■ Querspalte: Turniermannschaft
Die Mauer hatte nicht nur Rot-Weiß Erfurt eingesperrt, sondern die Nachkriegszeit gleich mit. Als das vorbei war, unkte Heiner Müller, nun sei wieder Vorkrieg. Dann machte sich der Dramatiker vom bzw. unter den Acker. Vorsichtshalber. Auf die aktuellen Bomb-in-Happenings hat er sich bestimmt nicht bezogen. Nein, Müller schwante, es könnte mal wieder ein richtiger Krieg fällig sein: einer mit Bums, einer, von dem auch wir was abkriegen, einer, den wir – bis uns etwas Charmanteres wie „Aktion: Joschi hilft“ einfällt – den „dritten Weltkrieg“ nennen könnten.
Seit dem letzten Kräftemessen der Jugend der Welt sind 54 Jahre vergangen. Alle Regionalkonkurrenzen fanden seitdem ohne uns statt, 1991 am Golf sogar ein Großereignis. Lasch, lau und kastriert wie Olympia in Moskau oder eine Fußball-EM ohne Lothar Matthäus. Fast war zu befürchten, das Land, das den Weltkrieg erfunden hat, könnte fürderhin den Schwanz einklemmen wie die Schweiz oder Schweden.
Doch seit gut einer Woche steht fest: Urgestein Deutschland tritt wieder an! In die erste Euphorie mischen sich Zweifel, ob unser Triggerfinger nach der langen Pause klamm ist, der Angriff immer noch besser als jede slawische Verteidigung. Ob wir denn mental wieder so beieinander sind, daß wir begreifen, „daß es wohl sein muß“, bzw. keine Meinung haben, weil wir uns mit dem Kuddelmuddel nicht auskennen?
Wir sind. Letzten Donnerstag konstatierte die Berliner Zeitung präzise: „Es hat zehn Jahre gebraucht, um aus den pazifistischen Deutschen eine kriegsbereite Nation zu machen.“ Natürlich muß an der Feinabstimmung noch gebastelt, die Grundschnelligkeit verbessert werden. Es wird weitere Gelegenheiten geben zum Warmbomben. Fans inklusive. Angriffskriege sind stets besonders überzeugend begründet worden. Und wenn wir beim nächsten großen Wettkampf sowieso mit untergehen, meine Güte, dann spricht eigentlich nichts dagegen, daß wir den auch noch anfangen. André Mielke
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