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Hölle Hiddensee

Von Stränden und Stasiseilschaften: Norbert Klugmanns und Peter Mathews „Land in Sicht“  ■ Von Karen Schulz

Die Elbe bietet kaum die passende Kulisse für einen Roman über Mauerfall und Wende – und so bekommt die Hansestadt in Land in Sicht des Hamburger Duos Norbert Klugmann und Peter Mathews nur eine Nebenrolle zugewiesen. Handlungsort ist diesmal die Insel Hiddensee. Doch nicht nur dem Setting werden die beiden Autoren, die vor allem für ihre Krimis bekannt sind, untreu. Auch die Genres mischen sie wild: Land in Sicht ist Krimi, Lovestory und Märchen in einem.

Die Story ist nicht schnell erzählt, der Plot dafür zu sehr mit Momentaufnahmen der Ost-Gesellschaft nach –89 angereichert. Der Handlungsfaden allerdings ist stringent: Das Solodebüt der West-Berliner Ballerina Lili Martin fällt dummerweise auf den 9. November –89. Ein Schicksalsschlag, denn zwar richtet sich das Augenmerk der Welt zum richtigen Zeitpunkt auf die Stadt, aber mitnichten auf die auf Rampenlicht und Rosenregen hoffende Lili. Gleich schlägt das Schicksal nochmal zu: Ihr – in Hamburg lebender – Vater stirbt auch noch in dieser Nacht. Und hinterläßt Lili den Wunsch, nachdem die Wissenschaft seinen Körper ausgewertet hat, per Urne in seiner Heimat Hiddensee beigesetzt zu werden.

Im Sommer –91 ist es soweit, Lili bereist die Insel mit der Urne im Gepäck und vergißt ihre alltäglichen Problemchen. Sie beginnt eine Affäre mit dem Saisonkellner Alexander, begegnet den von ihr spöttisch als „Grolle“ bezeichneten Stammgästen der Pension Weltfrieden, in denen unschwer ehemalige DDR-Funktionäre wie Mielke oder Krenz zu erkennen sind, und sucht ihre Tante, um ihr ein Erbstück zu übergeben – eine dem sagenumwobenen Goldschatz der Insel verdächtig ähnelnde Brosche. Die Tante ist aber rätselhafterweise nicht aufzufinden, und außer Lili verstört dies niemanden.

Das Erzähltempo folgt der Inselatmosphäre: Versonnen und manchmal etwas lahm kommt Hiddensee daher, und Klugmann und Mathews – beide mehrfache Hiddensee-Besucher – wissen dies überzeugend in Sprache umzusetzen. Doch unter der glatten Oberfläche brodelt es, mit der Person Alexanders etwa treiben die beiden es bunt: Der Uwe-Johnson-Fan, dessen größter Traum eine Reise nach New York ist, wird von einem Versicherungsvertreter einkassiert und durchlebt in Zeitraffer die Schattenseiten einer Karriere im Kapitalismus. Gut betucht kann er sich die Reise nach New York zwar ebenso leisten, doch sein Herz ist nicht mehr bei der Sache, das Geld hat die eigentlichen Wünsche verdrängt.

Mit dem grotesken Showdown zieht das Tempo überraschend an: Da wird Lili entführt, ihr Leben bedroht, die Tante findet sich an, ein Kurorchester wird gezwungen, die Becher-Hymne zu spielen. Der Dorftrottel Matten entpuppt sich als letzter Verteidiger der untergegangenen DDR, und in Anlehnung an Bad Kleinen werden zwei harmlos wirkende Sommergäste mit Waffengewalt enttarnt und festgenommen. Alle Rätsel lösen sich glaubwürdig auf, von dem immer noch funktionierenden Stasi-Beschattungs-Apparat bis hin zu Leerstellen in Lilis Biographie.

Ein Roman, der sich prima zur Ferienlektüre eignet – wenn die LeserInnen denn so lange damit warten wollen. Am Strand, ob auf Hiddensee oder sonstwo, wird er, trotz Sonnenschein, das eine oder andere Nackenhaar in die Höhe treiben. Und zugleich zu einem bösen Lachen reizen.

Norbert Klugmann, Peter Mathews: „Land in Sicht“, Rütten & Loening 1999, 251 Seiten, 36 DM.

Lesung: heute, 19.30 Uhr, Heinrich-Heine-Buchhandlung, Schlüterstr. 1, Eintritt frei

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