: Goethes Wahlverwandschaft
Die Schlagzeilen über seine postmortale Aufbereitung für die Nachwelt haben es noch einmal deutlich gemacht: Johann Wolfgang von Goethe, der deutsche Dichterfürst, ist nach wie vor Gegenstand kultischer Verehrung. Im Jahr seines 250. Geburtstags wird er landauf, landab gefeiert. Doch wer war der Geheimrat, dem sein literarisches Werk über alles ging, wirklich? Wie lebte er, wie liebte er? Und wie gestaltete sich sein Zusammenleben mit Christiane Vulpius, die er erst heiratete, als ihr gemeinsamer Son bereits sechzehn Jahre alt war? Ein Porträt des dichtenden Ministers und seiner großen Liebe, aufgeschrieben vom Verleger ■ Helmut Kindler
Deutschland befindet sich 1775 in einem Werther-Rausch. Der Ruhm Goethes, des Dichters, der „Die Leiden des jungen Werthers“ geschrieben hat, den berühmten Roman in Briefform, befindet sich auf dem Höhepunkt. Die erste Ausgabe ist ein Jahr zuvor anonym erschienen. Doch aufgrund des sagenhaften Erfolges wurde der Name des Autors alsbald bekannt. Bekannt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Jahre später, 1808 in Erfurt, wird Napoleon Goethe sagen, er habe Werther siebenmal gelesen.
Professor Hermann Grimm wird an der Königlichen Universität zu Berlin über „Die Leiden des jungen Werthers“ zwei Vorlesungen halten und ihn als „den ergreifendsten deutschen Roman“ ankündigen. Zahlreiche Studenten und jugendliche Leser identifizieren sich mit dem tragischen Ausgang der Werther-Geschichte und begehen Selbstmord. Die theologische Fakultät in Leipzig sieht in Goethes Darstellung eine Verführung zum Selbstmord und beantragt, daß das Buch beschlagnahmt werden solle. Aber Goethes Roman bleibt das literarische Ereignis der Zeit. Und damit nicht genug. Werther- Parfüm wird den Damen der Gesellschaft angeboten. Und über Jahre wird das Werther-Kostüm bei jungen Männern zur Kleidungsmode: blauer Frack mit Messingknöpfen, gelbe Hose und Weste, hohe braune Stulpenstiefel, runder grauer Hut. Eine Epidemie. Ablehnende Kritiken des Buches, wie die von Lessing, können Auflagen über Auflagen nicht bremsen.
Auch der achtzehnjährige Herzog Carl August von Sachsen-Weimar gehört zu den Anhängern des Dichters. Er lädt ihn nach Weimar ein. Enthusiastisch wird er am herzoglichen Hof empfangen. Bald liest Goethe Szenen aus seinem 1774 in Berlin uraufgeführten „Goetz von Berlichingen“ vor und aus seinem Lebenswerk, dem „Faust“. Zwischen Herzog Carl August und Goethe entsteht eine lebenslange Freundschaft. Der Herzog überträgt Goethe wichtige ministerielle Ämter. 1776 wird er Legationsrat, 1779 Geheimer Rat und Vorsitzender der Kriegskommission sowie Leiter der Wegebaukommission, 1782 Finanzminister. Im gleichen Jahr wird er vom Kaiser geadelt.
Seine Stimme hat Gewicht. In einer geheimen Ratssitzung geht es um die Frage, ob das Todesurteil an einer jungen Kindsmörderin in Weimar vollstreckt werden soll. Herzog Carl August gibt zu erkennen, daß er an eine Begnadigung denke. Goethe wird sich durchsetzen mit seiner Forderung, das Todesurteil zu vollstrecken. Schon einmal hatte er sich bei seiner juristischen Examensarbeit für die Beibehaltung der Todesstrafe ausgesprochen.
Christian August Vulpius, Goethes Schwager, wurde am 23. Januar 1762 in Weimar geboren. Er stammt aus einer hochangesehenen Pastoren- und Gelehrtenfamilie. Sein Großvater allerdings kam durch unglückliche Umstände in wirtschaftliche Schwierigkeiten und verarmte. Um die wirtschaftlichen Probleme des in Weimar ansässig gewordenen Großvaters zu verstehen, muß man wissen, daß er als Hofadvokat von den Einkünften abhängig war, die ihm die herzogliche Familie hätte zahlen müssen. Da der Hof seinerzeit jedoch hoch verschuldet war, mußten Mitarbeiter aller Schichten darunter leiden.
