: Mutmaßungen über Frau B.
Die größte Feindin von Feministinnen ist aus Plastik. Sie hat einen weltweit verständlichen Namen: Barbie. Die vor vierzig Jahre kreierte Puppe verkörpert angeblich all das, was Frauen auf Untertänigkeit trimmen soll. Aber ist das nicht alles nur ein Klischee? Denn Barbie ist die erfolgreichste Puppe der Welt – gewünscht von Mädchen und Girlies, Frechen und Braven, Kindern von konservativen wie alternativen Eltern. Mit einer Ausstellung im badischen Bruchsal wird die vierzigjährige Karriere der An- nd Ausziehpuppe nachgezeichnet. Ein Portrait ■ von Bettina Schön
Aus dem Lautsprecher poppt es unmißverständlich. „I'm a Barbie girl in a Barbie world.“ Und alle singen diesen Song der Gruppe Aqua mit.
Das hätten sich 1959 die Händler auf der New Yorker Spielwarenmesse nicht träumen lassen. Als Ruth Handler und ihr Ehemann die 3-D-Version einer von ihnen erfundenen Puppe vorstellten, lud deren Zebrastreifenoptik dazu ein, auf ihr herumzutrampeln: 29,2 Zentimeter groß, verkrüppelte Füße, dafür ausgestattet mit Brüsten, daß es sie – auf normalmenschliche Maße umgerechnet – permanent in die Horizontale ziehen müßte. Kesser Silberblick und Miniaturnase. Die Spielwarenvertreter lächelten.
Nicht lange: Alle liebten Barbie, kleine Mädchen rissen sich um das Püppchen, das neben Coca-Cola, Levis-Jeans und Chewing gum bald Symbol für die schöne neue Welt des amerikanischen Lebensstils wurde. Ruth Handlers Geheimrezept zeigte Wirkung: Die Brüste von Gina Lollobrigida, die Beine von Esther Williams und der Mund von Brigitte Bardot sorgten für die Revolution in der Puppenstube – die alten Fütter-Pinkel-Fratzen, die mütterliche Instinkte wecken sollten, hatten ausgedient. Schon im Jahr eins der Barbie-Ära wurden 350.000 Puppen verkauft.
Mit der Barbiepuppe konnten auch die Mädchen endlich in die große weite Welt aufbrechen, lernten Autofahren, wurden Lehrerin, Zahnärztin, Tänzerin, Filmstar, Chirurgin, Unicef-Botschafterin und flogen schließlich sogar zum Mond – fünf Jahre vor Neil Armstrong –, nur um sicher zu gehen, daß auch ja ein Ami den ersten Fußabdruck auf dem Erdtrabanten hinterläßt, und sei er noch so winzig.
Weltmacht Barbie: Inzwischen gibt es so viele Barbies wie Chinesen. Ob Barbecue-Barbie oder Batik-Barbie: Pro Sekunde wandern in 140 Ländern zwei Vinylgerippe über den Ladentisch. Statistisch besitzt jedes Mädchen zwischen drei und zehn Jahren in Deutschland fünf Barbies.
„Life in plastic, it's fantastic“, jubiliert die Popgruppe Aqua. Und wenn die Barbiephilen zum 40. Geburtstag ihrer Ikone auch ins Jubeln verfallen, dann könnten sie die Erde mit einer riesigen fleischfarbenen Girlande schmücken. Viereinhalbmal würde sie sich um den Äquator ringeln. Andy Warhol wäre enthusiasmiert: Er war bekennender Barbiemaniac und wäre am liebsten selbst aus Plastik gewesen.
Wahrscheinlich nicht unbedingt deshalb, weil Plastik so wunderbar beweglich macht, daß auch ein Mann so elegant wie eine Barbiepuppe durch die Welt staksen kann. Eher schon, weil Plastik unsterblich macht. Darauf wiesen amerikanische Schüler hin, als sie in einer Protestaktion drei quicklebendige Barbies begruben. Barbies garantiert cellulitefreier Vinylbody ist biologisch nicht abbaubar. Barbie ist immer und überall.
