armee im nächsten Parlament statt wie bisher 70 nur noch 38 Abgeordnete haben.
Abdurrahman Wahid, einflußreicher Oppositionspolitiker und Chef der muslimischen Religionsgemeinschaft Nahdlatul Ulama mit rund 35 Millionen Mitgliedern, glaubt, daß es derzeit nur einen Mann gibt, der das Militär unter Kontrolle bringen könnte: Suharto. Deshalb hat Wahid, einst einer der prominentesten Kritiker Suhartos, ihn in den letzten Wochen mehrfach in seiner Residenz in der Cendana-Straße besucht. „Ohne ihn gibt es keine Lösung“, sagt Wahid. Womit er implizit den Verdacht erhärtet, daß hinter den aktuellen Gewaltausbrüchen der alte Diktator steckt.
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