Trotz der schwierigen finanziellen Verhältnisse durfte Christian August Vulpius studieren. Philosophie und Literaturgeschichte belegte er an den Universitäten in Jena und anschließend in Erlangen. Ab 1788 war er schlechtbezahlter Privatsekretär in Nürnberg und München. Dann Privatlehrer und Schriftsteller in Bayreuth, Würzburg, Erlangen und Leipzig. Und obwohl er nebenberuflich bereits als Autor verschiedener Romane und Erzählungen Erfolg hatte, ging es ihm miserabel. Selbst nach dem unvorhergesehenen Erfolg des Räuberhauptmanns „Rinaldo Rinaldini“ änderte sich daran nur wenig.
Noch gab es kein Autorenrecht, über geistiges Eigentum begann man erst theoretisch zu diskutieren und hielt noch immer daran fest, daß ein Verleger, der einem Autor ein Manuskript abkauft und es auf seine Kosten drucken läßt, sich dadurch zum Eigentümer des Buches macht. Es war gewissermaßen eine Gnade, wenn der Verleger oder Buchdrucker dem Autor etwas bezahlte, denn er konnte darauf hinweisen, daß die Herstellung eines Buches erhebliche Kosten verursachte.
Vulpius' Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini bekämpft als Außenseiter die Gesellschaftsordnung. Der Frauenliebling zeigt sich als allgegenwärtiger Beschützer der Schwachen und Unterdrückten und als unerbittlicher Feind aller, die dem Recht und der Sitte Gewalt antun. Mit diesem Roman schreibt Vulpius einen der größten Bestseller seiner Zeit und stellt damit alle Erfolge seines Schwagers Goethe weit in den Schatten. Von diesem Roman lag schon 1801 die vierte Auflage vor; außerdem wurde er in fast alle neueren Sprachen übersetzt und vielfach nachgeahmt. Vulpius nutzte seinen Erfolg geschickt aus, indem er das Buch selbst dramatisierte.
Viele Jahre später wird der Literaturwissenschaftler Jörg Drews über eine Aufführung von Goethes Schauspiel „Die natürliche Tochter“ in Weimar folgendes überliefern: „Nach dem zweiten Akt wendet sich ein Student an einen neben ihm sitzenden älteren Herrn mit der Frage: ,Bitte um Vergebung, ist das Stück nicht von Vulpius?' Der ältere Herr verzieht keine Miene über diese Verwechslung des Dichterfürsten mit dem Verfasser des Räuberromans Rinaldo Rinaldini und erwidert gesetzt: ,Nein, das Stück ist von Goethe.'“ Nach dem dritten und vierten Akt wiederholt sich das Ganze. „Am Schluß endlich behauptet der Student: ,Sie mögen sagen, was Sie wollen, aber das Stück ist von Vulpius.' Da erhebt sich endlich der Nachbar flammenden Auges und sagt mit Nachdruck: ,Das Stück ist von Goethe und ich bin Goethe!' ,Sehr erfreut', sagt der Student ungerührt, ,mein Name ist Schiller!'“
Am 12. Juli 1788 wird Goethe in Weimar im Park an der Ilm auf ein braungelocktes Mädchen treffen, Christiane, die ihm eine Bittschrift für ihren Bruder Christian August Vulpius übergeben wird. Christiane ist drei Jahre jünger als ihr Bruder. Mit der Überreichung des Bittgesuches für ihren Bruder an Goethe am 12. Juli 1788 beginnt für die 23jährige Christiane ihr neues Leben an der Seite des großen deutschen Dichters, der am 28. August 39 Jahre alt sein wird.
