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Bitte streicheln Sie den kleinen Commodore!

■ Kein süßer Mantel für den Medienkommerz: Gestern wurde das interdisziplinäre Projekt LEM eingeweiht, das zwischen Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft vermitteln soll

Auch wenn gestern Prominenz wie die Wissenschafts-Senatorin, der Uni-Präsident und die Präsidentin der Hochschule für Bildende Künste die neue Einrichtung einweihten – eigentlich ist das „Labor für elektronische Medienkommunikation, Medieninformatik und Medienkunst“ ein Versuch nur zweier unzufriedener Hochschullehrer, die für die Herausforderungen ihrer Tätigkeitsfelder besser gerüstet sein wollten. Und so haben Matthias Lehnhardt von der Kunsthochschule und der Informatiker Peter Schefe einen interdisziplinären Ort für Projektstudien durchgesetzt, der schon von seiner Verortung im Haus der Multimediaproduzenten in der Behringstraße her auch als Schnittstelle zur Medienwirtschaft gedacht ist.

Für drei Jahre wird die Miete für den abgekürzt LEM genannten Versuch je zur Hälfte von der Uni und der Kunsthochschule getragen, wobei letztere dazu wiederum auf die Ditze-Stiftung zurückgreifen kann. Kooperation als Zeichen der Zeit, inhaltlich gewünscht und finanziell notwendig. Nach dieser Anschubfinanzierung muß das Projekt seine eigene Marktposition gefunden haben, was nicht ganz unmöglich scheint, geht es doch gerade in Hamburg hier um eine Wachstumsbranche, wie Senatorin Sager beruhigt feststellte. Und obwohl die Initiatoren das mit dem Namen nicht beabsichtigt hatten: Keine RednerIn überging den lockenden Bezug zum Science-Fiction-Klassiker Stanislaw Lem. Der nämlich beschrieb, wie mittels einer Wissenspille Bücher nicht mehr gelesen, sondern verschlungen werden: Eine Informationssubstanz mit süßem Mantel. Daß es manchmal auch nur um eine Ästhetisierung als süßem Mantel für den Medienkommerz geht, ist ein Eindruck, der nicht zum engeren Fachkreis Gehörende oftmals beschleicht.

Kernpunkte der zukünftigen Arbeit im LEM sind Projekte, die den elektronischen Medien eine dritte Dimension zurückgeben: Verräumlichung der Netzstrukturen in Karten, die wie ein Modell des Univer-sums ausschauen, bei Matthias Mayer und dem Cybersex verdächtig nahe Entwürfe von Frank Fietzek zu einem haptischen Interface mit künstlicher Haut, die für Computerkleidung oder interaktive Möbel eingesetzt werden könnten. Auch ein Lieblingsprojekt der Kulturbehörde, das Baltic Interface Net, eine Vernetzung der Ostseeanrainerstaaten mit seinem charmant „Whirlpool of Misunderstanding“ genannten Ein- und Ausgabeterminal, gehört hinfort zum LEM. Und – zwangsläufig – auch immer wieder jener Medienkollaps, bei dem nichts funktioniert und das leere blaue Feld „Kein Signal“ seinen Partner in einem zweiten findet mit den Worten „no signal“.

Kein neues Medium hat jemals ein früheres überflüssig gemacht, sonst bräuchten wir an dieser Stelle gar nichts mehr schreiben. Geplant ist also auch die weniger elektronische Vermittlung in einem regelmäßigen Mediensalon. Und trotz ihrer angegebenen Internetadressen waren die Gastreferenten des Eröffnungstages wie Florian Rötzer und Künstler wie Nicolas Anatol Baginsky oder Stelarc persönlich erschienen. Schließlich kommt auch immer noch der Sekt so schlecht durch die Kabel. Für „Gute Laune in schlechten Zeiten“ sorgte auch die gleichnamige Maschine von Uli Winters, die einen 10-Mark-Schein elektronisch prüft, zerschreddert und zu Walzerklängen dem Benutzer um die Ohren bläst.

Daß aber im Bereich elektronischer Medien schnell wie nirgends sonst das Neueste von heute schon morgen von vorgestern sein kann, zeigte eine angenehm unauffällige Installation von Frank Fietzek: In der Ecke auf dem Boden stand wie beiläufig ein alter Commodore und lies über seinen kleinen schwarz-weißen Bildschirm verlauten: „Ich bin klein, ich bin alt, ich bin nutzlos.“ Man hätte das Kerlchen streicheln mögen.

Hajo Schiff

LEM im Internet: www.hfbk.uni-hamburg.de/lem

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