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Jetzt geht's ums Ganze

■ Die Nato entscheidet sich für Militärschläge gegen Jugoslawien. Wenn sie es damit nicht schafft, Belgrads Krieg im Kosovo schnell zu beenden, droht das größte Fiasko ihrer Geschichte

Die „Ultima irratio“ hat sich durchgesetzt. In der Nacht zum Mittwoch erklärte der Nato-Rat in Brüssel alle diplomatischen Verhandlungen mit den Präsidenten des aus Serbien und Montenegro bestehenden Restjugoslawiens für gescheitert. Nato-Generalsekretär Javier Solana erteilte dem militärischen Oberbefehlshaber der Allianz, US-General Wesley Clark, den Auftrag zu Luftangriffen auf Restjugoslawien. Mit einer ersten Angriffswelle mit luft- und seegestützten Cruise-Missiles zur Ausschaltung der Luftabwehrstellungen Restjugoslawiens wurde für letzte Nacht gerechnet.

Die Kriegserklärung der Nato an Belgrad ist das Ergebnis einer schweren Fehlkalkulation der Militärallianz. Entgegen allen Indizien hatte die Nato geglaubt, allein ihre Drohung mit Luftangriffen werde den Präsidenten Restjugoslawiens, Slobodan Milosevic, zur Unterschrift unter den Autonomieplan der Balkankontaktgruppe von Rambouillet bewegen – und zur Einstellung der deutlich eskalierten Offensive serbischer Armee- und Polizeikräfte gegen die Kosovo-Albaner. Mit den Luftangriffen soll jetzt Milosevic' „Fähigkeit zur Fortsetzung dieser Offensive unterbunden werden“. So lautet die offizielle Begründung für die Kriegserklärung, die Nato-Generalsekretär Javier Solana in der Nacht zum Mittwoch nach einem entsprechenden Beschluß des Rates der 19 Nato-Botschafter verkündet hatte.

Damit verbunden ist die Hoffnung, Milosevic werde nach einer ersten Angriffswelle einlenken und den Autonomieplan doch noch unterzeichnen. Der Plan sieht unter anderem die bislang von Belgrad kompromißlos abgelehnte Stationierung einer Nato-geführten internationalen Truppe im Kosovo zur Absicherung des Abkommens vor.

Tatsächlich gab es in regierungsgesteuerten Belgrader Medien gestern einige Hinweise, nach einer ersten Angriffswelle könnte Milosevic seine strikte Ablehnung jeglicher Stationierung ausländischer Truppen aufgeben und die Bereitschaft zu Verhandlungen über Mandat, Zusammensetzung und das Kommando dieser Streitkräfte signalisieren. „Wenn Richard Holbrooke bei seinem heutigen Treffen mit Milosevic ein solches Signal erhalten sollte, wird zunächst kein Beschluß zu Luftangriffen erfolgen“, hatte ein General eines Nato-Staates am Dienstag gegenüber der taz erklärt. Am Abend verkündete der US-Unterhändler dann das Scheitern seines letzten Gesprächs mit Milosevic.

Sollte sich Milosevic tatsächlich zu Verhandlungen bereit zeigen und zugleich seine militärische Offensive gegen die Kosovo-Albaner stoppen, dürfte die Nato diesen Strohhalm dankbar ergreifen. In diesem Fall ist zumindest mit einer Aussetzung des Angriffsbefehls zu rechnen beziehungsweise mit einer Unterbrechung begonnener Luftangriffe. Erfolgt jedoch kein solches Signal von Milosevic, könnte der erste Krieg der Nato gegen einen souveränen Staat in einem Desaster für die Allianz enden – kurz vor ihrem 50. Geburtstagsgipfel Ende April in Washington.

Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß sich die Nato mit dem Befehl zu Luftangriffen erneut schwer verkalkuliert hat, weil das offiziell erklärte Ziel, die „Fähigkeit“ Belgrads zur militärischen Offensive gegen die Kosovo-Albaner zu unterbinden, so nicht erreichbar ist. Selbst wenn der Nato die völlige Ausschaltung der gesamten Luftabwehrkapazitäten Restjugoslawiens gelingen sollte, behindert das seine Fähigkeit, im Kosovo Krieg zu führen, zunächst nicht. Direkte Luftangriffe der Nato auf serbische Soldaten und Polizisten im unübersichtlichen Gelände des Kosovo wären mit dem hohen Risiko von Opfern unter der albanischen Zivilbevölkerung zu verbunden.

Die Bilder von dieser Offensive und von albanischen Zivilisten, die zu Zehntausenden in Richtung der – inzwischen geschlossenen – Grenze nach Makedonien fliehen, dürften den Druck nach dem Einsatz von Nato-Bodentruppen erhöhen. Doch auf dieses Szenario ist die Nato nicht vorbereitet – weder militärisch noch politisch. Ob die für einen solchen Einsatz erforderlichen innenpolitischen Entscheidungen in den USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und anderen Nato-Staaten überhaupt denkbar sind, ist fraglich. Auf jeden Fall würden bis zu einem Beschluß des Bündnisses, eine Intervention mit Bodentruppen durchzuführen, noch viele Wochen vergehen.

All dieses weiß auch Milosevic. Er hat jetzt mehrere Wochen lang weitgehend freie Hand, um Fakten zu schaffen: die kosovo-albanische Befreiungsarmee UÇK soweit wie möglich zu vernichten und einen Teil der albanischen Zivilbevölkerung zu vertreiben.

Wie so häufig in den letzten neun Jahren seit offenem Ausbruch der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien hat der starke Mann in Belgrad auch weiterhin das Heft in der Hand, bestimmt das Geschehen und nötigt andere zum Handeln, was ihm wiederum nutzt. Was will Milosevic schließlich erreichen? Begnügt er sich mit der Vernichtung der UÇK und der Vertreibung der Albaner und ist danach zu einem „Friedensabkommen“ bereit, daß diese Ergebnisse festschreibt? Will er die Teilung des Kosovo erreichen mit dem Verbleib des wirtschaftlich lukrativen Nordwestens bei Serbien? Oder kalkuliert Milosevic sogar die Niederlage Serbiens gegen einen übermächtigen Gegner und seinen Untergang mit ein – eine Art Wiederholung der historischen Niederlage auf dem Amselfeld vor 610 Jahren? Noch tappt die Nato über die Motive ihres Kriegsgegners weitgehend im dunkeln. Auch deswegen hat sie die schlechteren Karten. Andreas Zumach, Sarajevo

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