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Zurück auf die Straße

■ Die Vorschau: „88 Fingers Louie“ aus Chicago sind nach gefloppter Europa-Tournee nun doch in Bremen zu hören

„88 Fingers Louie“ rufen seltsame Erinnerungen hervor. 1996 habe ich sie als Fahrer, Road-Manager und Kindermädchen bei ihrer ersten Europa-Tour begleitet, die, einen Tag vor dem Gig in Bremen, von einem schwedischen Schnee-sturm beendet worden war. Es war kein besonders schwerer Unfall, aber „88“ aus dem windigen Chicago hatten es zu diesem Zeitpunkt mit den Schicksalsschlägen.

Wir lagen mit dem Bandbus auf der Seite im Graben und mußten warten, bis uns zwei schwedische Naturburschen mit ihrem Trecker wieder rauszogen. Zwei oder drei Stunden starrten wir durch die trüben Scheiben in den Blizzard hinaus, und mittendrin wurde der Entschluß gefaßt, daß man die Tour abbrechen sollte. So wurde eine stürmische Überfahrt mit der Fähre nach Deutschland gebucht. Die Stimmung war am Ende, und einen Nonstop-Ritt quer durch das verschneite Europa später, standen wir am Kai von Calais, wo „88 Fingers Louie“ mit dem Luftkissen übersetzten, um in England einen Flieger in die Staaten zu erwischen.

Der Autor dieser Zeilen war von einem Moment zum anderen mal wieder arbeitslos, wendete den Bandbus und suchte die Hansestadt Bremen auf der Karte. Dort hätte die Band an jenem Abend spielen sollen. So landete ich in Bremen und hörte nie wieder von „88 Fingers Louie“, die sich nach dem Fiasko in Europa sofort auflösten.

Im Gegensatz zu vielen anderen Würstchen, ist die gemeinsame Band für die Jungs mehr als nur ein bißchen Freizeit, und so taten sie sich im letzten Jahr mit neuem Drummer wieder zusammen. Vielleicht kann man irgendwann nicht anders, wenn man sein halbes Leben bereits in den miefigen Umkleideräumen der Provinz-Clubs verbracht hat.

„88 Fingers Louie“, benannt nach einem Gangster, der Fred Feuerstein mal ein Klavier verkauft hat, verkehren zwar in der Punk-Szene. Aber Szene-Getue als Selbstzweck war nicht ihre Sache. Die Band lehnt zwar jede Sorte von Drogen ab, wollte sich aber nie in die keimfreie „Straight Edge“-Szene integrieren lassen, deren oberstes Gesetz der Fleischverzicht war. Den Rücken von Baßer Joe, Sprößling einer der ältesten Mafia-Familien von Chicago, ziert zwar eins der größten „Straight Edge“-Tatoos der Welt, aber er ernährt sich ausschließlich von Hamburgern ohne Ketchup oder andere Beilagen. Jeder Tag auf Tour begann damit, Joe zum Dealer seiner Wahl zu fahren, und wenn kein Imbiß mit gelbem M zu finden war, hungerte er lieber, als den traditionellen Veganer-Eintopf anzurühren, den man uns jeden Abend auftischte.

In der Gegend von Chicago spielen Kinder auf der Straße mit Glasscherben, Studenten wohnen in ausgebrannten Autos, und fast alles dreht sich nur noch um Crack. Sänger Denis und Drummer Glen haben ihre Erfahrungen mit Drogen gemacht, und Metal-Gitarrist Dan mochte sowieso kein Bier und hatte sich gefügt, um seine beiden Freunde nicht in Versuchung zu führen. Hardcore ist für die „Fingers“ eine Form zu überleben, und mit ihren Platten buddeln sie sich einen Fluchtweg aus einem dieser U.S.-Ghettos, die von kleinkapitalistischen „Sex & Crime“-Rappern auf MTV mystifiziert werden. Die Gelegenheit, in Europa zu spielen, hieß für die Band auch, was anderes als die USA zu sehen. Mit Kinderaugen bestaunten sie die historischen Stätten der hiesigen Metropolen, das Amsterdamer Rotlichtviertel, den Freistaat „Christiana“ in Kopenhagen, wollten in Brüssel „belgische Waffeln“ essen (außer Joe natürlich) und genossen das weltoffene Klima, wie sie es nannten.

Der Sound von „88 Fingers Louie“ ist unmißverständlicher Punkrock mit fetter Metal-Gitarre und klassischem Hardcore-Bass als Grundlage sowie einem Sänger, dessen Texte von zwischenmenschlichen Problemen handeln. Songs wie „I hate myself“ oder ihre Cover-Version von „Victim in Pain“ strotzen vor melancholischem Zynismus und kommen ohne die selbstbeweihräuchernde Kraftmeierei des Genres aus.

Songs wie „Tomorrow starts today“ auf dem neuen „Back on the Streets“-Album lassen aber raushören, daß sich inzwischen auch ein wenig Positivismus eingeschlichen hat. Die „Fingers“ spielen trotzdem in ihrer eigenen Liga und sie sind jetzt aus dem gröbsten raus. Ihr alter Babysitter kann stolz auf sie sein und freut sich heute abend im „Tower“ auf ein Wiedersehen. Mit dabei sind die Kalifornier „Good Riddance“, eine der besseren „Fat Wreck“-Bands. Wer den Osterkater abgebaut hat, sollte sich den alten Kapuzenpullover greifen und alte Metal-Klassiker als Zugabe fordern.

Tommy „Tachoscheibe“ Blank

Konzert heute, 6.4, 21 Uhr, Tower

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