: Für die Bundesliga zu gut, für Europa zu schlecht
■ Spandau 04 dominiert den deutschen Wasserball. Doch jeder Sieg ist auch ein kleiner Tod
Berlin (taz) – Mit raumgreifenden Armbewegungen und wogendem Oberkörper gibt Peter Röhle vom Beckenrand aus Anweisungen. Das blaue T-Shirt steht weit vom Körper ab, der kräftige Brustkorb fordert Platz. Röhle (42) muß seine angenehm tiefe Stimme ganz schön strapazieren, um die trainierenden Spieler trotz Wasserrauschens und des Krachs der Lüftungsanlagen zu erreichen. Einer erwidert etwas, es folgt ein lautes Auflachen – und die Arbeit wird konzentriert fortgesetzt. Röhle winkt schmunzelnd ab und setzt sich wieder auf die Wärmebank.
„Die erste Zeit als Trainer war schwierig“, sagt er nun ernster. Von 1975 an hütete Röhle 23 Jahre lang das Tor der Wasserfreunde Spandau 04 – und auf einmal sollte er den Vorgesetzten mimen. „Die Mannschaft hat mir in der Übergangsphase geholfen. Ich sehe mich als Jungtrainer, der noch lernen muß.“
Röhle hat eine schwierige Aufgabe, denn die Dominanz der Wasserfreunde ist eklatant: Mit 14 Siegen in 14 Spielen führen sie die Bundesligatabelle unangefochten an, zuletzt gab es ein 18:2 bei Hellas Hildesheim. Die Kunst besteht nun darin, den aus sieben deutschen und sechs ausländischen Nationalspielern bestehenden Kader unter Spannung zu halten. „Ich will, daß wir immer gnadenlos spielen. Es darf nicht egal sein, ob wir 8:2 oder 15:2 gewinnen“, sagt der ehemalige Nationalspieler (414 Einsätze). Er formuliert Extra-Anforderungen – auch auf die Gefahr hin, daß sie arrogant klingen: „Ich verspreche den Spielern, daß ich sie ins Kino einlade, wenn jeder zwei Tore wirft. So versuche ich, künstlichen Druck aufzubauen.“
Spandaus Überlegenheit hat Tradition. 49 Titel haben die Wasserfreunde bislang geholt, viermal den Europapokal der Landesmeister gewonnen. Die Basis für die Erfolgsgeschichte legte Trainer Alfred Balen. Die Wasserball-Koryphäe führte Spandau 1979 zur ersten Deutschen Meisterschaft. Anschließend profitierte Spandau von günstigen Rahmenbedingungen. „In Berlin gab es zu der Zeit keine andere Mannschaft von europäischem Spitzenformat“, sagt Marketing-Manager Sven-Uwe Dettmann. Die Wasserballer waren hip, erhielten Fördermittel. „Vielleicht lag das auch am kalten Krieg“, vermutet Dettmann. „Der Ostblock war eine Wasserballhochburg. So war es ein spannendes Politikum, wenn wir in Moskau Europacupspiele gewannen.“
Heute sind die Voraussetzungen andere. Über 200 Bundesligisten buhlen in Berlin um Aufmerksamkeit. Spandau muß sich im Schnitt mit gut 300 Zuschauern zufrieden geben. Der Etat liegt bei etwa 680.000 Mark. Für Bundesligaverhältnisse gigantisch. Im internationalen Vergleich eine Lappalie. Die Top-Teams aus Neapel, Budapest oder Becej arbeiten unter Profibedingungen. Spandaus Spieler haben „normale“ Berufe. Röhle etwa arbeitet bei der Polizei als Sportlehrer. So kommt es, daß ein Könner wie Dirk Klingenberg in dieser Woche plötzlich seine Karriere beendet – weil er einen guten Job als Event-Manager angeboten bekommt. Wegen solcher Strukturprobleme kommt Spandau international nicht mehr ganz mit, trotz Klasse-Sportlern wie Torwart Alexander Tchigir.
Das Paradoxon: Auch Spandaus Siege verhindern den Aufwärtstrend. Dettmann nachdenklich: „Es gibt Leute, die sagen, ihr siegt euch zu Tode.“ Tatsächlich fehlt die Spannung. Und das ist ein Nachteil beim Werben um öffentliche Aufmerksamkeit, Werbegelder und Nachwuchs. Vielleicht betont Dettmann auch deshalb, man sei gar nicht so dominant, wie es scheint: „RE Hamm und Waspo Hannover können mithalten.“
Gerade Pokalsieger Hannover gilt als Spandaus Angstgegner. Die junge Mannschaft versteht es, mit risikoloser Spielweise die Berliner ihrer Konterstärke zu berauben. Am Sonntag spielen die beiden Teams den Supercup aus. „Wir wollen den 50. Titel für Spandau“, sagt Röhle. Was er nicht sagt: Er ist der einzige, der an allen Erfolgen beteiligt war. Markus Geling
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen