Kommentar: Der Gipfel
■ Agenda 2000: Kanzler Schröder hatte sein europapolitisches Coming-out
Während die Nato im Kosovo Krieg führt, debattieren die EU-Staatschefs in Berlin über Milchpreise. Mit der einfachen Begründung, daß diese Konstellation politisch und moralisch nicht zu verantworten sei, hätte Kanzler Schröder den EU-Gipfel abbrechen können. Er hat es nicht getan und damit zumindest gleich zu Beginn des Gipfels bewiesen, daß er die Wichtigkeit einer Einigung über die Agenda 2000 endlich erkannt hat.
Bei dieser Erkenntnis ist es dann aber auch geblieben. Die Einsparungen für Deutschland bei den Beitragszahlungen sind lächerlich, die Minderausgaben der EU zu vernachlässigen. Es ist schon jetzt klar, daß die EU-Staatschefs in den kommenden Jahren nachverhandeln müssen, um die Beitritte der osteuropäischen Staaten zu finanzieren. Koste es den Haushalt, was es wolle, das Reformpaket mußte verabschiedet werden. Dafür sprachen allein schon technische Gründe: Denn nur so hat das Europäische Parlament noch Zeit, die Agenda 2000 abzustimmen und den Haushalt ab dem 1. Januar 2000 zu sichern. Hätte EU-Ratspräsident Schröder keine Einigung erzielen können, hätte die EU ab diesem Zeitpunkt gar kein Geld mehr gehabt. Das ist unvorstellbar.
Auch wäre es zu Zeiten eines Krieges in einem europäischen Land nicht opportun, die osteuropäischen Beitrittskandidaten zu verprellen. Schließlich gilt ihnen zum Teil der Aufwand. In die wirtschaftlich tonangebende Mitte Europas sollen sie ja auch deswegen aufgenommen werden, damit die Nato sich nicht mit ihnen beschäftigen muß. Der Kompromiß von Berlin ist nicht mehr als ein Signal. Und ein Zeichen dafür, daß die EU-Staaten zwar viel von gesamteuropäischer Verantwortung schwatzen, aber nicht reif dafür sind. Im Zweifel gehen nationale Interessen vor.
Der eigentliche Gewinner des Gipfels bleibt vorerst Gerhard Schröder. Als europäischer Laie mit antieuropäischen Attitüden war er vor einem knappen halben Jahr zum Kanzler aufgestiegen. Nun hat er einen europäischen Gipfel geleitet und zu einem Ergebnis geführt. Um sein Image als Macher aufzupolieren, war es günstig, daß Schröder gleich am ersten Tag in seine Lieblingsrolle als Aktionist schlüpfen und Romano Prodi als zukünftigen EU-Kommissionspräsidenten verkünden konnte. Die eigentliche Arbeit, nämlich die Institutionen Europas zu reformieren und finanzielle Sicherheit zu garantieren, hat Schröder verschoben. Ulrike Fokken
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen