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Steuerreform „verschenkt“ 20 Milliarden Mark

■ Bremer Studie beweist: Auch die rot-grüne Regierung will die Betriebsprüfungen und die Steuerfahndung nicht verschärfen / Begründung: Länder-Finanzminister wollen ihre Unternehmen nicht „verschrecken“

An die 20 Milliarden Mark mehr Steuergelder könnten die deutschen Finanzminister einnehmen, wenn sie nur die Steuerprüfungen und die Steuerfahndung ernster nähmen. Das Ergebnis würde auch mehr Gerechtigkeit, in diesem Falle Steuergerechtigkeit bewirken. Diese Rechnung hat ein Experte der Bremer Arbeiterkammer, Hans-Jörg Kröger, aufgemacht. Die Arbeiterkammer hatte schon die Ergebnisse des Steuerfahndungsdienstes 1996 zugespielt bekommen und jetzt den Bericht von 1997 ausgewertet. Die Finanzbehörden halten solche Zahlen streng vertraulich, könnten doch Unternehmen auf dumme Gedanken kommen: Nach der internen Auswertung haben in Bayern nur 27 Prozent der Großbetriebe eine Steuerprüfung zu fürchten, in Mecklenburg-Vorpommern sind es gerade 14,1 Prozent. Bremen liegt mit 23,3 Prozent im Mittelfeld. Mittelbetriebe prüft Bremen im Durchschnitt nur alle acht Jahre (das sind 5,5 Prozent im Jahr), „Kleinbetrieben steht praktisch keine Betriebsprüfung ins Haus, weil der Betriebsprüfungsturnus stark ausgedünnt worden ist“, schreibt Kröger: Eine Kontrollquote von 4,1 Prozent in Bremen bedeutet, daß ein Betrieb alle 24 Jahre mit einer Kontrolle seiner Steuer-Selbsteinschätzung rechnen muß. In Thüringen liegt die Zahl für Kleinbetriene bei 2,2 Prozent.

Die finanzpolitischen Experten in Bonn stimmen der Bremer Analyse zu: Mehr Personal bei der Steuerprüfung würde sich rentieren. „11.000 zusätzliche Stellen in diesem Bereich würden die bundesdeutschen Staatskassen jährlich um 19,8 Milliarden DM auffüllen“, schreibt Kröger – die Effekte der Verbesserung der Steuermoral sind dabei kaum zu beziffern.

Diese Größenordnung wird in Bonn vom finanzpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß, bestätigt. Als Poß noch Oppositions-Sprecher war, fand er scharfe Worte für die fehlende Steuergerechtigkeit: „Für den ehrlichen Steuerzahler entsteht der fatale Eindruck, daß von allen Seiten zwar keine Gelegenheit ausgelassen wird, Steuerschlupflöcher und sinkende Steuermoral zu beklagen, jedoch diesen Klagen keine Taten folgen.“ Die SPD an der Macht im Bonner Finanzressort läßt nun allerdings auch keine Taten folgen. Mitarbeiter von Poß erklären das schlicht so: „Die Länder wehren sich dagegen, weil sie Angst haben, daß sich eine konsequentere Steuerfahndung wirtschaftsfeindlich auswirkt. Die Länder bewegen sich da keinen Millimeter.“ Daher war das Problem mangelhafter Steuerfahndung im Bonner Steuerreformpaket nicht enthalten, um die Zustimmung der Länder nicht aufs Spiel zu setzen.

Auf das deutliche West-Ost-Gefälle bei der Steuerfahndung hat sogar der Bundesrechnungshof mit drastischen Worten hingewiesen: „Die neuen Bundesländer sind nur bedingt in der Lage, ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen“, formulierte er. „Die unzureichende Einsatzfähigkeit der Steuerfahndung gefährdet im übrigen die präventiven Auswirkungen der Steuerfahndung auf Steuerverkürzungen.“

Auch unter den westdeutschen Bundesländern gibt es erhebliche Unterschiede. Bremen prüft zum Beispiel seine Mittelbetriebe im Durchschnitt alle 8,4 Jahre, Hessen nur alle 15 Jahre. In den letzten Jahren wurde aufgrund der Kritik des Bundesrechnungshofes die Fallzahl der geprüften Betriebe erhöht, nicht aber in demselben Ausmaße die Zahl der Prüfer. Folge ist laut Kröger eine „abnehmende Prüfungsqualität“. Durch Stichproben wird die Qualität der Betriebsprüfungen kontrolliert, 30 Prozent der Betriebsprüfungen werden derzeit beanstandet. Der frühere Bremer Finanzsenator Ulrich Nölle hatte in aller Offenheit ausgesprochen, warum die zuständigen Länder die Steuerprüfungen nicht verschärfen: „Auch Finanzamtsarbeit ist Standortqualität. Wenn man zu scharf an die Sache herangeht, dann verschreckt man schon einmal den einen oder anderen Betrieb, und das wollen wir eigentlich nicht.“

Das Problem: Die Personalkosten der Steuerprüfung fallen bei den Ländern an, die Mehreinnahmen werden aber zu einem überwiegenden Anteil durch den Länderfinanzausgleich abgeschöpft. So haben die Länder auch wenig Anreiz, durch schärfere Kontrollen aufzufallen. „Deshalb ist eine Regelung überfällig, die für alle Bundesländer verbindlich festlegt, wie oft und in welchem Umfang Betriebsprüfungen bundeseinheitlich stattzufinden haben.“ Das wäre auch aus einem anderen Grunde nur gerecht, argumentiert der Bremer Arbeiterkammer-Experte: Arbeitnehmer-Einkünfte werden vorab besteuert und steuermindernde Tatbestände unterliegen jedes Jahr einer strengen Steuer-Prüfung. „Unternehmen und Selbständige deklarieren Gewinn- und Kapitaleinkünfte dagegen selbst“. Auch diese Betrachtungsweise hätte eine sozialdemokratische Bundesregierung bewegen können, im Rahmen der Steuerreform für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, stellt Hans-Jürgen Kröger verbittert fest. K.W.

Der Bericht der Arbeiterkammer mit Tabellen über die Dichte der Steuerprüfungen in den Bundesländern findet sich unter „ www.barkhof.uni-bremen.de/tbs/ak.htm

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