Barbie-liebende Ökos hätten mit dieser Sichtweise ein Problem. Sie argumentieren bestechend logisch, daß für Barbies wenigstens kein Tropenholz verwendet werde. Und zumindest fliegen sie nicht mit dem Flugzeug zum Bäcker, wenigstens essen sie kein britisches Rindfleisch. Bewunderswerte Askese!
„You can brush my hair, undress me everywhere“, erklärt der Song „Barbie Girl“ all jenen, die untätig vor dem grobmotorischen Plastikhaufen sitzen. Barbie ist die legitime Nachfolgerin der Anziehpuppe früherer Zeiten, behauptet der Puppenspezialist Marco Tosa. Nur gut, daß die Barbie erfunden wurde, sonst hätten sich die Menschen schon längst die Köpfe eingeschlagen.
„Ob künstlerische oder handwerkliche Kreativität, wie immer wir sie definieren wollen, sie ist letztendlich ein Verdienst der Firma Mattel: Das Objekt Barbie wirkt anregend, ist für jede Art von Interpretation absolut offen“, lobhudelt ein Gefälligkeitsgutachter des Hauses. Das wirft die Frage auf, wie nun die Kreativität der Buben geweckt wird, die allerhöchstens irgendwo im stillen Kämmerlein mit Puppen spielen können, ohne verspottet zu werden?
Durch die Omnipräsenz der Barbiepuppe werden Grenzen überwunden, die Barbie wirke völkerverbindend, preisen andere – es entsteht ein wunderbarer „pink pursuit of happiness“. Das Sonntagsblatt schimpft Barbie phantasielos nur eine „Ausziehpuppe“. Und: „Es kann um nichts als das Ausziehen gehen, bei so einer Puppe!“ Und völlig von der Hand zu weisen ist die prüde Kritik tatsächlich nicht: Weshalb muß ein Spielzeug für heranwachsende Mädchen aussehen wie eine Plastik gewordene Männerphantasie? Das bringt nicht nur gestandene Feministinnen gegen das Püppchen auf, das in seinen vierzig Jahren schon diverse Schönheitsoperationen hinter sich gebracht hat: Ärztinnen und Ärzte klagen, daß unter Bulimiekranken zunehmend ehemalige Barbiefans seien. Eine Amerikanerin regte gar an, die 99-48-84-Diva wie Zigarettenschachteln mit einem Warnhinweis versehen zu lassen. Etwa: Achtung, eine Stunde spielen mit einer Puppe dieser Marke gefährdet die psychische Gesundheit und führt in 0,1 Prozent der Fälle zu schwerer Magersucht.
Wenig empirische Gegenuntersuchungen, gewonnen während der Frankfurter Barbieausstellung, kommen zu freudigeren Schlüssen: Über achtzig Prozent der Barbiebesitzerinnen würden sich nicht mit der Puppe identifizieren. Die Münchner Psychologieprofessorin Helga Bilden sagt: Die Barbie ist neben tausend Frauenzeitschriften und den Klagen von Frauen, Freundinnen und Müttern über Übergewicht kaum mehr als „ein Steinchen“ auf dem Weg zur Magersucht.
„Imagination, life is your creation“, blubbert Aqua. Und der Designhistoriker Hans Puttnies stimmt ein: „Barbie ist das erste Spielzeug, das heranwachsenden Mädchen eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Frauenrollen ermöglicht.“ Welchen Frauenrollen? Nehmen wir zum Beispiel die 1992 auf den Markt gebrachte Puppe, die sagte: „Mathe ist schwer.“ Hat Mattel nur den Zeitgeist nachgebildet? Oder hat Mattel auch die Vorbildfunktion der Barbie zu bedenken? Frauenrechtlerinnen fanden ja, der Markt solle Vorbilder kreieren. Also zog Mattel die Puppe zurück.
Ein wunder Punkt. Barbie scheint nicht mehr länger zu sein, was sie war – ob anziehend in angezogenem Zustand oder anziehender im ausgezogenen Zustand. Anzieh-/Ausziehbarbie wurde zur Abzockbarbie. Sogar eingefleischte Fans beschweren sich über die nachlassende Qualität der Kleider, Blazer seien nicht mehr zuknöpfbar, Schuhe paßten nicht mehr.
