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Eucharistie calling

Der christliche Wille zum Hit: Zu Ostern erschien die erste Papst-CD. Sie zeigt den Heiligen Vater als Mann des Wortes, Popkünstler und sogar Sampling-Artist. „Papa“ ist kein Rolling Stone, aber ist Gott ein DJ?  ■ Von Thomas Groß

„Fahrt hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“ sagte der Stellvertreter Gottes am 25. August 1981 in Castel Gandolfo. „Das ist ein köstlich Ding, dem Herrn danken und lobsingen deinen Namen, du höchster!“ chantete er am 8. Februar 1986 im Nehru-Stadion in Kottayam, Indien. Man weiß das, weil der derzeitige Papst der Recording Artist No.1 der Welt ist. Alles was er, bekanntlich der reiselustigste Pontifex aller Zeiten, in irgendeinem Erdenwinkel von sich gibt, wird von Bediensteten aufgezeichnet und archiviert. So huldigt der Vatikan dem Wort in den Zeiten der Technifizierung.

Genreästhetisch wäre „Abba Pater“, die erste CD des Papstes, demnach am ehesten ein Gospel oder Rap. Mit der ihm eigenen Diktion spricht Johannes Paul II. das Wort Gottes in profane Mikrophone. Zu behaupten, er wäre ein begnadeter MC, hieße ihm schmeicheln, doch agiert er ökonomisch, weiß zudem eine 2000 Jahre alte Tradition auf seiner Seite: Jesu Geburtstag, demnächst zeitgleich zelebriert mit der Millenniumswende. Das gibt Charisma und sogar eine gewisse Körperlichkeit. Eucharistie calling: Im rhythmisierten, psalmodierenden Flow der Papstrede offenbart sich der Sinn der frohen Botschaft, steigt hernieder und wird Fleisch.

Schon Jesus nannte Gott Abba. Es ist das aramäische Wort für „Vater“, am Ölberg in letzter Not ausgestoßen. Der Papst erweist sich als Meister der Anrufung, indem er die Techniken des Pop nicht nur nicht scheut, sondern offensiv christianisierend nutzt. „Gerne summt der Pontifex manche Melodie mit“, berichtet Matthias Kopp, Leiter des Referats für Pressewesen der Deutschen Bischofskonferenz und intimer Vatikankenner, in einem Begleitblatt. Während nicht wenige Würdenträger dem modernen Leben gegenüber reserviert bleiben, hat der große Brückenbauer längst mit U und E seinen Frieden geschlossen, nennt Mireille Matthieu, Massimo Ranieri und Bob Dylan – die alle schon bei ihm eingekehrt sind – unterschiedslos „Tonkünstler unserer Zeit“. Johannes Paul: „Echter Gesang, in Freude oder in Leid, ist immer dem Gebet nahe.“ So sprechen Menschenfischer. Der Papst mag nicht der Erfinder der Stadionmission sein, gewiß aber ist er ihr größter Star.

Aus Jux und Dollerei macht auch er das nicht. Als Master of Ceremony und gottesbotschaftlicher Wortartist versucht der „Papa Pellegrino“ (der pilgernde Papst), fortschreitender Säkularisierung Einhalt zu gebieten. Nicht nur eine ernste Sache, auch ein Akt beachtlicher Diplomatie. „Abba Pater“ ist die vorerst letzte einer Folge von Anpassungsleistungen der Kirche, verzweifelten Versuchen, sich entlang kaum beherrschbarer Kulte zu reformieren. Wenn die Geschichtsschreibung behauptet, die christliche Tradition habe die heidnische Welt überwunden, ist ja gerade dies ihr grellstes Fehlurteil. Nie war das Wort partikularer, dumb and dumber, zerfallener als heute. Die Diaspora überlebt in den Idolatrien der Massenkultur, die tausend Götter neben dem einen kennen, und sie wird mit jedem Nummer-1-Hit auf dem Billboard hybrider, respektloser, weniger monotheistisch, siehe auch Madonna: „Papa, dont preach“.

Der Papst, in Bedrängnis, antwortet mit einem finalen Willen zum Hit, der an die eigenen Fundamente rührt. Genuin neu an „Abba Pater“, pünktlich zu Ostern vom Gottesstaat und Sony Classical auf den Markt gebracht, ist nicht der Wortglaube als Offenbarungsglaube, sondern der Grad seiner Industrialisierung im Prozeß der Wandlung. Erstmals wurde der Stellvertreter nicht nur verstärkt (wie beispielsweise bei „Urbi et orbi“), sondern gesampelt, d.h. Soundbits unterschiedlichster Provenienz und Zeitlichkeit zu einem Vortrag arrangiert, der so „live“ nie gehalten wurde. Zusätzlich gestützt wird die brüchige Stimme des Heiligen Vaters durch eine arbeitsteilig erstellte, dem Psalmodieren unterlegte musikalische Tonspur. Erst dadurch wird der Papst endgültig zum modernen Popstar, erfüllt sich unter umgekehrten Vorzeichen, was das Techno-Projekt Faithless in seinem Novelty-Hit vorausgesehen hatte: God is a DJ.

