piwik no script img

Mit Comenius ins Internet

■ Die europäischen Bildungsprogramme gehen ins Jahr 2000. Vor Ort aber laufen die kleinen Projekte weiter: Die Lehrer reisen (manchmal) und die Schüler dürfen surfen

Leonardo oder Sokrates sind keine Synonyme für Edith Cresson. Und doch sollte, wer in den beiden europäischen Bildungsprogrammen seine Aktien hat, der ehemaligen europäischen Kommissarin dankbar sein. Der fröhliche Umgang der Bildungsbeamtin mit den europäischen Steuergeldern hat dafür gesorgt, daß heutzutage ein paar Menschen mehr in Europa unter Sokrates nicht fälschlicherweise abendländische Philosophie, sondern hin und wieder auch den intervernetzten Gymnasiasten assoziieren.

Unter der europäischen Ratsherrschaft geht Sokrates nun in seine zweite Etappe, ohne daß dies, außer in den Verwaltungen, jemanden weiter tangieren würde. Die Halbwertzeit gesamteuropäischer Bildung ist auf die Ewigkeit ausgerichtet und berührt mit seinen großen Zielen auch die konkreten europäischen Projekte, die sich derzeit an ein paar Bremer Schul-PC's abspielen, nur peripher.

Die immerhin gibt es. 12 neue Projekte gingen zuletzt im vergangenen Herbst im Sokrates-Unterprogramm Comenius an den Start – mit Laufzeiten zwischen zwei und drei Jahren und einem europäischen Taschengeld zwischen 4.000 und 6.000 Mark(!) zur Unterstützung von Dreiländer-Beziehungen zwischen europäischen Schülern. Beziehungsweise ihren Lehrer. Denn auf die Reise läßt sich eine Bremer Schulklasse, die mit ihren norwegischen und spanischen Kollegen ökologische Wassermessungen oder Mädchen-Sozialisation vergleicht, bei diesen Förderbeträgen kaum schicken. Das bleibt dann im Ausnahmefall dem betreuenden Lehrer vorbehalten – als kleines Dankeschön fürs Anträgeschreiben. Die Schüler surfen statt dessen durchs Internet.

Thomas Bethge findet das aber gar keinen schlechten Anfang. Der Physiklehrer an Bremens Landesinstitut für Schulbildung (LIS), abgeordnet als Referent für bildungstheoretische Grundsatzfragen, sieht nicht zuletzt Ansätze eines modernisierten Fremdsprachen-Unterrichts in diesen innereuropäischen Internet-Gesprächen der Bremer Schüler verwirklicht. Denn natürlich unterhalten sich die Schüler aus der Hamburger Straße mit ihren virtuellen Freunden in Italien und Frankreich nicht auf deutsch über die verschiedenen Traditionen des Rolandliedes. Unter der Fuchtel des alten Pädagogen Comenius ist Englisch selbstredend zur Pflichtsprache geworden. Die Hemmung aber, sagt Bethge, einem französischen Mitschüler ein paar englische Neuigkeiten rüberzuemailen, die läßt sich ungleich leichter abbauen, als wenn man mit einem native speaker in Oxford kommuniziert.

Der Umgang mit den Fremdsprachen gehört denn auch zu den Topthemen im Comenius-Rahmen. Nicht nur auf Schul-Ebene. „Welche Bildung braucht die Schule im Jahr 2000?“ heißt ein Dreijahres-Projekt, das das Bremer LIS gemeinsam mit drei weiteren Lehrerfortbildungs-Instituten in Spanien, Schweden und Slowenien im vergangenen Jahr gestartet hat – und was da debattiert wird, ist im Kleinen nichts anderes als das große Viergestirn des offiziellen Bildungsprogramms für die eueropäischen Schulen. „Fremdsprachen“ sagen die Bremer – und erarbeiten dazu nun ein Forbildungskonzept für Lehrer, das sie in den nächsten zwei Jahren in den Partnerländern zu Diskussion stellen sollen. „Werte“, sagen die Saragossen und Thomas Bethge sagt: „Da hatte ich erst eine gewisse Scheu vor“. Nicht zuletzt wegen der neuentfachten Kopfnoten-Diskussion in Deutschland. Aber das ist Europa, findet Bethge, da lernt man die andere Perspektive: „Viele Spanier kommen noch aus dem Widerstand gegen Franco. Da geht's nicht um solche Werte wie Pünktlichkeit.“

In Upsalla wird weit radikaler als in Deutschland über die Schulautonomie nachgedacht und in Slowenien heißt das Thema „interkulturelle Erziehung.“ Im zwei Jahr wird es dann einen großen Abschlußkongress geben, aber, sagt Bethge, „für mich ist es nachrangig, daßdann da 30 Hansel aus 15 europäischen Ländern antanzen“ – und, sagen wir, die europäische Reiseschatulle plündern. Viel interessanter findet er die Diskussion vor Ort – mit den Lehrern im Gymnasium Horn – das aber wäre dann ein Projekt, das den Etat des kleinen Comenius-Projektes weit übersteigen würde. ritz

Informationen rund um die Comenius-Bildungsprogramme gibt es bei Bremens Sokrates-Beauftragten Wilfried Böhnke. Tel. 3616773

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen