„Wir gehen nur noch angezogen ins Bett“

■ Serbische „Gastarbeiter“ in einer Berliner Kneipe bangen um ihre Angehörigen in Jugoslawien. Einen Fußweg entfernt treffen sich Kosovo-Albaner. Sie fürchten Racheakte der Serben in der Heimat

„Sad? Sad?“ Der Mann, der um kurz nach acht an die Theke kommt, ist fassungslos. Das Kellerlokal inmitten eines tristen Berliner Gewerbegeländes ist Anlaufpunkt für serbische Folkloregruppen und Sportvereine. An diesem Mittwoch abend sitzen hier drei serbische Gastarbeitergenerationen vor dem Fernseher.

Gerade wird die Bombardierung der Industriestadt Novi Sad gemeldet. Der Mann an der Theke greift zum Handy. Doch jeder Versuch, die Familie in seiner Heimatstadt nördlich von Belgrad zu erreichen, scheitert – keine Verbindung. „Die haben den Satelliten abgeschaltet!“ flucht er. Pokale und Wimpel schmücken die neonbeleuchteten Wände. Die Schachspieler in der Ecke werden rüde angeherrscht: „Hört auf zu spielen, zu Hause ist Krieg!“ Das serbische Fernsehen zeigt winterliche Landschaftsimpressionen. Die Zuschauer weichen auf den ARD- „Brennpunkt“ aus, auch sie sind angesprochen, als Gerhard Schröder seine Fernsehansprache mit „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“ beginnt. Der Wirt schaltet um. Endlich auch Nachrichten auf Beograd 2: 25 Städte seien bombadiert worden, vermeldet ein gehetzter Sprecher.

„Petro“, seinen Namen will hier niemand sagen, ist wie die meisten anderen seit 30 Jahren in Deutschland, „ein Land, das ich nicht mehr wiedererkenne“, so der Gastarbeiter: „Habt ihr Deutschen denn nichts aus der Geschichte gelernt?“ Der 49jährige stammt aus Uzice südlich Belgrad. Der Ort beherberge eine große Munitionsfabrik, sagt er, deshalb hat er Angst um seine dort lebende Schwester. Ihre beiden Söhne dienen in der Armee, „die macht aus ihnen jetzt Männer!“ so „Petro“ trotzig.

„Wir sind doch ein souveräner Staat.“ Niedergeschlagenheit macht sich breit, Kopfschütteln. Schließlich klappt die Handy-Verbindung nach Novi Sad doch noch. Tränen schießen in die Augen des Familienvaters, ein breitschultriger Hüne. Das Haus seines 76jährigen Vaters brenne, sagt er still, kippt einen Sliwowitz auf die Verwandten, von denen ihn tausend Kilometer trennen, und ist verschwunden.

In einer Fabriketage, fünf Minuten Fußweg vom serbischen Freizeittreff entfernt, steht die Luft vor Qualm und Anspannung. Hier sind es Albaner, dreihundert vielleicht und ausschließlich Männer, die auf Satellitennachrichten aus dem Kosovo warten. Aus jeder Region der Krisenprovinz die gleichen Bilder: Archivbilder von Nato-Flugzeugen, UÇK-Miliz, Ruinen, Schnee. „Jetzt kommt meine Stadt dran“, sagt Senol Ramadzić und greift hastig nach seinem Tee. Vater und Mutter sind beide über Siebzig, „sie sitzen zu Hhause fest“, der Bruder kämpft. Auch viele der jungen Albaner in Berlin stehen auf den Freiwilligenlisten der UÇK, „einige würden sofort hinfahren, wenn sie nur könnten“, sagt Sefa Salik. Er organisiert den „Bajram Curri“-Club, benannt nach dem albanischen Nationalhelden. Vor Curri-Porträts und albanischen Fahnen sind Kartons, Koffer und Plastiksäcke deckenhoch aufgetürmt – spontan gesammelte Wäsche für die Leute im eiskalten Kosovo. „Wir sind schon froh, wenn die Hälfte davon ankommt“, so Salik. Seine Mutter in Priština beherberge inzwischen zwanzig Flüchtlinge in ihrem Haus, „auch wenn die Nato jetzt reagiert, ich bleibe pessimistisch“, sagt er.

„Alle zu Hause haben jetzt Furcht vor Racheakten, aber es mußte passieren“, sagt Imer Duraku. Er hat das letzte Mal vor einem Monat mit seiner Familie im heimischen Gjakova telefoniert. Der 39jährige Anwalt, der vor sechs Jahren nach Deutschland floh, berichtet von Willkürakten der serbischen Polizei: „Unser Haus haben sie zuletzt im November angezündet.“

Zija Murseli stammt aus Tetovo in Makedonien, wo jetzt deutsche Nato-Truppen stationiert sind. Keine zwanzig Kilometer sind es von dort bis zur Grenze zum Kosovo. Die Bundeswehr hat hier Luftabwehrraketen postiert, man befürchtet serbische Angriffe. Zija Murseli: „Meine Familie geht nur noch vollständig angezogen ins Bett.“ Christoph Rasch, Berlin