Das thüringische Mädchen, das jetzt vor Goethe steht, hat die glutvollen Augen der römischen Geliebten. Himmlische und irdische Liebe werden zu ihrem Recht kommen. Fast täglich und nächtlich wird sie im Gartenhaus erscheinen, wo Goethe sie sehnsüchtig erwartet. In Versform beschwört er den Liebesbund: „Und ich verkannte sie nicht, ergriff die Eilende: Lieblich gab sie Umarmung und Kuß mir gelehrig zurück.“ Und aus einem seiner Hexameter spricht innige Vertrautheit: „Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen / Überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel / Oftmals hab ich auch schon in ihren Armen gedichtet / Und des Hexameters Maß leise mit fingernder Hand / Ihr auf den Rücken gezählt.“
Auch von ihrem Bruder August „wird vernünftig gesprochen“. Christiane erzählt von seinem Können, seinen Plänen und seiner Notlage. Und der Herr Geheimrat Goethe verspricht, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Als sie die Namen der fernen Städte hört, darunter Düsseldorf, Münster und Leipzig, wohin ihr Geliebter die Empfehlungsbriefe schicken wird, erschrickt Christiane. Sie wird ihren geliebten Bruder tatsächlich einige Zeit nicht bei sich haben.
In der Beziehung zwischen Goethe und Christiane gibt es bald ein Problem. Sie wird schwanger. Aber nicht ihre Schwangerschaft ist für beide das Problem. Vielmehr hat sie Angst vor Strafen: rechtlichen Strafen, kirchlichen Strafen. „Antizipierter Beischlaf“ wird gesühnt. Der Herzog kann eine Bestrafung abwenden. Aber er kommt nicht umhin, seinen Freund zu veranlassen, mit Christiane in die Jägerhäuser vor die Tore der Stadt zu ziehen. Es ändert nichts am Lebensglück der beiden. Sie genießen das häusliche Leben vor den Toren der Stadt.
Auch die frühere Goethe-Geliebte Charlotte von Stein ist nicht unbeteiligt an widerlichen Attacken zahlreicher Hofdamen, aber auch von Teilen der Bevölkerung Weimars gegen Christiane. Als primitiv und ungebildet, als „Mamselle Vulpius“ oder „Demoiselle Vulpius“, die sich wie ein Freudenmädchen des Geheimrats Goethe bemächtigt habe, wird sie diffamiert. Selbst Schiller störte sich an Goethes „Gewissensehe“.
Christiane bringt am 26. Dezember 1789 einen Sohn zur Welt, sie nennen ihn August. Goethe freut sich sehr, Vater zu sein. Vier weitere Schwangerschaften werden nicht glücklich enden. Christiane jedoch überlebt sie. Ihr Gustl ist ihr ganzes Glück.
Das Jahr 1796 macht Goethe sehr zu schaffen. Er kommt nicht zu seinen dichterischen Arbeiten. Seine Verpflichtungen als Theaterdirektor in Weimar, der er neuerdings ist, stehlen ihm viel Zeit. Über die Proben zu einer Oper, deren Libretto von Vulpius ist, die Musik von Süssmayer, äußert er sich allerdings zufrieden: „Es wird ein lustiges und erbauliches Werk.“
Sooft Christianes „großer Bruder“ in Weimar ist, geht es ihr gut. Der Bruder ist ihr bester Freund und Vertrauter. Vor allem sind mit ihm die zahlreichen Reisen von Goethe besser zu ertragen. Und vom Theater, das sie oft gemeinsam besuchen, versteht er wohl nicht weniger als Goethe. Vulpius verehrt Goethe, und seine Wertschätzung wird auch nicht beeinträchtigt durch die manchmal etwas unpersönliche Art, mit der Goethe ihn anspricht. Goethe wird ihn nie seinen Schwager nennen, sondern bestenfalls vom „Bruder“ von Christiane oder von dem „Sekretarius“ oder auch dem „Bibliothekarius“ sprechen, Positionen, die er Goethe verdankt.
