: Bock oder Botschaft
■ Fünf Jahre Offener Kanal Bremen / Noch immer Wundertüte, noch immer kein „Tagesbegleitmedium“, noch immer ungezählte Hörer zwischen Tarmstedt und Syke
Du willst nicht mehr bleiben und du willst nicht nach Haus und es pißt auf die Karre und ist kalt wie die Laus und du fährst höchstens vierzig und du stocherst im Funk und du kriegst schon die Krise und du hast nicht mal Punk. Und auf einmal bleibst du hängen.
Irgendwo zwischen NDR 1 und Hansawelle dröhnt plötzlich voll der ungehobelte Deutschhiphop, wie frisch in der Garage zusammengeschraubt. Von irgendwelchen Leuten, die irgendwelche Leute kennen, die die Moderatoren kennen. Und du stellst dir die Moderatoren vor, zwei Typen an den Mikros, in diesen Hosen, die zur Not einen Videorecorder aufnehmen können. Fettige Haare, Pickel an der Stirn, aber voll die Coolen. Wie sie diese fetten Sprüche abseiern, inhaltlich Banane, aber gut gemacht ist das. Sowas hört man sonst nie. Und? Wer ist das, der dir an diesem Abend über die Brücke zwischen weg und zu Hause hilft? Das ist, Damen und Herren, der Offene Kanal Bremen! Feiert dieser Tage fünften Geburtstag. Tusch!
Offener Kanal: Ein Radio für alle Bremer und sogar Innen, die Bock oder Botschaft haben. Unzensiert bis auf Werbung, Pornographie und Gewaltaufruf. Anfangs eine gefürchtete Wundertüte, aus der die ulkigsten und entsetzlichsten Programmfetzen purzelten. Prinzip: Unfähigkeit zu sprechen ist kein Hinderungsgrund. Und gesendet wird in der Reihenfolge der Eingangsstempel.
Wundertüte stimmt noch, Tagesbegleitmedium ist der OK nicht geworden. Aber getan hat sich einiges. Erstens sagt das Ohr: Der Sound ist besser. „Stimmt,“ sagt Frau Baltschun, eine der beiden MedienberaterInnen, „das Sendesignal wird optimiert.“ Schlaue Computer sorgen für einen gleichmäßigen Pegel, was Leuten hilft, die den Normabstand zum Mikro nicht einhalten können.
Zweitens hat das chaotische und prinzipiell unvorhersagbare Programm des Offenen Kanals eine Struktur bekommen. Etwa so (ganz grob): Morgens bis mittags das Schwierigere, also kirre machender Jazz, merkwürdige elektronische Musik, abgedrehte Philosophien, botschaftsschwere Religionsstücke. Nachmittags querbeet von Frauenradio über Schwulenfunk (die Sendung heißt Vaginein, drei heilige Eide!) und Lokalsport bis zum „Star Trek Radio“ und allerlei Rock-, Soul- und Blueszeiten. Im Nachtprogramm dann anderswo selten gehörte oder sogar unerhörte Musik. Plus Sondersendungen (zur Breminale, zur Berlinale). Sonntags und montags funken Regionalstudios aus dem Umland dazwischen, die man in Achim, Lilienthal, Delmenhorst, Steinkimmen, Ganderkesee und Stuhr findet.
Hundert Stunden die Woche ist der Offene Kanal auf Sendung, im Schnitt, und ein zentrales Problem ist auch bald aus der Welt. Die „Löcher“. Die wurden bisher mit Gesende von Radio Bremen 2 gestopft – schlecht für Radio Bremen und noch schlechter für den Offenen Kanal, weil viele Hörer denken, er hätte nicht mal eine eigene Frequenz. Doch demnächst sorgt ein mächtiges Computerprogramm dafür, daß die Frequenz 92,5 MHz zuverlässig mit eigenem Programm versorgt wird. Selbst wenn niemand im Studio an der Plantage sitzt.
Die Nutzer, derzeit rund 300, sind meist männlich und jung. Überwiegend. Mal ein älterer Esoteriker. Einige bewegte Frauen. Die einen treibt Sendungsbewußtsein. Die anderen wollen nur mal den Radio-Bremen-4-Moderator spielen. Manche wollen das sogar mal werden, einer hat's schon geschafft. Andere finden es klasse, „einmal potentiell ganz Bremen zu beschallen“, wie Hellga Baltschun formuliert.
„Potentiell“ ist eine wichtige Einschränkung, denn es ist nicht sicher, daß der OK viel mehr Hörer als Macher hat. Niemand kennt die Quoten, und das ist vielleicht besser so. Eine Deutschschlagersendung soll allerdings bereits Kultstatus genießen und brotkörbchenweise Hörerpost kriegen.
Der Erfolg des OK hängt nicht an einer Quote. Denn sein Etat speist sich aus den Rundfunkgebühren, die die Landesmedienanstalt bekommt. Eine komfortable Lage, die Frau Baltschun erlaubt, den sonst in der Branche nicht einmal denkbaren Satz zu sagen: „Wer uns nicht hören will, kann abschalten.“ BuS
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