Die herkömmliche Theologie hat diesen Sachverhalt noch nicht hinreichend durchleuchtet, was bislang bleibt, ist der Sound selbst. Papstpop ist Musik von mantrischer Redundanz und erhabener Bombastik. Gewiß eine Prachtentfaltung, wie Evangelen mit ihrem Idolatrieverbot sie kaum hinkriegen. Der Katholizismus, nie zimperlich, was die Eingemeindung parareligiöser Ästhetiken und Psychotechniken anbelangt, betreibt vermittels ausgesuchter vatikanischer Produzenten einen nicht anders als enorm zu nennenden Beeindruckungsaufwand. Das ist das Erbe seines kosmologischen Schaustellertums.

Es grollt apokalyptisch im Baßbereich und zimbelt in den Höhen. Gesampelte Seelen scheinen im Fegefeuer zu schreien. Keltische Flöten fallen ein. Missionierte Afrikaner machen mit. Technoide Engelschöre bringen ausgedehnte Vokalstrecken hinter sich. Das gesamte Andere klassischer Religiosität wird in einem Final Countdown wie verbündet heraufbeschworen. Bis gen Amerika geht der Ruf. Von Hollywood, dem neuen Rom, haben die päpstlichen Tonsetzer Leonardo de Amicis und Stefano Mainetti ein kultisches Verhältnis zum Breitwandeffekt übernommen. And back again: Grieg, Sibelius, Wagner arbeiten verdeckt an der Transsubstantation. Selbst Reste von Italowestern geistern durch meditative Chill-out-Phasen dieses ecclesischen Eklektizismus.

In gute Boxen gespeist, offenbart „Abba Pater“ sinnfällig die innere Nähe von Kirchentag und Rave. Kein Wunder: Die Disco ist nun einmal der säkulare Nachfolger des kathedralischen Kultschiffes mit seinen Resonanzräumen. John Paul, der poppigste Papst ever, versucht sich darin als Stuntman der Transzendenz. Allerdings zeigt der Direktvergleich auch die entscheidende Verletzbarkeit päpstlichen Stardoms: auf Sand gebaut. Der Papa ist kein Rolling Stone, er hat überhaupt keinen Groove. Verglichen mit den rhythmischen Sensationen auf Afrika zurückweisender, neoheidnischer Jüngstkulte ziehen die himmlischen Heerscharen unsynkopiert und bloß barock dahin.

Die Papst-CD eignet sich zum entspannten Meditieren, nicht aber zum Exzeß davor. Den zumindest haben die Nachfahren der Sklavenschiffe dem biblischen Monotheismus voraus. Der entscheidende Transzendenzbrecher aber sind die magischen Kanäle selbst. Als Popmusik ist die Stimme des Herrn immer nur eine unter vielen. Genau deswegen gelingt nicht, was der vatikanische Referent und Ghostwriter Matthias Kopp bei „Abba Pater“ verwirklicht sieht: Die Gesamtästhetik, die durch das Collagieren von Musik und Sprache entsteht, sei „keine zeitgeistig marktstrategische Verpackung, die auf Umsatz zielt, sondern der gelungene Versuch der Inkulturation von Spritualität“. Der Prozeß der Säkularisierung erweist sich, wahrscheinlich zum Glück für uns alle, als unumkehrbar.

Immerhin kann es zu komischen Effekten kommen. Wer Sony, Home of the Pope, im Internet anwählt (www.sonymusic.com), findet dort gleich nebenan „The Voice Of An Angel“, den neuesten Hit eines Sternchens namens Charlotte Church. Den Papst wird sie auf engstem Raum übersehen haben, doch das macht nichts. Sie nennen es Tribalismus. Längst sind die kultisch befreiten Konsumenten frei flottierende Stämme, die von einer Marke zur anderen switchen.

So vergeht auch hier der Ruhm der alten Welt. Der entwickelte Dienstleistungskapitalismus kennt nur noch Kultreligionen, sehnsüchtig zwar, doch ohne Jenseits. Wahrscheinlich klingt der Papst beim letzten Hören deswegen wie ein Märchenonkel, der von verlorenen Verheißungen erzählt. Wenn ihr werdet wie die Kinder... Doch Kinder sind in der Regression des Hörens alle längst. Zwischen Gott und Käpt'n Blaubär liegen bloß ein paar Frequenzen.

Übrigens und nichtsdestotrotz gibt es den Abba-Papa-Papst jetzt auch als Musikvideo. Es zeigt digital gemasterte, schnell geschnittene Bildfolgen von Johannes Paul, wie er, Michael Jackson nicht unähnlich, Halbwüchsige küßt, durch Berge und Dünen streift, nachdenklich, doch auch grüßend, und immer im Takt der Musik bewegt. Der Vatikan rechnet sich damit weitere Chancen bei der MTV- Jugend aus, und das auf organische, aufgeschlossene, kirchenbotschaftliche Weise. Dreimal yeah und nochmals yeah, und warum auch nicht? Schließlich heißt „Missio“ nicht umsonst „Sendung“.

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