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Ein Exot seiner Partei

Helmut Holter ist Arbeits- und Bauminister in Schwerin. Der PDS-Mann will das Image der Unternehmerfeindlichkeit, das seiner Partei anhaftet, partout loswerden    ■  Aus Greifswald Heike Haarhoff

Bei Kerzenlicht und Lachshäppchen sitzt der Unternehmerverband Vorpommern beisammen und ist still entzückt von seinem Gast. Der ist so ganz nach dem Geschmack der 30köpfigen Herrenrunde. „Offen“, „ehrlich“ und „vom Typ her unserem früheren CDU-Wirtschaftsminister Seidel ganz ähnlich“, stellt Verbandsgeschäftsführer Kurt Steffens nach dem Treffen in Greifswald anerkennend fest. Eben einer, „der weiß, wovon er spricht“ – das, sagt Steffens, sei sein erster Eindruck nach dem Besuch von Mecklenburg-Vorpommerns neuem Arbeits- und Bauminister Helmut Holter. Zu schade bloß, „daß so einer in der PDS ist“.

Die Sache mit dem Vogelschutzgebiet etwa, hatte Holter die Herren unterrichtet, sei das geringste Hindernis: „Mein Haus hat dazu eine ganz pragmatische Haltung.“ Die strittige Fläche im benachbarten Lubmin, die die versammelten Firmenbosse als Standort für ein Gaskraftwerk auserkoren hätten, könne sich bei der nächsten Kartierung des strukturschwachen Landstrichs kurz vor Polen schon außerhalb der Grenzen des Vogelrefugiums wiederfinden. An der „termingerechten Fertigstellung der A 20“ werde nicht gerüttelt. Die Ostseeautobahn von Polen nach Lübeck „wird von Ihnen gefordert und zu Recht gefordert“.

Helmut Holter müht sich redlich, das Image der Unternehmerfeindlichkeit und wirtschaftspolitischen Ahnungslosigkeit, das seiner Partei anhaftet, loszuwerden. Seit der 45jährige Betonbauingenieur mit Moskauer Parteihochschulstudium und anschließender SED-Karriere im November in Schwerin zum stellvertretenden Ministerpräsidenten der ersten SPD-PDS-Länderregierung ernannt wurde, tourt er landauf, landab.

Neuerdings nicht mehr in altmodischen Polohemden unter pastellfarbenem Knitterjackett, sondern in staatstragendem Anthrazitgrau plus seriöser Krawatte. Sucht in Rostock, Schwerin oder eben, wie vorige Woche, in Greifswald das Gespräch mit Unternehmern, Gewerkschaften, Arbeitslosenverbänden. Die Zeiten, da in Parteiprogrammen Straßenbau als Umweltfrevel und Vollbeschäftigung als machbares Staatsziel deklariert wurden, sind vorbei.

Holter weiß, was von ihm erwartet, ihm aber nicht so recht zugetraut wird: Daß er sein Wahlversprechen einlöst und alle Jugendlichen im Land mit einem Ausbildungsplatz versorgt. Daß aus dem „Bündnis für Arbeit für Mecklenburg-Vorpommern“ mehr wird als die bisherigen feierlichen Absichtserklärungen.

Vielleicht deswegen schickt er seiner Ansprache in Greifswald ungefragt voraus, daß „meine Partei sich zu marktwirtschaftlichen Prinzipien, zu Wettbewerb und Eigentum bekennt“. Das, sagt fast entschuldigend der Mann, der zu DDR-Zeiten Baukombinate leitete, sei „eine Lehre aus der Planwirtschaft“. Die Sätze kommen ihm so gut über die Lippen wie in politischen Kreisen seine stete Beteuerung, „daß die PDS auf dem Boden des Grundgesetzes steht“.

Es ist mucksmäuschenstill im Saal. 30 neugierige Unternehmeraugenpaare richten sich auf Holter. Jeder fünfte im Land ist arbeitslos. In Regionen wie Greifswald, wo seit der Schließung des Atomkraftwerks hochqualifizierte TechnikerInnen und IngenieurInnen ihre Zeit mit Makramee-Kursen und Umschulungen zur Altenpflege totschlagen, ist sogar „jeder dritte unterbeschäftigt“, rechnet man die staatlich geförderten Beschäftigungsprogramme herunter, wie die Leiterin des örtlichen Arbeitsamts beklagt. Holter hat ein Gespür für das Mißtrauen, das ihm entgegenweht.

Und so will er vor dem Unternehmerverband „nicht beschönigen“, daß die Mittel, die aus dem 100.000-Stellen-Programm der Bundesregierung für Mecklenburg-Vorpommern abfallen, zwar immerhin 5.000 Jugendlichen im Land einen Job bescheren, aber bereits Mitte des Jahres verbraucht sein werden. Den kritisch beäugten „öffentlich geförderten Beschäftigungssektor“, zentrales Instrument der Arbeitsmarktpolitik der PDS, in dem künftig durch staatliche Subventionen Projekte der Nachbarschaftshilfe und des Gemeinwesens angeschoben werden sollen, hat Holter inzwischen aus seinem Vokabular gestrichen. Er, der um die psychologische Wirkung von Begrifflichkeiten weiß, spricht jetzt lieber von „gemeinwohlorientierten Beschäftigungsfeldern“.

Das gefällt den Greifswalder Unternehmern, die gewichtig darauf hinweisen, 30.000 Beschäftigte in der Region zu vertreten. Zumal Holter verspricht, sie in seine landesentwicklungspolitischen Planungen einzubeziehen, sich selbst „flexibel und unkonventionell“ zu zeigen und Wirtschaftsansiedlungen Fördermittel statt Steine in den Weg zu legen. Immer und überall will der Minister „um Ihr Vertrauen werben“ und „Ihren Sachverstand vor Ort“ für seine Entscheidungen nutzen. Nur: „Wunder“ sollten sie von ihm nicht zu viele erwarten.

Das ermutigt einige, sich ihren Unmut so richtig von der Seele zu reden: über das Dilemma der Arbeitslosigkeit, das den „vielen jungen Leuten“ zu verdanken sei, „die gar nicht arbeiten wollen“. Darüber, daß einem Betrieb die 35-Stunden-Woche ebenso schade wie Kollegen ein Arbeitnehmer, der „heutzutage“ wieder krank werden dürfe, ohne mit Lohnentzug bestraft zu werden.

Doch der Versuch, den Minister mit der Attacke auf dessen sozialistische Überzeugungen aus der Reserve zu locken, mißlingt. Statt dessen erklärt Holter mit der Geduld eines Sonderpädagogen, daß „Langzeitarbeitslosigkeit zu solchen Erscheinungen führt, wie Sie sie beschrieben haben“. Trotzdem will er die Kritik an Tarifen und betrieblichen Sozialstrukturen „gern als Prüfauftrag nach Schwerin mitnehmen“. Die eigenen Wünsche nach Veränderung verpackt er in Diplomatie: „Vielleicht“, sagt er und blickt in die Runde, „liegt es an der Bodenständigkeit der Menschen in Vorpommern, daß wir hier ein grundsätzliches Problem haben mit der Bereitschaft, mobil zu sein“.

Als er nach zweieinhalb Stunden den Saal in Greifswald verläßt, bleibt ein verwirrtes Publikum zurück: „Der Mann“, sagt Verbandsvorstand Norbert Colbow, „ist ein Exot seiner Partei.“

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