Die Nato-Angriffe gehen in die nächste Phase

■ Die USA starten eine internationale Medienkampagne, um die Ziele ihrer Politik zu erklären

US-Präsident Bill Clinton geht in die Offensive. Mit einer Serie von Radio- und Fernsehansprachen will er den Völkern des Balkans und dem Rest der Welt seine Gründe für die Luftangriffe der Nato auf Restjugoslawien erklären. In dem ersten Beitrag, der in Deutschland gestern morgen live in den englischsprachigen TV-Sendern ausgestrahlt wurde, machte er Slobodan Milošević für die Lage verantwortlich. Die Nato habe sich erst zum Handeln entschlossen, als keine andere Möglichkeit mehr bestanden habe, den Frieden auf dem Balkan zu retten, sagte Clinton. Er rief außerdem die Bevölkerung Restjugoslawiens zur Mithilfe auf, um die Offensive gegen die Kosovo-Albaner zu beenden, damit die Serben wieder ihren Platz in Europa einnehmen können.

Clintons Ansprache wurde auch ins Russische und Serbokroatische übersetzt. In Restjugoslawien konnte sie nur von denjenigen verfolgt werden, die Satellitenschüsseln besitzen, denn den staatlichen wie den unabhängigen Sendern ist die Übernahme verboten. Allerdings sendete ein unabhängiges serbisches Rundfunknetz über 30 lokale Hörfunksender Auszüge aus der Rede.

Auch US-Außenministerin Madeleine Albright trat gestern vor die Kamera. Im CNN-Fernsehen sagte sie, es gebe bisher keinerlei Anzeichen für ein Einlenken Milošević' oder neue diplomatische Initiativen. Sie betonte, daß die USA trotz zunehmender serbischer Übergriffe auf Kosovo-Albaner keine Pläne für den Einsatz von Bodentruppen hätten. Entscheidend sei, die militärische Schlagkraft der jugoslawischen Armee zu vermindern. Mit den Angriffen auf Ziele in Jugoslawien (Serbien und Montenegro) Donnerstag nacht ist die Nato offenbar in die zweite Phase getreten. Zum ersten Mal wurden im Rahmen der Operation „Entschlossene Kraft“ auch Stellungen der jugoslawischen Armee im Kosovo bombardiert. Angaben über mögliche Opfer gab es zunächst nicht. Weitere Luftangriffe der Nato wurden gestern abend von Belgrader Medien gemeldet. Bomben seien in Vorstädten Belgrads eingeschlagen.

Nach Angaben aus Nato-Kreisen in Brüssel sieht die erste Phase der Angriffe vor, hauptsächlich jugoslawische Luftabwehrstellungen zu zerstören. Das sei die Voraussetzung, um mit Kampfflugzeugen im Kosovo systematisch jugoslawische Panzer-, Artillerie- und andere Militärstellungen zu zerstören. Gibt Milošević den Forderungen nach einem Frieden in der Provinz nicht nach, droht diesen Angaben zufolge Phase III: Luftangriffe gegen alle Einrichtungen der Streitkräfte im gesamten Jugoslawien.

Doch was, wenn Milošević nicht einlenkt? Werden dann doch Bodentruppen ins Kosovo geschickt? Ein Nato-Diplomat sagte dazu gegenüber der Nachrichtenagentur AP, die Luftangriffe könnten möglicherweise auch nur zu einem Teilerfolg führen: wenn Milošević' Militär den Kampf im Kosovo einstellt, ohne daß er dem Friedensplan der Balkan-Kontaktgruppe zustimmt. Sollten die Luftangriffe längere Zeit ohne Erfolg bleiben, „müssen wir unsere Politik neu bestimmen“, sagte er. „Aber das ist noch weit weg.“

Nach Auffassung des russischen Außenministers Igor Iwanow muß sich die Nato wegen der Operation „Entschlossene Kraft“ vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten. Iwanow warf der Allianz wegen der Luftangriffe „Völkermord“ vor. Die russische Regierung forderte die Nato gestern offiziell auf, ihr Büro in Moskau zu schließen, und verwies ihren Vertreter des Landes. Im Weltsicherheitsrat scheiterte Rußland mit einem Antrag, der das sofortige Ende der Nato-Luftangriffe forderte. Nur drei der 15 Mitgliedsstaaten stimmten dafür.

In mehreren Ländern kam es zu Protesten gegen die Nato-Angriffe. In Bosnien-Herzegowina waren die Vertretungen Deutschlands, Großbritanniens und der USA Ziel von Demonstrationen im serbischen Teil des Landes, bei denen Steine und Eier geworfen wurden. In Banja Luka wurde ein Botschaftsangehöriger dabei schwer verletzt. Einzelheiten waren zunächst nicht bekannt. In Makedonien kam es zu Demonstrationen und Ausschreitungen vor mehreren westlichen Botschaften und dem Hotel, in dem die verbliebenen 200 Beobachter der OSZE untergebracht waren. Der Leiter der Mission, William Walker, machte dafür gestern Milošević verantwortlich. Das serbische Auslandsfernsehen rief die Landsleute in Deutschland zu Protesten gegen die Luftangriffe auf. Beate Seel