Goethe ist jetzt fast immer in Jena. Es ist, wie man sagt, sein Schillerjahr. Er und Schiller verbringen die meiste Zeit miteinander. Es kommt dem literarischen Schaffen beider zugute. Mehrere Male besucht Christiane mit dem kleinen Sohn den Geliebten und Vater in Jena. Einmal vergleicht Christiane ihre Tätigkeit mit der von Goethe: „mit deiner Arbeit ist es schön; was du einmal gemacht hast, bleibt ewig, aber mit uns armen Schindludern ist es ganz anders. Ich hatte den Hausgarten sehr in Ordnung, gepflanzt und alles. In einer Nacht haben mir die Schnecken beinahe alles aufgefressen, meine schönen Gurken sind fast alle weg, und ich muß wieder von vorne anfangen. Doch was hilft es? Ich will es wieder machen, man hat ja nichts ohne Mühe. Es soll mir meinen guten Humor nicht verderben.“
Christiane interessiert sich für Goethes Werke, die ewig bleiben – „Schreib mir“, heißt es in ihren Briefen des öfteren, „wie es Dir mit Deinen Arbeiten geht.“ Und weiter heißt es: „Daß es mit dem Roman – den ,Wahlverwandtschaften' – nicht gehen will ist ja curios, doch vielleicht gehet es noch, man muß nicht gleich verzagen.“ Goethe wird einmal über seine Frau erzählen, daß Christiane gern ins Theater geht, und es fehle ihr nicht an einer Art von Kultur, die sie in meiner Gesellschaft und besonders im Theater erlangt hat. „Überhaupt glaubt man nicht, wie sehr das Theater bildet.“
Lesen hingegen ist nicht ihre Stärke. Allerdings hatte sie seinerzeit wie die meisten der Mädchen Goethes „Werther“ förmlich verschlungen. Und natürlich hatte sie, schon bevor sie Goethe kannte, Veröffentlichungen ihres Bruders gelesen, der ihr auch Teile seiner Manuskripte vorgelesen hatte, um ihr Urteil zu hören. Und aus den Tagebüchern Goethes wissen wir, daß er die stillen Abende mit Christiane keineswegs nur mit Whistspielen und Trinken verbrachte, sondern ihr Eigenes vorlas, so „Hermann und Dorothea“, eine Bearbeitung aus „Romeo und Julia“, und frisch aus dem Manuskript Anfänge von „Dichtung und Wahrheit“. Es kam auch mehr als einmal vor, daß er aus seinem Arbeitszimmer zu seiner Frau hinüberging, um ein neues Lied zu „probiren“, wie er zum Beispiel in sein Tagebuch drei Jahre vor dem Tod seiner Frau schrieb. Goethe erzählte ihr auch, wenn er ein Gedicht druckreif geträumt hatte.
Auf eine recht merkwürdige Weise wurde die erkaltete Beziehung zu Charlotte von Stein aufgewärmt. Und zwar sowohl von Seiten Goethes als auch von Seiten der Charlotte von Stein. Sie tauschten nämlich, um es ganz ungeschminkt auszudrücken, ihre Kinder. Steins Friz, gewöhnlich ohne t geschrieben, hielt sich tage-, nächte-, wochenlang im Haus von Herrn und Frau Goethe auf, und August, meist Gustl genannt, wurde bei den Steins einquartiert. Aber eigentlich war der Tausch nicht ein Tausch der Ehepaare, sondern ein Tauschgeschäft zwischen Charlotte von Stein und Wolfgang von Goethe.
Charlottes Mann schien die Regelung nichts auszumachen. Goethe will für Fritz sorgen, ihn bilden und erziehen, und dazu soll er auch mit ihm auf Reisen gehen. Es entsteht der Eindruck, Goethe habe Steins Sohn Fritz adoptiert. Fritz wird auch Goethes Mutter in Frankfurt besuchen. Frau von Steins Sohn sollte nicht nur den Geist Goethes atmen, sondern, wie sie hoffte, zu seinem Erben werden.
Jahre später wird Christiane sich damit abfinden müssen, daß August, ihr geliebter Sohn, vielfach bei Charlotte von Stein zu Hause ist. Für Christiane ist es ohnehin schon ein Problem, daß er von der Hofgesellschaft nicht als ihr Sohn, sondern lediglich als Goethes Sohn angesehen wird. Und das empfindet auch der Knabe August als ein Problem. Seine Mutter ist in Sorge, daß ihr geliebter Sohn ihr entfremdet wird.
