Press-Schlag
: Außer Rand und Band

■ Auch die Reizbarkeit erhebt Bayern über Fatalisten-Teams wie Borussia Dortmund

Was für ein Genuß für Uli Hoeneß! Seit Wochen grinst der Manager des FC Bayern pausenlos wie ein Honigkuchenpferd auf Drogen. Endlich versprüht sein Verein, der vermögendste der Liga, nicht mehr den miefigen Charme neureicher Protze. Endlich strahlt das Gefüge Glanz und Geist aus. Nach all den Jahren, in denen Legionen von Starspielern und Scharen von Startrainern nicht über biedere Arbeitserfolge hinauskamen, haben Hoeneß und Co. jetzt beim Einkaufen vielleicht alles richtig gemacht. Oder einfach außer Geld auch einmal Glück gehabt.

Ottmar Hitzfeld strahlt selten wie ein Honigkuchenpferd. Je öfter er erzählt, wie gut es ihm getan hat, bei Borussia Dortmund nach dem Gewinn der Champions League 1997 ein Jahr lang als Sportdirektor auf der Tribüne Abstand zu gewinnen, desto ungesünder sieht er aus. Ein Jahr reicht schwerlich, um Gelassenheit zu verinnerlichen, wenn man vorher sieben Jahre unter Dauerdruck und dabei bemüht war, kultiviert und beherrscht zu erscheinen. Auf kultiviertes Benehmen pocht Hitzfeld nach wie vor. Weshalb er es, jetzt als Trainer des FC Bayern, tadelt, wenn Spieler den Gegner fast in den Hals beißen und ihm mit gestrecktem Bein entgegenspringen. Beides tat Oliver Kahn am Sonnabend in Dortmund.

Er war zu diesem Zeitpunkt sehr schlecht gelaunt. Erstens war seine Zeit ohne Gegentor nach 736 Minuten abgelaufen, zweitens lag Bayern zurück. Später gab sich der Torwart einsichtig („Das war dumm“), wußte aber auch, warum er getan hatte, was er getan hatte: Er habe die Mannschaft aufrütteln wollen. Und: hat geklappt. Daß sie so außer Rand und Band geraten können, wie es der Trainer angeblich nicht sehen mag, ist neben allerlei spielerischer, taktischer und ähnlicher Überlegenheit der größte Vorteil des möglichen Champions-League- Siegers aus München gegenüber dem einstigen Champions- League-Sieger aus Dortmund: Bayern hat in jedem Mannschaftsteil einen Spieler, der seinen Siegeswillen ohne Rücksicht auf Etikette exponiert: Kahn im Tor, Matthäus in der Abwehr, Effenberg im Mittelfeld, Jancker im Sturm. Wehe, wenn sie losgelassen. Dann spielen und kämpfen und brüllen sie alles in Grund und Boden, die Mitspieler ziehen mit, und alle zusammen gewinnen. Oder spielen remis wie in Dortmund.

Für ein Vorbereitungsspiel auf das Champions-League- Halbfinale morgen in Kiew reicht das. Matthäus und Jeremies konnten geschont werden, und daß die beiden ausländischen Superstars, Elber und Lizarazu, fehlen, wird womöglich bei konstant stärkeren Gegnern ein Problem. In Dortmund war es keines. Denn der BVB hat sehr mit sich zu tun. Er hat keinen Spieler, der die Mannschaft mitreißt. Es gibt keinen Sammer mehr. Bobic ist noch nicht da, Lehmann nicht lange genug, Kohler mit Verteidigen beschäftigt. Möller ist Möller. Und daß Ricken von „Verantwortung übernehmen“ gern spricht, reicht nicht. Als es 2:2 stand, verschoß Ricken einen Elfmeter. Frei von Zorn deutete Möller später an, er hätte den Elfmeter verwandelt: „Hinterher ist man immer schlauer“, sagte er selbst. Vielleicht wird er im Herbst seiner Karriere selbstironisch.

Möllers Anwesenheit auf dem Platz ist der Vereinsführung heilig. Nun, Matthäus ist Beckenbauer auch heilig, und der Präsident hat den Spieler auch dann stets gestützt, als der sich mit Dummschwätzerei selbst aufs Rententeil zu labern drohte. Denn Matthäus ist bei all der kindischen Selbstbezogenheit ein Mannschaftsspieler, der in Systemen keinen Schaden durch Boykott anrichtet. Und er weiß, worum es geht: Immer weitermachen, immer wieder aufstehen, immer wieder unbedingt gewinnen wollen. Möller spielt für sich oder auch gar nicht mit, Scheitern erträgt er stoisch. Das ist der Unterschied.

Jürgen Kohler beobachtet den Spannungsabfall, der einem Erfolgsrausch folgen kann, in Dortmund seit zwei Jahren: „Das Problem heißt Selbstzufriedenheit.“ Wenn man auf dem Gipfel steht, geht es nicht weiter hoch. Dortmund begann nach dem Gewinn der Champions League mit einer erschöpften Mannschaft schnurstracks den Abstieg. Hitzfeld arbeitet nun in einem Verein, der den Platz an der Sonne gottgegeben für den seinen hält und mit einer Mannschaft, die dieses Credo übernommen hat und deshalb auch so spielt. Kohler, der Fußballweise, warnt: „Je mehr die Bayern jetzt erreichen, desto weniger können sie wiederholen.“ Kein Wunder also, daß Ottmar Hitzfeld so angestrengt aussieht. Erfolg ist nicht nur vergänglich, sondern auch noch grausam. Katrin Weber-Klüver