Der Krieg brodelt in der Küche

In einem Asylbewerberheim in Marzahn leben Serben neben Kosovo-Albanern. Doch über den Krieg wird nur hinter verschlossenen Türen geredet. Diskussionen gibt es kaum   ■  Von Julia Naumann

Die langen, gelbgestrichenen Flure in der dritten Etage des Asylbewerberheims sind leer. Stille dort, wo sonst Kinder herumtoben und die Zimmernachbarn einen Schwatz halten. In der Küche, die sich elf Familien teilen müssen, kochen zwei Frauen das Mittagessen für ihre Familien. Schweigend, sie reden kein Wort miteinander. Die eine ist aus Serbien und lebt schon seit drei Jahren in dem zum Wohnheim umfunktionierten Plattenbau in Berlin-Marzahn. Die andere, eine Kosovo-Albanerin, ist erst seit zwei Monaten mit ihrer Familie hier. In dem Heim wohnen 130 Menschen, in der Mehrzahl Bosnier, einige Serben und Kosovo-Albaner, aber auch Kurden und Kroaten.

Es ist ein scheinbar friedlicher, sonniger Vormittag. Doch hinter den meisten der vielen Türen ist die Anspannung groß. In den Wohnzimmern, die abends zur Schlafstätte umfunktioniert werden, ist der Krieg zum Anfassen nah, denn dort läuft Tag und Nacht der Fernseher. „Ich schaue den ganzen Tag n-tv, da kommen die Meldungen am schnellsten“, sagt Zoran Nowakovic. Er sieht müde aus, hat tiefe Furchen im Gesicht und wirkt viel älter als 33 Jahre. Nowakovic ist Rom und kommt aus einer kleinen Stadt in der Nähe von Belgrad. Seit 13 Monaten ist er in Berlin. In Serbien arbeitete er als Reservepolizist und sollte eingezogen werden – in das Kosovo. „Warum soll ich gezwungen werden, jemanden umzubringen?“ begründet er schlicht seine Flucht. Als er vor gut einem Jahr der Ausländerbehörde mitteilte, er sei vor einem möglichem Krieg geflüchtet, da „haben die nur ungläubig gelacht“, erzählt er.

Als vor elf Tagen die ersten Bomben fielen, mußte Nowakovic weinen – sein Vater lebt in Belgrad. „Ich habe mich vor meiner Familie geschämt und bin aus dem Zimmer gegangen“, sagt Nowakovic, der offiziell Serbe ist, sich selbst aber nur als „Rom, als Zigeuner und als nichts anderes“ bezeichnet. Er redet nicht gerne über den Krieg, über die unterschiedlichen Konfliktparteien, über mögliche Lösungen. Schon gar nicht mit den „Albanesen“, wie er die Kosovo-Flüchtlinge nennt. „Sonst gibt es Streit, und das ist nicht gut“, sagt Nowakovic schlicht, der als Kind mit seinen Eltern 14 Jahre in Österreich gelebt hat und dann nach Jugoslawien zurückging.

Die Kosovo-Albaner haben in dem Marzahner Heim keinen guten Ruf. „Die anderen Flüchtlinge pflegen eine distanzierte Haltung den Albanern gegenüber“, umschreibt Geschäftsführer Jürgen Koch vorsichtig die Stimmung im Haus. Sie hätten „Vorbehalte“, nennen die Albaner „unsauber und unzuverlässig“. Doch, „toi, toi, toi“, sagt Koch, habe es bisher noch keine wirklichen Konflikte gegeben außer kleineren Streitigkeiten unter den Frauen. „Manchmal gibt es Ärger in der Küche, die Serbin kocht Schweinefleisch im Topf, die Albanerin stört das, weil sie als Muslimin keins ißt“, erzählt Koch. Zugeben möchte das im Haus aber niemand. „Wir haben hier keine Probleme“ sagt Nowakovic, und damit ist das Thema erledigt.

Kata Martinoviç, Kroatin aus der bosnischen Stadt Ocak, öffnet sich ein bißchen mehr: „Man kann nur miteinander reden, wenn man tolerant ist“, sagt die 38jährige im besten Deutsch. Sie lebt seit 1994 mit Mann und zwei Töchtern in dem Heim, alle zusammen in einem kleinen Zimmer. „Hier wird wenig über Politik geredet, es geht nur dann, wenn jemand Neutrales vermittelt“, sagt die ehemalige Buchhalterin. In den fünf Jahren ihres Aufenthalts habe sie nur höchst selten über die komplizierte Lage in Bosnien und Jugoslawien mit anderen Bewohnern, auch kaum mit Bosniern debattiert.

Die Kosovo-Albaner des Heimes wollen dagegen überhaupt nichts sagen. Einem ungefähr 40 Jahre alten Mann schießen Tränen in die Augen, als er auf den Krieg angesprochen wird. Er könne momentan nur Albanisch sprechen, Serbo-kroatisch könne er nicht ertragen. Sein einziger Kommentar: Mit einer Handbewegung deutet er einen Messerschnitt durch die Kehle an, dann verschwindet er.

Geschäfsführer Koch hofft, daß die Stimmung im Heim nicht doch noch kippt und es zu offenen Streitigkeiten kommt. „Dann werde ich Etagenversammlungen einberufen, und dann werden die Probleme geklärt“, glaubt er. Das habe in der Vergangenheit, bei den Unstimmigkeiten in der Küche, auch funktioniert. Außerdem achte man darauf, daß unterschiedliche Nationalitäten nicht auf einem Zimmer lebten. Kata Martinoviç ist da rigoroser. Wenn es Ärger gibt, sagt sie, dann könne das ganz einfach „reguliert“ werden: „Die Kosovo-Albaner kommen dann eben in ein anderes Heim.“