Doch der Liebe zwischen dem Dichter und Christiane tut das keinen Abbruch. Sie berichten sich gegenseitig zum Beispiel über die „Äugelchen“, die ihnen gemacht werden und die sie austeilen. Der 54jährige schreibt ihr einmal: „Nimm Dich nur in acht, daß keine Augen daraus werden.“ Und sie schreibt ihm: „Wie Du gibt es keinen Mann in der ganzen Welt.“
Als Goethe seine Lebensgefährtin 1806 heiratet, wird sich manches ändern. Für den gemeinsamen Sohn ist die Hochzeit ein besonderer Freudentag. Woran jedoch Christiane nicht denkt, ist Goethes Entschluß, auf seiner Freiheit zu bestehen. Jetzt ist Christiane seine Frau, für ihre wirtschaftliche Sicherheit im Fall seines Todes hat er – auch mit Hilfe des Herzogs – längst gesorgt, so daß er offensichtlich kein schlechtes Gewissen hat, dem Hausstand zu entfliehen, um ungestört seine literarischen Projekte zu einem Ende bringen zu können. Sein Werk ist ihm das Wichtigste.
Die für Christiane damit verbundene seelische Belastung würde sie ohne ihren Bruder kaum ertragen können. Aber Christianes anhaltende Liebe zu ihrem von ihr vergötterten Mann wird ihn bald, zwei Jahre sind seit der Hochzeit vergangen, veranlassen, seine Christiane nun vor der Öffentlichkeit nicht mehr zu verstecken, sondern sie als die Frau Geheimrätin in die Hofgesellschaft einzuführen. Selbst Charlotte von Stein wird mit anderen Hofdamen eine Einladung von Christiane annehmen. Gastgeberin und Gäste bewältigen die neue Situation.
Am 18. Mai 1816 konnte Christiane dem in Jena weilenden Gatten zum letzten Mal mitteilen, daß sie sich „leidlich wohl“ befinde. „Ich benutze“, schreibt sie, „jeden Sonnenblick, um in freie Luft zu kommen, die mir so wohl thut.“ Und dann schildert sie den Garten hinter dem Hause, die freudige Empfindung, die Dankbarkeit für das blühende Stück Erde, dem sie soviel Liebe zugewandt hat – das ist ganz ihr Eigentum: „Dein Garten steht gegenwärtig in seiner größten Pracht, und es macht wirklich verdrüsslich, dass die üble Witterung so wenig im Freien zu sein erlaubt.“ Gleich nachdem Christiane diesen Brief geschrieben hatte, erlitt sie einen (Schlag?)Anfall.
Noch einmal war ihr ein Aufatmen und erneutes Hoffen vergönnt. Am 22. Mai versicherte sie in ihrem letzten Brief an den „Lieben Geheimerath“, alle ihre Sinne seien „frei und heiter“, nirgends sei mehr „ein Druck oder eine betäubende Schwere zu bemerken“. Genau eine Woche später trat der Tod an ihr Lager, und alle freundlichen, tröstlichen Geister wichen von der lebensfrohen Frau. Goethe eilte auf den Hilferuf von Christianes Bruder von Jena herbei.
„Gefährlicher Zustand meiner Frau“, vermerkt das Tagebuch vom 29. Mai, den wir nunmehr folgen wollen bis zum Ende. Am 30. ist eingetragen: „Meine Frau wieder außer Bett“, aber schon am 31. wird ein gefährlicher Rückfall vermerkt. Am 2. Juni heißt es: „Verschlimmerter Zustand meiner Frau.“ Am 3.: „Frau v. Heygendorf bey meiner Frau, die noch immer in der größten Gefahr.“ Am 4. mußte sich Goethe wegen eines plötzlichen, heftigen Fieberanfalles selbst zu Bett legen. Am 5. Juni berichtet das Tagebuch: Den ganzen Tag im Bett zugebracht. Meine Frau in äußerster Gefahr. Die Köchin und Minchen (die ebenfalls erkrankt waren) leidlich. Mein Sohn Helfer, Ratgeber, ja einziger haltbarer Punct in dieser Verwirrung.“ Am 6. Juni lesen wir dann: „Nahes Ende meiner Frau. Letzter fürchterlicher Kampf ihrer Natur. Sie verschied gegen Mittag. Leere und Totenstille in und außer mir...“
Helmut Kindler, 86, ist einer der erfolgreichsten Verleger der Bundesrepublik. Zu seinen Projekten gehören „Grzimeks Tierleben“ und „Kindlers Literaturlexikon“. Auch den Berliner Tagesspiegel oder die Jugendzeitschrift Bravo brachte er mit auf den Weg. Der älteste taz-Genossenschaftler lebt in Küsnacht, Schweiz
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