piwik no script img

Eine kurze Geschichte über den Verrat

■ „Der Fall Steinmann“: Ein feinsinniges Bremen- und BRD-Portrait aus der Feder des US-Autors J.H.H. Weiler

Gerade mal 140 Seiten hat dieser kleine Roman aus dem Bremer Wassmann-Verlag und ist die sanfte Geschichte eines dreckigen Verrats. Eine schöne Geschichte über die jüdische Küche in London oder eine glückliche Ehe am Abendbrottisch. Immer wieder Bremen – „Bremen ist die gute alte Bundesrepublik“. Und eben die Geschichte eines Verrats.

Wie bei einem Verrat so üblich, bedurfte es zuvörderst eines Versprechens. 1932 wird es gegeben, beim Passahfest. Gastgeber ist die Londoner Familie portugiesisch-jüdischer Herkunft da Silva. Der Gast ist Theodor Steinmann, ein junger, deutscher Jurist von 24 Jahren. Um den rechteckigen Tisch sitzen 13 Menschen: Leon Oppenheimer, der Schulfreund Steinmanns aus Bremer Zeiten, ihnen gegenüber Rachel da Silva, genannt Claudel, Leons Verlobte, außerdem links und rechts von ihnen ihre Eltern, ihre Brüder. „Müssen wir uns Sorgen machen, wenn wir unsere Rachel in Ihr Land schicken?“ fragt die Mutter den nicht-jüdischen der beiden Deutschen, und dieser antwortet: „Ihr wird kein Leid geschehen – ich verspreche es.“ Eine Abendmahl-Szene spielt sich da ab – bis in die Topik der Sitzordnung. Sieben Jahre später, Steinmann ist inzwischen Professor in „P.“, kommt dann Claudels Hilferuf aus Bremen: Leon ist verhaftet. Steinmann reagiert unverbindlich, Leon Oppenheimer und seine Frau Rachel/Claudel kommen ins KZ und werden ermordet.

„Gott, nicht das schon wieder“, vermerkt der Erzähler schon früh, denn das ist der Plot der Geschichte: eben „eine von jenen abgestandenen alten Geschichten“ aus dem Klischee der Historie, aber: „Keine Aufregung. Sie sind nicht im Begriff eine Beschreibung von Leichen oder Gaskammern oder Krematorien zu lesen“, beruhigt der Erzähler später seine Leser und erzählt lieber wieder von der reichen dunklen Bernsteinfarbe des Barolo und dem weißen Käse auf dem Abendbrottisch.

Denn da ist ja noch der Erzähler und sein Bericht – ein Bericht, übrigens, der am 9. November 1989 seinen Ausgang nimmt.

Es geht, wie man sieht, um Literatur. Also um eine Erzählung und ihren Erzähler. Ein Jurist, jung, aufgeklärt und strebsam, Anfang der Siebziger promoviert er bei Steinmann und ist der Lieblingsschüler des allseits verehrten Professors. Eine vorzeitige Erimitierung seines Profs führt ihn zur Enthüllung des „Falls Steinmann“. Am 9. November 1989 stirbt Steinmann, und der Erzähler beginnt endlich, von seiner allgegenwärtigen Ehefrau Cleo animiert, den „Fall Steinmann“ aufzuschreiben.

Und langsam wirds kompliziert. Denn was bei dem Passahfest passierte, paßt sich ganz wunderbar in die Biographie der Bundesrepublik ein. Nicht nur wegen dieses lustigzürnschen Buchstabensalats, der Claudel und Leon zu ihrer merkwürdigen Auferstehung in Cleo verhelfen. Auch nicht nur wegen Steinmann, dem aufrechten Rechtsphilosophen, der während der Nazizeit nie zu den „furchtbaren Juristen“ gehören sollte – und der seinen Verrat schuldbewußt und unreflektiert durch die 40 Jahre alter Bundesrepublik schleppt. Mit dem Todesdatum Steinmanns aber – dem 9. November 1989 – schreibt sich Joseph Weilers Roman in das unglückselige Genre des Wenderomans ein – und ist mit dem Beginn des „Berichts“ am selben 9. November 1989 zugleich schon die Persiflage auf ein Schreiben, das meint, wir wären seit diesem Tag der „Wiedervereinigung“ in der Lage, die Vergangenheit als eine vergangene zu erzählen.

Nicht zuletzt von den abstrusen Verwicklungen dieser Vorstellung berichtet der kleine Roman von Joseph Weiler. Peu à peu nämlich spinnt sich nicht nur Enthüllungsstory, sondern auch ihr fiktiver Erzähler in die Vergangenheit ein und ähnelt sich auf eine (un)heimliche Weise seinem Doktorvater an.

Wer aber ist dieser deutsche Erzähler? Mit seinem Autor, der draußen auf dem Buchdeckel steht, hat er kaum etwas zu tun. J.H.H.Weiler heißt dieser, lehrt in den USA europäisches Verfassungsrecht, und hat hiermit seinen ersten Roman vorgelegt. Und der Erzähler? Ein junger Deutscher mit den besten Absichten und einem kleinen Sprachfehler: Er kann nicht „Jude“ sagen (genausowenig wie er „Analcharakter“ sagen kann). Nicht böswillig, das passiert ihm so mit seiner Sprache. Aufgeklärt, opportunistisch, selbstzweiflerisch gerät ihm seine Enthüllungsgeschichte zusehends zu einer Identifikation mit dem Doktorvater Steinmann – und die ermordete Claudel wird ihm zur Obsession: „Claudel, Liebste, Rachel da Silva“ buchstabiert er die Liebesgeschichte zu der „exotischen Schönheit“ und geht auf die Suche nach der Frau, die im KZ umgekommen sein soll. Doch weil der junge Deutsche es nicht ertragen kann, einem Holocaust-„Überlebenden ins Gesicht zu sehen“, wendet er sich bei seiner Suche schließlich an einen KZ-Aufseher und findet hier, was er sucht: Ein Foto von Rachel da Silva, nackt, blicklos zwischen den Aufsehern, „einer der Soldaten hatte ihr den Arm um die Hüfte gelegt und grinste breit in die Kamera.“

Fritz v. Klinggräff

J.H.H. Weiler, Der Fall Steinmann, Verlag Bettina Wassmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen