piwik no script img

Die große rote Maschine

In China ist Fußball extrem populär. Aber nicht für Frauen. Dennoch peilen Chinas Fußballerinnen den WM-Titel an  ■ Von Rainer Hennies

Nihao tongzhi“ ist Chinesisch und heißt zu Deutsch in etwa „Guten Tag, mein alter Kamerad, wie geht's.“ Diese etwas altertümliche Begrüßungsformel löst mittlerweile im Reich der Mitte ein Lächeln aus. Ein freundliches, zumindest bei Lu Ting. Diese junge Frau kümmert sich um organisatorische Belange der Fußballerinnen des chinesischen Nationalteams. Lu Ting nennt sich selbst Tracy und erweist sich als äußerst locker und mitteilsam.

Besonders gut gelaunt wird sie, wenn die Sprache auf das große Frauenfußballereignis kommt, die Olympischen Spiele von 1996 in Atlanta. Als China die Silbermedaille holte, sich den USA vor über 76.000 Zuschauern 1:2 geschlagen geben mußte – manche sagen sogar unverdient. „Olympia hat unseren Sport weit nach vorne gebracht“, sagt Lu Ting, „plötzlich waren die Leute an uns interessiert.“

Das ist nicht immer so. Es fehlt an großen Wettbewerben. Daß Chinas Fußballerinnen sechsmal in Folge die Asienmeisterschaften gewonnen haben, gilt fast schon als selbstverständlich. Niemand in Asien kann die „Big Red Machine“, wie das Team von Trainer Ma Yuanan bezeichnet wird, auch nur annähernd aufhalten.

Der Begriff klingt nicht schön, trifft die Sache aber: Die Chinesinnen spielen konzentriert und diszipliniert, so locker sie sich auch im Training und Umgang zeigen. Sie sind gut ausgebildet. Technisch und taktisch auf höchstem Level, zudem taktisch flexibel, zweikampfstark, sicher in der Abwehr, torgefährlich im Konterspiel. Richtig schlecht sind sie nie.

Daß sie am letzten Samstag beim Algarve-Cup die USA im Finale erstmals seit 1993 wieder geschlagen und das Olympia-Resultat umgekehrt haben, bestätigt diese Eindrücke.

Zugleich macht das Resultat Mut. Denn die Turnierfavoritin ist damit knapp 100 Tage vor der WM im eigenen Land schon zum zweitenmal entzaubert worden. Zudem war es ein hochklassiges Match. „Solche Spiele machen Vorfreude auf die WM“, sagt DFB-Trainerin Tina Theune-Meyer, die in Portugal spioniert hat. Auch ihr Team ist als Europa- und Vizeweltmeisterin WM-Medaillenkandidat. Heute in Holzwickede (ARD, 14.03 Uhr, live) und am Sonntag in Hamburg kommt es zu zwei Tests gegen China. „Nach diesen Spielen“, sagt Theune-Meyer, „wissen wir, wo wir stehen.“

Trotz des hohen Niveaus ist Frauenfußball in China anders als in Deutschland kein Volkssport. „Wir haben eine Leistungselite von mehreren 100 Spielerinnen. Dahinter kommt nicht viel“, berichtet Lu Ting. „Es interessieren in China drei Dinge am meisten: Politik, Wirtschaft und Fußball.“ In den Schulen sei Fußball schwer angesagt. Aber nicht für Mädchen, nur für Jungen. Lu Ting spricht von großem Nachholbedarf: „Frauenfußball ist nur dort groß, wo sich der Distriktgouverneur interessiert.“. In Shanghai zum Beispiel, dessen Frauenteam zuletzt den Meistertitel holte. Das hat, sagt Lu Ting, einen Etat von einer Million Dollar. Andere Teams in der halbprofessionellen Frauenliga müssen mit 50.000 Dollar auskommen.

Einer Nationalspielerin jedoch sei nach Karriereende eine gehobene Stellung durchaus sicher. Spielerinnen wie Wen Lirong, Lilu Ailing oder Gao Hong haben ohnehin ausgesorgt. Sie haben die nötigen Dollars durch Verträge in der japanischen Profiliga bereits eingeheimst, wenngleich sie inzwischen wieder in China spielen.

Sun Wen, die in Deutschland vor ihrem 100. Länderspiel steht, möchte gerne in den USA studieren, spätestens aber 2001 dorthin wechseln, wenn ein neuer Versuch unternommen wird, eine echte Profiliga mit Profigehältern zu installieren. Für Liu Ailing, mit 125 Länderspielen und fast 32 Jahren die Erfahrenste im Team, kommt das zu spät. Möglicherweise auch für Gao Hong. Deren Karriere ist noch eine alten Schlages. Mit 14 Jahren begann der Arbeitsalltag in Huhot in der Inneren Mongolei nordwestlich von Beijing in einer Textilfabrik. Gao Hong war Basketballfreak. Doch ihr Chef gründete ein Fußballteam und befahl Gao Hong, sich ins Tor zu stellen. „Das erste Spiel haben wir hoch verloren. Ich habe hinterher mächtig geheult“, sagt Gao Hong. Inzwischen hat sie Olympiasilber gewonnen und das Tor der Weltauswahl gehütet, als die Fifa-Allstars unlängst in San José die USA mit 2:1 bezwangen. Der Profikontrakt, den sie vor ein paar Jahren hatte, brachte ihr im Monat 300mal mehr als der elende Job in der Fabrik. Gao Hong pflegt keine falsche Bescheidenheit. Ihr Ziel ist klar: „Ich möchte Weltmeister werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen