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Heißer Herbst auf den Gleisen

Atomtransporte aus AKW Stade sollen wieder rollen. Norddeutsche Regierungen im Konsens mit Atomkonzernen  ■ Von Sven-Michael Veit

In Norddeutschland sollen Atomtransporte wieder aufgenommen werden. Abgebrannte Brennelemente aus dem Atomkraftwerk Stade dürfen in absehbarer Zeit wieder auf der Schiene in die französische Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) La Hague rollen. Darauf haben sich nach Informationen der taz hamburg die Regierungschefs der Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen verständigt. Eine offizielle politische Bestätigung dafür war gestern nicht zu erhalten. Der Sprecher der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW), Johannes Altmeppen, erklärte jedoch auf Nachfrage, die Wiederaufnahme der Transporte sei „Konsens“. Der genaue Zeitpunkt stehe aber noch nicht fest.

Die Einigung erfolgte am Freitag abend auf einem hochkarätig besetzten Treffen im Lübecker Radisson-Hotel. Die Kieler Ministerpräsidentin Heide Simonis, ihr niedersächsischer Amtskollege Gerhard Glogowski und Hamburgs Erster Bürgermeister Ortwin Runde (alle SPD) hatten sich zu einem trauten Gespräch mit HEW-Chef Manfred Timm und Hans-Dieter Harig, Vorstandvorsitzender des Hannoveraner Energiekonzerns PreussenElektra getroffen. Beide Konzerne betreiben gemeinsam in unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen die vier Atomkraftwerke Stade, Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel. Mit von der Partie waren auch der Kieler Energieminister Claus Möller und Otto Ebnet, Chef der Staatskanzlei in Schwerin (beide ebenfalls SPD).

Offiziell verlautete nach dem Treffen „in sehr guter und konstruktiver Atmosphäre“ lediglich, es seien „alle Probleme des Atomausstiegs zur Sprache gekommen“, und die Beteiligten hätten „ihre Positionen dargelegt“. Ein erneutes Treffen „auf dieser Ebene“ wurde nicht ausgeschlossen, aber an die Fortsetzung der Konsensgespräche zwischen Bundesregierung und Atomkonzernen gekoppelt.

Die Übereinkunft über die Wiederaufnahme von Atomtransporten sei, so wissen Eingeweihte zu berichten, als politisches Grundsatzsignal zu verstehen. Das niedersächsische AKW Stade, dessen eventuelle Stillegung in Bonn und in der rot-grünen Hamburger Koalition ein gern zerredetes Thema ist, wurde erst vorige Woche nach längeren Revisionsarbeiten wieder angeschaltet. Die internen Lagerkapazitäten für abgebrannte Brennelemente reichen allerdings nur noch für etwa ein Jahr. Danach bleiben nur drei Möglichkeiten: Stillegung des Reaktors, Transport der Brennstäbe in ein externes Zwischenlager oder in die WAA.

Niedersachsens Regierungschef Glogowski hat Transporte ins wendländische Zwischenlager Gorleben vorerst ausgeschlossen. Während der EXPO 2000 in Hannover sähe er Konfrontationen zwischen AKW-Gegnern und einem Polizeigroßaufgebot unter den Augen der Weltpresse höchst ungern. Durchfahrende Transporte nach Frankreich habe er bei dem Treffen am Freitag abend jedoch „nicht grundsätzlich verneint“. Mit dem ersten Atomzug sei dennoch erst nach Ende der EXPO am 30. September 2000 zu rechnen: Das nächste Jahrtausend könnte mit einem heißen Herbst beginnen.

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