■ Die Nato interveniert, um Menschenrechte zu schützen. Wirklich?
: Doppelte Moral für das Kosovo

Es geht, hört man allerorten, um die Menschenrechte. Ohne Rücksicht auf das Völkerrecht und ohne UN-Mandat sieht sich auch Deutschland gezwungen, wegen der „schändlichen Mißachtung der Menschenrechte“ (Verteidigungsminister Scharping) einen souveränen Staat zu bombardieren. Es wäre „zynisch und verantwortungslos, der humanitären Katastrophe weiter zuzusehen“ meint Bundeskanzler Schröder.

Menschenrechtsgruppen reiben sich verdutzt die Augen und verweisen auf ein Dutzend Regionen unseres Erdballs – von Angola bis Kurdistan. Aber man muß den Blick gar nicht in die Ferne schweifen lassen: Noch bis Sommer 1998 wurden Flüchtlinge aus dem Kosovo abgeschoben. Bis heute – bestätigt bei der Schaltkonferenz der Innenminister am Montag – gibt es keinen erklärten Abschiebestopp nach Jugoslawien. Noch heute erhalten Flüchtlinge aus dem Kosovo keinen Status als Bürgerkriegsflüchtlinge. Statt dessen werden sie ins Asylverfahren gelenkt. Keine zwei Prozent wurden 1998 anerkannt.

Daß es der Nato um die Verhinderung der „humanitären Katastrophe“ in der südserbischen Provinz ging, ist unglaubwürdig. Bevor im Kosovo eine Befreiungsarmee entstand, ließen sich die Albaner über sieben Jahre gewaltlos durch die serbische Apartheidspolitik demütigen – immer in der Hoffnung, daß der Westen nicht tatenlos zusehen würde. Das Gegenteil war der Fall: Die USA klammern in Dayton das Kosovo-Problem aus, und Deutschland baut die Bundesrepublik Jugoslawien als demokratischen Staat auf, um die Rückführungen unerwünschter Flüchtlinge voranzubringen. Nach einem halben Jahr Zwangsrückführungen von Kosovo-Albanern wurde bekannt, daß Abgeschobene vielfach mißhandelt wurden. Doch der baden-württembergische Innenminister Schäuble sah trotzdem keinen Grund, die Abschiebungen auszusetzen. Im März 98 wird ein Massaker – in Drenica – bekannt. Gleichzeitig wird publik, daß es unter den aus Deutschland abgeschobenen Flüchtlingen Todesopfer gibt: der 70jährige Mohamed Islami aus Kehlheim, Bayern, und der 27jährige Xhemajli Sahiti aus Mühlheim, Baden-Württemberg. Doch der damalige Bundesinnenminister Kanther verkündet ungerührt: „Es gibt bisher keinen Hinweis darauf, daß Ausländern, die in Deutschland kein Bleiberecht haben und deshalb nach Jugoslawien zurückgeführt werden, irgendetwas geschehen wäre.“

Und es störte auch nicht, daß im deutsch-jugoslawischen Abkommen vom Oktober 96 die „Achtung der Menschenrechte und der Würde der rückkehrenden Personen“ versichert wird. Unterzeichnet von Manfred Kanther und dem jugoslawischen Innenminster Vukasin Jukanović, bekannt als Initiator und Ausführer der Unterdrückungspolitik im Kosovo.

Nun heißt der deutsche Innenminister nicht mehr Kanther und Deutschland befindet sich inzwischen quasi im Krieg mit Jugoslawien. Doch das Rückübernahmeabkommen wurde von deutscher Seite nicht gekündigt. Und deutsche Gerichte sprechen auch 1999 noch von inländischen Fluchtalternativen, verneinen ethnische Verfolgung und halten Abschiebungen grundsätzlich für möglich.

Wie kann die Mißachtung der Menschenrechte im Kosovo einerseits nicht ausreichend für einen Abschiebestopp sein – andererseits aber einen Luftkrieg rechtfertigen? Weil die Menschenrechte ein Vehikel für die Nato sind, aber nicht der Sinn der Aktion. Es geht um den Umbau der Nato vom Auslaufmodell am Ende des Kalten Krieges zur unverzichtbaren Sicherheitsmacht. Der Mangel an Alternativen zum Militärschlag, den die Grüne Angelika Beer beklagt, ist gewiß ein Dilemma. Doch die akute politische Sackgasse ist das Ergebnis jahrelangen Desinteresses – gepaart mit einer Appellpolitik ohne Konzept und Engagement und ohne Aussicht, einen machtbesessenen und rücksichtslosen Despoten in Belgrad von seiner Vertreibungspolitik im Kosovo abzubringen.

Was nun? Bis eine Verhandlungslösung in Sicht ist, muß das zivile Europa die Flüchtlinge unbürokratisch und menschlich behandeln. Gibt es also Pläne, Flüchtlinge mit Bundeswehrtransportern aus dem überforderten Makedonien nach Deutschland auszufliegen? Werden hierzulande Gemeindehäuser und Turnhallen freigeplant? Wäre nicht alles andere „zynisch und verantwortungslos“? Clemens Hauser

Der Autor betreut als Sozialarbeiter der Caritas Flüchtlinge