Statt Spiel – eine Puppe in unterschiedliche Rollen schlüpfen zu lassen –, lautet schon längst das Credo von Mattel: Konsum. Für jede Rolle eine Puppe. Kein Problem für intelligente Barbiefreunde: Ob ich mir nun Lego wünsche oder eine Barbie – ich konsumiere immer. Wer Barbie wegen des „consumo, ergo sum“-Gedankens kritisiere, möge doch bitte gleich den Entwurf für ein neues Gesellschaftssystem beilegen. Unterschiedliche Firmenphilosophien spielen keine Rolle. Und daß das kindliche Rollenspiel dabei auf der Strecke bleibt: Shit happens.
Einzig positiver Nebeneffekt: Schrillblond und Perlweißlächeln sind inzwischen nicht mehr up to date. Die „Mattelialisten“ sahen sich angesichts erschreckender Mediadaten und rückläufiger Verkaufszahlen bemüßigt, die Barbie 1998 etwas kompakter und ernster zu gestalten. Das ist man Ruth Handler schuldig, die schon in den siebziger Jahren immer darauf aus war, die Kinder und nicht die Eltern anzusprechen. Zum Beispiel mit Fernsehwerbung statt mit herkömmlichen Zeitungsannoncen.
„I'm a blond bimbo girl in a fantasy world.“ Bimbo nennen die Amerikaner süße kleine Idiotinnen. Halb abgestoßen, weil sie gar so doof und unbedeutend sind, halb angezogen, weil Mann sich ihr gegenüber immer überlegen fühlt. Und weil Barbie eben solch ein „Bimbo“-Verschnitt ist, ist diese Phantasiewelt so unbeeinflußt nicht. Zwar können Mädchen ungehindert Erwachsenenwelt spielen, doch ist ihnen vorgegeben, daß alles ein bißchen rosa zu halten ist. Sind wir nicht alle ein bißchen Barbie? Egal: „We girls can do everything“, lautet der Leitsatz der Mattel-Präsidentin Jill Benad.
Psychologin Helga Bilden erläutert: „Wenn Kinder mit Puppen spielen, spielen sie eher Mutter – wenn sie mit Barbie spielen, spielen sie sich als Erwachsene.“ Und wenn man Mrs. Benad, der Mattel-Präsidentin, so zuhört, möchte man meinen, sie sei auf eben diesem Spielniveau stehengeblieben.
Problematisch ist das insofern, als gerade Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren sehr stark zur Stereotypisierung neigen. Noch ohne feinentwickeltes Gefühl oder Gespür für Political Correctness ordnen sie die Einflüsterungen der Umwelt so oder so nach dem Muster „Mann spricht, Frau nackt“ in Männer- und Frauenschubladen. Also, so Helga Bilden, könne man sagen, Barbiespielen spiele eine stereotypisierende Rolle.
Die schlichte Hypothese all derjenigen, die ihren Kindern Barbies verbieten, damit sie diese dann von Onkels und Tanten bonuspunktheischend geschenkt bekommen, lehnt sie ab: Barbiespielen führt nicht automatisch zu klischeehaftem Verhalten. „Kinder können aus allem etwas machen“, sagt die Psychologin, die selbst keinen Hehl daraus macht, Barbie „fürchterlich“ zu finden.
„Come on Barbie, let's go party.“ Uuups. Auch wenn Mattel den Aqua-Song gar nicht toll fand und sogar dagegen klagte – niemand wird die Barbiefans davon abhalten können, der Aufforderung zu folgen. Vielleicht halten es aber auch ein paar Menschen mit einem ähnlich einfach gestrikten Hit und werfen ihr Püppchen auf den Müll, wo es garantiert nie verrotten wird. Die schwedische Sängerin Emilia, einer modernen Barbie nicht ganz unähnlich, singt sehr wispernd und stolz: „I'm a big, big girl, in a big, big world, and it's not a big, big thing if you leave me.“
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